
Staatsanwaltschaft ermittelt "Sowas würde ich meinem Hund nie antun" - Polizist kritisiert Kollegen nach Demo in Riesa
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20. Januar 2025, 18:30 Uhr
Ein Polizeihund wird am Rande der Demos gegen den AfD-Parteitag in Riesa von seinem Hundeführer auf einen Passanten gehetzt und dabei in eine Leitplanke gedrückt. Ein Video der Szene, das die Berliner Zeitung veröffentlicht, sorgt in den sozialen Netzwerken für Empörung. Doch auch aus Polizeikreisen kommt Kritik. MDR SACHSEN hat mit einem Diensthundeführer der Polizei gesprochen. Er kritisiert das Verhalten seines Kollegen scharf und fordert Konsequenzen.
- Ein Polizeikollege fordert nach Vorfall in Riesa Konsequenzen für Diensthundeführer, Vorgesetzte und Hundeschule.
- Nach mehreren Strafanzeigen ermittelt die Staatsanwaltschaft Dresden gegen den Hundeführer.
- Die zuständige Dienstbehörde beabsichtigt, ein Disziplinarverfahren einzuleiten.
Polizist: "Er sollte nie wieder einen Diensthund führen dürfen!"
Mehr als eine Woche nach den Protesten gegen den AfD-Parteitag in Riesa sorgen einige Szenen weiter für Gesprächsstoff. So auch die eines Polizeihundes, der gegen einen Mann mit Rucksack zum Einsatz kommt.
Das Verhalten des Diensthundeführers, seiner Kollegen und des Vorgesetzten sorgt selbst in Polizeikreisen für Entsetzen. Im Gespräch mit MDR SACHSEN bringt ein Polizei-Diensthundeführer seine Fassungslosigkeit über das Gesehene zum Ausdruck.
Aus Angst vor beruflichen Konsequenzen und mit Verweis auf die Stillschweigepflicht möchte er anonym* bleiben. Er sei bei dem Einsatz in Riesa nicht dabei gewesen, habe aber das Video im Internet gesehen und sei schockiert gewesen. "So etwas würde ich meinem Hund nie antun. Wie der den Hund in die Leitplanke reinknallt, das ist schon heftig", meint der Beamte. Es sei nicht üblich, so mit seinem Hund umzugehen. Seiner Ansicht nach fehle die Empathie für den Hund. Wieder und wieder, erklärt er im Interview, habe er sich das Video angeschaut.
*Der Polizist, der aus einem anderen Bundesland stammt, ist der Redaktion namentlich bekannt.
So etwas würde ich meinem Hund nie antun. Wie der den Hund in die Leitplanke reinknallt, ist schon heftig. Es ist absolut nicht üblich, als Polizist so mit seinem Hund umzugehen.
Reporterin: Hund soll scheinbar unbeteiligten Passant beißen
Aufgenommen hat das Video die Journalistin Alice von Lenthe. Sie hat die Szene mit dem Hund auf der gesperrten Schnellstraße B169 beobachtet und aufgezeichnet. Noch am selben Tag ging das Video viral.
In ihrer Reportage für die Berliner Zeitung über Berliner Aktivisten, die in Riesa demonstriert hatten, beschreibt sie die Situation auf der gesperrten Schnellstraße B169 so: "Polizeibeamte mit Helm, Schienbeinschonern, Schlagstöcken und Hunden. Einige Tiere sind sichtlich angespannt, zittern und bellen. Ein scheinbar unbeteiligter Mann mit Mütze und großem Reiserucksack läuft an den Polizisten vorbei. Sie ermahnten ihn, die Straßenseite zu wechseln. Als der Mann dem nicht nachkommt, umkreisen ihn drei der Beamten mit zwei Hunden." Der Rest ist auf dem Video zu sehen.
Diensthundeführer analysiert Verhalten seines Polizeikollegen
"Die Situation gibt es nicht her, dass der Diensthundeführer so reagiert. Die Polizisten im Hintergrund stehen da nur so rum", sagt der in Riesa unbeteiligte Diensthundeführer im Gespräch mit MDR SACHSEN. Der erfahrene Polizist ordnet die Situation so ein: "Es ist ein Zeichen dafür, dass die Lage nicht besonders brenzlig gewesen sein kann, zumindest ist das auf dem Video nicht erkennbar." Diese Einordnung stützt die Schilderung der Journalistin von der Berliner Zeitung, die das vieldiskutierte Video aufgenommen hat, in ihrer Reportage.
"Meines Erachtens ist der Diensthundeführer nicht fähig und müsste als Diensthundeführer entlassen werden", so der Polizist. Auch, dass er danach nicht schaut, wie es dem Hund geht, wundere ihn. Zumindest sei es nicht auf dem Video zu sehen. "Es ist wichtig, dass solche Leute sofort aus dem Verkehr gezogen werden", sagt er und ergänzt: "Ich selbst bin Diensthundführer bei der Polizei und somit vom Fach. Ich weiß demnach, von was ich hier rede." Während er spricht, liegt sein Hund entspannt auf dem Sofa neben ihm.
Vermutung: Hund schlecht ausgebildet
Und noch etwas fällt ihm auf. "Auf dem Video ist ganz klar erkennbar, dass der Diensthund gar nicht weiß, was er machen soll. Bei dem Hund ist weder Wehr- noch Kampftrieb zu erkennen, was bedeutet, dass dieser Diensthund entweder als Schutzhund nicht zu gebrauchen ist, oder aber der Diensthund im Schutzdienst noch nicht ausgebildet war. Dieser Hund hätte somit als Schutzhund nie eingesetzt werden dürfen", findet der Diensthundeführer, der sich wegen des Videos an MDR SACHSEN gewandt hat.
Neben dem Tierwohl gehe es ihm auch darum zu zeigen, dass das aufgezeichnete Verhalten seines Kollegen im Einsatz innerhalb der Polizei durchaus kritisch gesehen wird.
Dieser Hund hätte als Schutzhund nie eingesetzt werden dürfen.
"Der hat den Hund mit dem Kommando 'Pack' auf den Mann gehetzt. Und das ohne Beißkorb. Die können nur von Glück sagen, dass der Hund nicht oder nicht gut ausgebildet zu sein scheint. Wäre der in seinem Trieb gewesen, hätte der den Mann nicht mehr losgelassen." Auch der aus dem Fernsehen bekannte Hundetrainer Martin Rütter übt Kritik am Ausbildungsstand der im Video zu sehenden Polizeihunde.
Bereitschaftspolizei: Hund und Hundeführer waren befähigt
Organisatorisch zuständig für die Diensthundestaffel in Sachsen ist die Bereitschaftspolizei. Wie eine Sprecherin MDR SACHSEN auf Anfrage mitteilte, arbeiten und leben der Hund aus dem Video und sein Hundeführer seit 2020 zusammen. Die vorgeschriebenen Eignungstests seien absolviert worden: "Die letzte Überprüfung der Schutzhundeeigenschaft von Hund und Hundeführer war im Januar 2024 mit dem Ergebnis 'bestanden und einsatzfähig bis 2026'."
Verwunderung über Verhalten der anderen beteiligten Polizisten
"Interessant ist ja auch das Verhalten der anderen Hundeführer im Hintergrund. Dass da niemand von seinem Remonstrationsrecht Gebrauch gemacht hat!" Vermutlich hätten sie Angst vor Konsequenzen gehabt, mutmaßt der unbeteiligte Kollege. Auch, dass ein Hund im Hintergrund seinen Hundeführer beiße, werfe Fragen auf.
Remonstrationsrecht von Polizisten
Polizeibeamten haben das Recht und die Pflicht, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen unverzüglich bei dem unmittelbaren Vorgesetzten geltend zu machen.
Grundsätzlich trägt der Beamte die volle persönliche Verantwortung für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen. Von dieser Verantwortung wird er freigestellt, wenn er seiner Remonstrationspflicht nachkommt.
Wird die Weisung vom Vorgesetzten und dem oder der nächst höheren Vorgesetzte bestätigt, muss der Beamte diese ausführen.
Quelle: dbb Beamtenbund und Tarifunion
Mehrere Anzeigen liegen vor
Inzwischen liegen mehrere Anzeigen gegen den Hundeführer vor, unter anderem von der Tierschutzorganisation PETA. "Der Hund zeigte hierbei unübersehbare Anzeichen von massivem Stress, Überforderung und Meideverhalten. Ein weiterer völlig überdrehter Hund verbiss sich in den Arm eines anderen Polizisten", teilte die Tierschutzorganisation mit. Sie fordert zudem, "dass der Einsatz von Polizeihunden endlich beendet wird."
Ein weiterer Anzeigenersteller, der der Redaktion ebenfalls namentlich bekannt ist, aber anonym bleiben möchte, sagt: "Jeder Laie kann sehen, dass das alles andere als tierfreundlich ist, was der Polizist dort mit seinem Hund macht." Der Mann hatte das Video im Internet gesehen und eine Anzeige gestellt. Die Staatsanwaltschaft Dresden bestätigte den Eingang der Anzeige.
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Hundeführer
Wer der in der Kritik stehende Hundeführer ist, konnte inzwischen geklärt werden, wie die Staatsanwaltschaft Dresden MDR SACHSEN mitteilt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt demnach gegen einen 35 Jahre alten sächsischen Polizeibeamten wegen des Verdachts der versuchten Körperverletzung im Amt sowie der Sachbeschädigung und des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz.
"Ob durch den Einsatz ein Personen- oder Sachschaden entstanden ist, ist Gegenstand der Ermittlungen", teilt die Staatsanwaltschaft mit.
Der Sachverhalt wird kritisch ausgewertet, um sicherzustellen, dass die Diensthundeführerinnen und Diensthundeführer der sächsischen Polizei in der Aus- und Fortbildung noch besser auf dynamische Einsatzsituationen vorbereitet werden.
Disziplinarverfahren soll eingeleitet werden
Das Präsidium der Bereitschaftspolizei will personalrechtliche Konsequenzen für den in der Kritik stehenden Hundeführer prüfen. Wie eine Sprecherin MDR SACHSEN mitteilt, "wegen des hinreichenden Verdachts von Dienstpflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem Führen eines Diensthundes."
Polizeipräsident Peter Langer sagte: "Der Sachverhalt wird kritisch ausgewertet, um sicherzustellen, dass die Diensthundeführerinnen und Diensthundeführer der sächsischen Polizei in der Aus- und Fortbildung noch besser auf dynamische Einsatzsituationen vorbereitet werden." Bis zur endgültigen Entscheidung im Strafverfahren sei das Disziplinarverfahren jedoch ausgesetzt.
Diensthundeführer vorerst weiter im Dienst
Auf Nachfrage von MDR SACHSEN teilte die Bereitschaftspolizei Sachsen mit: "Der in Rede stehende Diensthund wurde nicht verletzt." Der Hund lebt demnach bei seinem Diensthundeführer seit dem Jahr 2020 zuhause. Der Diensthundeführer ist den Angaben nach weiter im Dienst.
Der betroffene Beamte ist weiter im Dienst. Der in Rede stehende Diensthund wurde nicht verletzt.
Kritik gegen Vorgesetzte und Diensthundeschule
Dass der Hund keinen Beißkorb getragen hat, beschäftigt den unbeteiligten Polizisten sehr. "Da muss auch die übergeordnete Führung verantwortlich gemacht werden. Es ist der Polizeiführer, der sagt 'Beißkörbe ab'. Der Diensthundeführer macht das nicht von allein. Da muss im Vorfeld eine Weisung erteilt worden sein." Doch selbst mit Beißkorb hätte der Mann schmerzhafte Verletzungen und blaue Flecke gehabt, wenn der Hund auf seinen Führer gehört hätte."
Mich würde mal interessieren, wer den Hund und seinen Führer geprüft hat.
Diensthund und Hundeführer werden regelmäßig auf ihre Eignung für den Polizeidienst überprüft. "Mich würde mal interessieren, wer den Hund und seinen Führer geprüft hat", sagt der Polizist, der fast zwei dutzend Mal mit seinen Diensthunden an den verpflichtenden Prüfungen teilgenommen habe. Er vermutet, dass die beiden noch nicht lange zusammenarbeiten und erhebt Zweifel, dass die Prüfung des Gespanns ordnungsgemäß abgelaufen ist.
Diensthundeführer: Wir sind dem Hund was schuldig
"Diese Tiere opfern sich Tag für Tag für uns Menschen auf. Sie retten Leben, verhindern Straftaten und helfen mit, diese aufzuklären", sagt der Diensthundeführer-Kollege. Seit einigen Jahren arbeite er mit seinem jetzigen Hund schon zusammen. "Wir sind es den Diensthunden einfach schuldig, dass hier spürbare Konsequenzen wahrzunehmen sind."
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 12. Januar 2025 | 21:45 Uhr
vegamm vor 3 Wochen
Wie oft haben Sie schon einen Hund mit Korb stoßen lassen? Wie oft wurden Sie schon von einem Hund mit Korb gestoßen? Möglich ist immer alles. Aber nicht üblich. Und ich empfehle das Video nochmals zu schauen und auf die Pfoten sowohl vorne als auch hinten zu achten. Und ja er hat den Hund angeschoben und deswegen ist der Hund abgerutscht und auf die Leitplanke geknallt. Völlig richtig. Aber die Frage ist doch: absichtlich so geschoben, dass der Hund sich verletzen könnte oder unabsichtlich. Wieso der Hund nochmals geschickt wurde oder warum der Hund ohne Korb eingesetzt wurde, muss der Polizeiführer und der hundeführer erklären. Völlig richtig und auch genau so sollte es sein. Alles andere was sie von sich geben oder der angebliche anonyme Experte ist eigentlich völlig nebensächlich, weil es niemanden zu interessieren hat, wenn man diesen Fall objektiv aufarbeiten will. Kann die Maßnahme nicht begründet werden ist es eine Straftat. Aber tierquälerei finde ich übertrieben unterstellt
Anita L. vor 3 Wochen
"Ergo, hätte der Hund gestoßen, hätte er diese Verletzungen gehabt.....ist doch quatsch."
Bei allem Respekt, aber wenn Ihnen ein Hund in dieser Größenordnung in die Seite springt, haben Sie garantiert blaue Flecke. Erst recht wenn es sich um einen ausgebildeten Hund handelt, der nun einmal darauf trainiert wurde, nicht einfach nur mal zu "stoßen". Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich bekomme wie schon Basisdemokrat doch das Gefühl, dass Sie wenig davon wissen, wovon Sie schreiben. Auch was den angeblich notwendigen Einsatz eines Hundes gegen einen Menschen angeht, der eine Straßenseite nicht wechseln will. Im Übrigen wird der Vorfall ja untersucht und da kann sich der Hundeführer ja erklären, auf welchen Schuhen sein Hund da ausgerutscht sein soll und warum er ihn noch zweimal gegen den Mann geschoben hat (dochdoch, genauso sieht das auf dem Video aus), obwohl der doch nun schon über der Leitplanke war.
vegamm vor 3 Wochen
Klar kein Problem. Ich wäre halt auch nur ein hundeführer, der nicht an dem Einsatz beteiligt war. Und ich sage nicht, dass da keine Fehler gemacht wurden und es nicht kritisch ausgewertet werden muss. Aber ich wette der hundeführer ärgert sich am meisten über die Situation und wie das gelaufen ist. Ich kenne ihn nicht, aber ich unterstelle ihm auch nicht direkt, dass er nicht mit Hunden umgehen kann usw. Das steht mir nicht zu. Und das sollten andere auch nicht. Anzeige stellen, objektiv prüfen lassen und dann zu einem Ergebnis kommen was man in Zukunft anders machen kann, oder wo das konkrete Problem war.