Eine Frau sitzt auf einem Stuhl und hält ihr rechtes Bein einer Altenpflegerin hin. Sie massiert den Unterschenkel vorsichtig.
Nach einigen Minuten Beweglichkeitstraining auf dem Hometrainer massiert Michaela Schnur (re.) ihrer Patientin die Füße. Bildrechte: Kathrin König

Einblicke Kaum Grippe oder Burn-out: Ambulanter Pflegedienst auf E-Bikes in Dresden

18. November 2023, 08:30 Uhr

Vier Chefinnen, acht Mitarbeiterinnen, sechs Mitarbeiter, ein Ziel: Den Pflegeberuf von ganzem Herzen ausüben - nach speziellen Grundsätzen. Die vier Unternehmerinnen fahren selbst mit auf Tour. Ihre Firma "Pflegeimpuls Dresden" mit zwei Pflegediensten hat im Herbst den sächsischen Gründerinnenpreis im Bereich Wachstumsunternehmen gewonnen. Stellt sich die Frage: Was macht das Quartett anders, als andere in Sachsen?

"Ja, ja, fahren Sie, ich komm' einfach hinterher", sage ich zu Michaela Schnur, die vor mir auf ihrem E-Rad losfährt. Keine Minute später ist die Mitinhaberin des anthroposophischen Pflegedienstes "Pflegeimpuls Dresden" 100 Meter voraus. Ich merke, wie fit die Gesundheits- und Krankenpflegerin ist, die ihre Patienten immer mit dem Fahrrad besucht. 20 bis 40 Kilometer, manchmal auch 60 pro Tagestour kämen da zusammen, erzählt sie mir.

Der Krankenstand im Team sei sehr niedrig. "Grippe oder Erschöpfung halten sich bei uns sehr in Grenzen." Das habe ich in den vergangenen drei Jahren bei Interviews zu Pflegethemen in Sachsen so nie gehört.

Eine Frau ist auf einem Fahrrad gerade dabei, loszufahren.
Michaela Schnur auf ihrem Dienstrad. Die Mitarbeiterinnen der Firma sind üblicherweise mit grünen E-Bikes in Dresden unterwegs zu ihren Patienten. Gelegentlich mieten manche auch Carsharing-Autos. Bildrechte: Kathrin König

An der Stauffenbergallee müssen wir an einer Ampel anhalten. Michaela Schnur skizziert, was mich beim Hausbesuch erwartet: eine Dresdnerin, die wegen des Grünen Stars kaum mehr sehen kann. Diese Novembertage seien etwas schwierig für die Frau, weil der Partner Todestag habe.

Frau M. erwartet uns in der zweiten Etage an der Tür. "Na, kommt nur rein, meine Guten. Es wurde gerade sauber gemacht", sagt die 87-Jährige in lila Kittelschürze und geht ins Wohnzimmer. Der Reinigungsdienst sei da gewesen, der Bofrost-Lieferant auch vor wenigen Minuten. Michael Schnur zieht sich Plastikschuhe über die Straßenschuhe. Ich gehe auf Socken leise hinterher.

Eine Kerze für die Seele

Als Erstes entzündet die Gesundheits- und Krankenpflegerin eine Kerze auf der Anrichte. Gehört das auch zum anthroposophischen Ansatz? Nein, das sei Frau M. sehr wichtig. Sie trauert um ihren Lebensgefährten, hat aber Sorge, dass sie vergisst das Kerzenlicht zu löschen oder umstößt. "Ich sehe doch kaum noch etwas." Frau M. möchte am liebsten weinen. Nun sind es schon zwei Jahre, die sie ohne ihren Partner leben soll. Also zündet der Pflegedienst das lila Kerzlein an, wie er es jeden Tag macht.

Die Patientin steigt langsam auf den Hometrainer vor dem Balkonfenster. Ein paar Minuten Bewegungstraining müssen sein: "Bis wohin fahren wir heute?" Frau M. lacht. Etwas frische Luft durchs Fenster während des Radelns würde ihr genügen. "Na, bis zur Waldschlösschenbrücke schaffen wir?", sagt Michaela Schnur und streicht über die Schultern der Rentnerin. Helfen wird sie ihr nur beim Absteigen, damit sie nicht stolpert.

Es gibt einfach ganz zauberhafte Momente, die entstehen, wenn man ganz da ist bei den Patienten.

Lisa Schmidt Mitbegründerin und Mitinhaberin der Pflegeimpuls der Pflegeimpuls Dresden gGmbH

Teambuilding in Leinenschürze

In der Nähe der echten Waldschlösschenbrücke, im Firmensitz des Pflegedienstes, bindet sich Yvonne Schiffmann eine weiße Leinenschürze um. Die Pflegedienstleiterin ist auch eine der vier Firmen-Inhaberinnen. "Es wird gleich laut", kündigt sie beim Reinkommen in den Gemeinschaftsraum an und zeigt auf den Hokkaidokürbis in der linken und ein Messer in ihrer rechten Hand.

Einmal in der Woche essen alle Mittag miteinander. Vier Chefinnen, neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ein Azubi, zwei Mini-Jobber und zwei Ehrenamtler gehören zum Team. Vor sieben Jahren gründeten es fünf Frauen.

Stärkung auf mehreren Ebenen

Heute kochen zwei Frauen für 13 Münder. Mit dem Mittag beginnt die Teamrunde, die in mehrfacher Hinsicht stärken soll: mit Essen, miteinander lachen und reden, gegenseitigem Zuhören. "Wir versuchen, viel Nährendes anzubieten, eben dieses Essen, da ist jeder mal mit kochen dran, aber auch Teambildung, Weiterbildungen und dass jeder noch Raum hat für das, was ihm neben dem Pflegeberuf auch Spaß macht", sagt Yvonne Schiffmann.

Sie blickt auf den Holztisch, auf dem Schüsseln voll Gartensalat mit Granatapfelkernen, dampfende Zitronennudeln, eine Platte mit Kürbiskuchen, Saftgläser und Kaffee bereit stehen. Jetzt könnte die Truppe ja Platz nehmen. "Es gibt Essen!", ruft sie in den Nebenraum.

Dann zählt sie auf, was die Mitstreiterinnen sonst noch tun: Eine gibt spezielle Weiterbildungen, eine andere Sexualkundeberatung an Schulen, manche sind nur halbtags beim Pflegedienst und führen noch andere Firmen als Selbstständige. Der "Fahrradhausmeister" hat im richtigen Leben einen anderen Beruf und hält nebenbei den Rad-Fuhrpark in Schuss.

Um einen großen, mit Mittagessen gedeckten Holztisch sitzen zehn Frauen verschiedenen Alters und ein Mann.
Gelernte Krankenschwestern, die ihre eigene Firma gründeten, Pflegefachkräfte, Quereinsteiger, die einst Slawistik, Außenhandel oder Philosophie studierten: Sie alle bilden das Team "Pflegeimpuls". Und Donnerstag sitzen sie hungrig vereint am Tisch. Bildrechte: Kathrin König

Austausch und Augenhöhe wichtig

Am Kopfende des Tisches sitzt Annett Börner. Seit 2021 ist sie beim "Pflegeimpuls". Vor zwei Jahren habe sie viel dazulernen müssen, erzählt die Pflegefachfrau, die da schon drei Jahrzehnte lang Berufserfahrung hatte. Sie meint spezielle Öl-Einreibungen, Anwendungen und Handgriffe.

"Man lernt nie aus und mein Beruf macht mir Freude. Der Zusammenhalt untereinander ist einfach klasse. Hier erfahre ich wirkliche Wertschätzung", meint die 56-Jährige. Bei früheren Arbeitgebern habe sie bis zu 20 Menschen in der Spätschicht versorgen müssen. Hier seien es zehn bis zwölf pro Schicht.

Das Kameradschaftliche und Gegenseitige ist mir am wichtigsten.

Annett Börner seit 32 Jahren Altenpflegerin

Eine Gruppe Frauen steht auf einer Bühne.
Die vier Gründerinnen standen als Preisträgerinnen Ende September 2023 auf der Bühne neben der Ministerin für Justiz, Demokratie und Gleichstellung, Katja Meier (ganz re., Archivbild). Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Keine Gewinne, kein Extra-Geld für die Chefinnen

Weil der Pflegedienst als gemeinnützige GmbH organisiert ist, müssen keine Gewinne erwirtschaftet werden, erklärt Yvonne Schiffmann. Gelder würden auch nicht in die Taschen der Leitungsebene fließen. "Wir sind ein ganz normaler Pflegedienst, haben Verträge mit den Kassen und bezahlen unsere Leute ortsüblich. Aber unsere Haltung ist anders. Ganzheitlich", beschreibt Franziska Meinel den Unterschied zu anderen Anbietern.

Sie ist ebenfalls Mitinhaberin und gibt zu, dass sie die spezielle Ausrichtung gar nicht so sehr in Gesprächen mit neuen Patienten betont. Ziel sei, ausreichend Zeit für sie zu haben. "Ja, wir haben oft auch nur zehn, 15 Minuten Zeit. Aber wir arbeiten mit pflegerischen Gesten, mit Fußbädern, Waschungen und Öl-Massagen." Da gehe es um achtsame Nähe, Kommunikation und darum, den Patienten in seiner Selbstbestimmtheit zu stärken.

Die Profitorientierung in der Pflege ist das Grundproblem.

Katja Winkler Altenpflegerin

Altenpflegerin Katja Winkler ist schon fertig mit dem Essen. Sie hört dem Gespräch nachdenklich zu. "Pflege ist in Deutschland so teuer, weil an der Börse dotierte Aktienunternehmen Renditen wollen oder Unternehmer sich daran bereichern, Häuser bauen, Rendite verlangen." Das ärgert die Dresdnerin. Ginge es nach ihr, sollte es viel mehr gemeinnützige Gesellschaften geben und kleinere Pflegeeinheiten in den Stadtteilen, keine riesigen Pflegeheime mit hunderten Plätzen.

Rosmarin-Öl für warme Beine

2,5 Kilometer von dieser Debatte entfernt, nahe der Stauffenbergallee, ist Frau M. vom Hometrainer im Wohnzimmer wieder abgestiegen. Michaela Schnur bereitet den Platz am Esstisch für eine Fußeinreibung mit Rosmarin-Öl vor. Als sie ins Bad geht, um ein Handtuch zu holen, frage ich die Seniorin: Ganz ehrlich, wie sind die Leute von diesem Pflegedienst? "Täglich kommt jemand. Die sind alle wirklich in Ordnung. Ich müsste schwindeln, wenn ich sagen würde, ich wäre unzufrieden." Seit zwei Jahren seien die Mitarbeiterinnen für sie da.

Täglich kommt jemand. Die sind alle wirklich in Ordnung. Ich müsste schwindeln, wenn ich sagen würde, ich wäre unzufrieden.

Frau M. Rentnerin in Dresden

Dann massiert Michaela Schnur das Öl in Füße und Waden, damit die Beine gut durchblutet sind, was auch die Stolpergefahr verringere. Die beiden sprechen über Frau M.s Pläne im November und worauf sie sich in der Woche freut. Dann muss Michaela Schnur weiter.

Während ich mich von der Seniorin verabschiede, hat die Pflegeexpertin die Arznei kontrolliert, gelüftet und in der Küche eine Flasche aufgedreht, damit sich Frau M. später am Tage leichter das Mineralwasser eingießen kann. "Sie verwöhnen mich schon sehr, meine Lieben. Bis morgen", sagt Frau M. an der Tür.

Was heißt denn anthroposophische Pflege?

  • Anthroposophische Pflege basiert auf der Weltanschauung und den Gedanken, die der Anthroposoph und Waldorfschulengründer Rudolf Steiner formulierte. Es gibt sie seit rund 100 Jahren in Kliniken, Altenheimen und heilpädagogischen Heimen. Seit etwa 20 Jahren gibt es auch anthroposophisch orientierte ambulante Pflegedienste.
  • Das Gesamtkonzept dieser Pflege erweitert die üblichen Pflegetätigkeiten um Dinge wie Wickel, Auflagen und Öl-Einreibungen, die auf einem umfassenden Verständnis der leiblichen, seelischen und geistigen Bedürfnisse des zu Pflegenden beruhen. Dazu gehören auch zwölf pflegerische Gesten unterschiedlicher Ausprägungen.
  • Steiners Weltanschauung ist vielfach kritisiert oder als Esoterik abgetan worden, zuletzt auch wegen rassistischer und antisemitischer Inhalte. Einen Überblick über die Diskussion finden Sie hier und hier.


Quellen: Dachverband anthroposophischer Medizin/Dlf/Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Nachrichten | 13. November 2023 | 08:06 Uhr

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