Eine ältere Frau mit weißem Haar, auffallend blauem Kostüm und großer roter Brille steht mit ausgestreckten Armen auf einer Bühne, von der es Konfetti regnet.
Szene aus dem Film "Vika!", in dem es um eine 84-jährige Frau geht, die als Pensionärin anfing, als DJane aufzutreten. Bildrechte: DOK Leipzig 2023/Agnieszka Zwiefka

Dokfilm-Festival DOK Leipzig 2023 sucht Lehren aus der Vergangenheit

21. September 2023, 16:03 Uhr

Mit der Bekanntgabe der Wettbewerbsbeiträge ist das Filmprogramm der 66. Ausgabe von DOK Leipzig komplett. Wie die Leitung des Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm mitteilte, konkurrieren in diesem Jahr insgesamt 71 Filme um die Goldenen und Silbernen Tauben, darunter 35 Weltpremieren. Viele von ihnen sind gesellschaftlich und politisch übergreifenden Themen gewidmet.

DOK Leipzig rückt in Richtung Altweibersommer. Statt Ende Oktober startet es bereits am 8. Oktober, einem Sonntag – auch das eine Besonderheit, und endet am 15. Oktober. Der Eröffnungsfilm läuft außer Konkurrenz und heißt "White Angel – Das Ende von Marinka". Arndt Ginzel, ein renommierter Leipziger Journalist, der schon über die "Sachsensumpf"-Affäre und Pegida berichtet hat, zeigt diesmal quasi den Untergang der Kleinstadt Marinka. Sie liegt im Frontgebiet im Osten der Ukraine kurz vor der Stadt Donezk und zählte bis zum Krieg etwa 10.000 Einwohner. Ginzel begleitet Polizisten bei Evakuierungsarbeiten im Frühjahr 2022. Sie fahren mit einem weißen Rettungswagen durch die Stadt und werden deshalb "White Angels" genannt. Im Frühjahr 2023 ist Ginzel noch einmal vor Ort und spricht mit Überlebenden.

Für Christoph Terhechte, den Festivalchef, ist der Film ein "wichtiges und spannendes Dokument", das vor allem zeige, wie sehr sich "die Menschen nach Frieden sehnen".

Festival mit einem breiten Themenspektrum

Im internationalen Wettbewerb Dokumentarfilm sind 23 Filme zu sehen. Das Themenspektrum reicht von der philosophischen Rückschau auf das Leben ("While the Green Grass Grows") über queere Wildwest-Neuerzählungen ("The Wages of John Pernia") bis hin zur Nachbetrachtung der Coronazeit in Wien ("Stillstand"). Im internationalen Wettbewerb Animationsfilm sind 27 Filme versammelt. Mit dabei ein Film, der 40 Tage lang mittels Avataren vollständig in einem Videogame gedreht ist ("Knit's Island").

Im deutschen Wettbewerb sind 17 Filme aufgelistet unter anderem ein Film von Grit Lemke, der nach sorbischem Leben und Alltag fragt ("Bei uns heißt sie Hanka"). Lemke hatte zuletzt mit "Gundermann Revier" und dem Buch "Kinder von Hoy" großen Erfolg – man könnte jetzt also von einer ostsächsischen beziehungsweise sorbischen Trilogie sprechen. Terhechte resümiert, dass auffallend viele Festivalbeiträge angesichts einer Welt, die stetig neue Fragen aufwirft, nach Lehren aus der Vergangenheit suchen würden.

Sie rücken historische Bilder in neue Kontexte und stellen Interpretationen öffentlicher und privater Geschichte auf den Prüfstand.

Christoph Terhechte, Festivalleiter DOK Leipzig

Neue Preise und Wettbewerbe bei DOK Leipzig 2023

Insgesamt konkurrieren in den Wettbewerben 71 Filme um die Silbernen und Goldenen Tauben – darunter sind 35 Weltpremieren. Neu ist eine Goldene Taube für lange Animationsfilme. Künftig gibt es einen internationalen Wettbewerb für den Dokumentarfilm und einen internationalen Wettbewerb für den Animationsfilm. Dazu kommen der deutsche Wettbewerb Dokumentarfilm und ein Publikumswettbewerb. Deutsche Animationsfilme laufen künftig im internationalen Wettbewerb.

Retrospektive zu Aufständen und Revolutionen im ehemaligen Ostblock

Die Retrospektive trägt den Titel "Film und Protest – Volksaufstände im Kalten Krieg". Sie trägt visuelle Dokumente der letzten 70 Jahre zusammen, in denen Aufstände und Revolutionen gegen Regime im sowjetischen Machtbereich zu sehen sind. Vom Aufstand in der DDR 1953 angefangen über Ungarn und Prag bis zur Friedlichen Revolution und der baltischen Staatenbildung ließe sich so ein Bogen zum Maidan und dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ziehen. Von Montag bis Sonntag sind hier sieben unterschiedliche Programme versammelt. Weil der Montag diesmal der 9. Oktober ist, jener Tag, an dem 1989 in Leipzig die entscheidende Demo für einen politischen Wandel in der DDR stattfand, findet dieser Auftakt im Leipziger Hauptbahnhof seinen passenden Ort.

Im Hauptbahnhof werden – inzwischen eine schöne Tradition – während des Festivals wieder Filme kostenlos aufgeführt. Auch DOK Neuland ist weiter im Programm und zeigt im Kellergeschoss des Museums der Bildenden Künste zehn Extended-Reality-Arbeiten, die sich unter anderem mit KI auseinandersetzen und angesichts einer zerstrittenen Welt nach Utopien suchen.

Nachdenken über die Zukunft des Kinos

Muss man sich Sorgen machen? Die Eröffnung des Festivals findet nicht mehr im ganz großen Kino statt, sondern im kleineren Saal 4 des Cinestars – warum? Terhechte: "Weil das Kino 4 heute so viel kostet wie vor einigen Jahren das Kino 8." Inflation sei das Schlüsselwort, besonders in der personal- und energieintensiven Kinobranche.

Ein Mann mit kurzem weißen Haar und Brille steht vor einer grau gefliesten Wand
Steht DOK Leipzig seit 2020 als Intendant und künstlerischer Leiter vor – der Filmkritiker Christoph Terhechte Bildrechte: DOK Leipzig 2020 / Susann Jehnichen

Die Frage nach den Kinos treibt Terhechte, der das Festival seit 2020 leitet, schon seit Amtsbeginn um. Was passiert, wenn privat geführte Kinos der Streamingmode nicht mehr die Stirn bieten können und schließen müssen? Wo sind dann die Leinwände aufgespannt, die ein Festival für die Projektion der Filme zwingend braucht? Könnten hier zum Beispiel die Theater der Stadt einspringen, weil DOK Leipzig dann irgendwie auch zur öffentlich finanzierten Stadtkultur gehört? Für Terhechte gibt es zum Live-Erlebnis Kino keine Alternative.

Kinos werden überleben.

Christoph Terhechte, Festivalleiter DOK Leipzig

Notfalls auch als städtisches Filmhaus, wie es Leipzig gerade plant, um Filmkultur zu erhalten. Die Zahlen geben ihm jedenfalls recht. Nach der Coronazeit, in der DOK Leipzig teilweise hybrid stattfand, konnte das Festival im letzten Jahr mit knapp 42.000 Besuchern wieder an Vorcoronazeiten anknüpfen.

Über das Festival

DOK Leipzig
Internationales Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm
8. bis 15. Oktober 2023

Mit der Veröffentlichung des Filmprogramms ist auch der Online-Ticketverkauf für die 66. Festivaledition gestartet. Alle Jugendlichen, die in Deutschland leben und dieses Jahr den 18. Geburtstag gefeiert haben oder feiern werden, können mit ihrem KulturPass kostenfrei Tickets bekommen.

Redaktionelle Bearbeitung: tmk

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 21. September 2023 | 16:10 Uhr

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