Tierhilfe Tauben mit Handicap in Leipzig: Ehrenamtler retten Hunderte Tiere im Jahr
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24. September 2023, 08:00 Uhr
Für viele Menschen gelten Tauben immer noch als dreckige Tiere und Krankheitsüberträger. Tierfreunde aus Leipzig haben ein Herz für die Vögel und päppeln seit mehreren Jahren Tauben mit Handicap auf. Denn viele Gefahren lauern in der Stadt auf die Tiere. Doch die Ehrenamtler mussten mehrmals die Reißleine ziehen und Aufnahmestopps für ihre Taubenschläge verhängen. Auf Unterstützung durch die Stadt warten sie vergeblich.
- Tierfreunde in Leipzig helfen verletzten Tauben und erklären, welche Gefahren für die Tiere in der Stadt lauern.
- Die Ehrenamtler versorgen Hunderte Tauben im Jahr und mussten mehrmals Aufnahmestopps verhängen.
- Die Tauben-Helfer sind auf Spenden angewiesen und bekommen keine Unterstützung durch die Stadt.
Ein Dutzend Vögel flattert rasend schnell aus einem Taubenschlag, als Henrike Spoerhase aus dem Verschlag heraustritt. In den Händen hält sie eine Taube, die aufgeregt zappelt: "Das ist Rosi. Sie lebt hier in unserer Voliere für Tauben mit Handicap. Sie ist eine ganz Liebe, aber hat einen Herzfehler."
Henrike streichelt Rosi übers Federkleid und lächelt dabei: "Ich habe sie zu Hause aufgepäppelt." In freier Wildbahn könnte Rosi nicht überleben, erklärt sie. So geht es auch den anderen Tauben, die Zuflucht in der Auffangstation für verletzte und kranke Tauben in Schkeuditz gefunden haben.
Gefahren für Tauben in der Stadt
Henrike ist Mitglied im Verein Stadttaubenhilfe Leipzig, der sich um Leipziger Tauben in Not kümmert und den Tieren ehrenamtlich hilft. Sind Vögel zu stark geschwächt oder verletzt, können sie geschützt in der Handicap-Voliere leben, erklärt Henrike. Und verletzte Tauben gebe es viele, weil etliche Gefahren für Tauben in der Stadt lauern.
Viele der Tiere fliegen gegen Fensterscheiben und Autos, wodurch sie nicht selten sterben. "Die Tauben verschnüren sich auch ihre Füße mit Fäden und Haaren, die am Boden liegen. Das bekommen die Tauben nicht mehr ab. Im schlimmsten Fall sterben dann die Gliedmaßen ab", erklärt die 50-Jährige.
Geschwächte Taube von Fahrrad überfahren
Während Henrike die Taube Rosi wieder in den Taubenschlag bringt, füllt Anna Ziebell Wasser in große weiße Schalen für die Tauben zum Baden. "Kommt raus, meine Lieben, wenn ihr ein bisschen baden wollt."
Neben ihr dreht sich eine Taube mit einem Mal kontinuierlich auf dem Boden im Kreis. "Das ist eine Nervenkrankheit. Der Gleichgewichtssinn der Taube ist gestört und sie kann nicht mehr richtig picken", erklärt Anna.
Eine Radfahrerin meldete sich aufgeregt bei uns. Sie hatte eine Taube überfahren. Die Taube war so schwach vor Hunger, dass sie vor dem Fahrrad nicht wegflog.
Doch nicht nur Krankheiten schwächen die Tiere, sagt die 31-Jährige und erinnert sich an einen Unfall vor einiger Zeit: "Eine Radfahrerin meldete sich aufgeregt bei uns. Sie hatte eine Taube überfahren. Die Taube war so schwach vor Hunger, dass sie vor dem Fahrrad nicht weg flog", erklärt Anna. Die Taube sei schließlich so stark verletzt worden, dass sie eingeschläfert werden musste.
Hungernde Tauben mitten in der Stadt?
Aber finden Tauben nicht genug Futter in der Stadt? "Tauben fressen nur aus Not Speisereste wie Pommes oder Fleisch. Tauben sind eigentlich Pflanzenfresser und ernähren sich von Körnern", erklärt Henrike Spoerhase. Doch die könnten sie in den Städten selten finden. Die Essensreste der Menschen stattdessen führen zu einer Mangelernährung. Die Vögel seien dadurch oft so geschwächt, dass sie vor Raubvögeln wie Falken oder Krähen, nicht mehr flüchten können.
Tauben fressen nur aus Not Speisereste wie Pommes oder Fleisch. Tauben sind eigentlich Pflanzenfresser und ernähren sich von Körnern.
Kein einfaches Leben für Tauben in der Stadt. Das spiegele sich auch in ihrer Lebenserwartung wieder, erklärt Henrike. "Normalerweise können Tauben bis zu 15 Jahre leben. In der Stadt sterben sie relativ schnell innerhalb von zwei bis drei Jahren", sagt sie.
Aufnahmestopp: Mehr als 300 Notfälle im Jahr
Auch deswegen habe der Verein alle Hände voll zu tun, fügt Anna hinzu. 2021 hatten die Ehrenamtler ihr zufolge rund 300 Tauben-Notfälle aufgenommen. "Vergangenes Jahr und dieses Jahr mussten wir einen Aufnahmestopp ausrufen", sagt Anna. Wenn es zu viel wird, fehlten die Helfer und der Platz in den Taubenschlägen und Vogelvolieren.
Tauben-Tinder zur Genesung
Doch die Taubenfreunde in Leipzig unterstützten sich da auch in der Not, sagt die Ehrenamtlerin. Man sei gut vernetzt und schaue, in welchem Taubenschlag noch ein Platz frei ist oder welcher Helfer ein Tier zu Hause pflegen kann.
"Es gibt auch eine Partnersuche für Tauben", sagt Anna. "Sozusagen Tauben-Tinder", fügt Henrike hinzu und lacht. Aber das habe einen ernsthaften Hintergrund, erklärt sie: "Die Genesung funktioniert wie beim Menschen besser, wenn man nicht einsam ist."
Unterstützung durch die Stadt fehlt
Bei den vielen Tauben-Notfällen wäre Unterstützung hilfreich, sagt Anna. Doch die bekomme die Stadttaubenhilfe neben Spenden nur von der Deutschen Bahn für den Taubenschlag am Bayerischen Bahnhof. Kann die Stadt da nicht helfen? Wie das Veterinäramt der Stadt Leipzig auf Anfrage von MDR SACHSEN mitteilt, gebe es dafür keine Fördermittel. Diese gebe es nur für Heimtiere. Da Stadttauben aber als Wildtiere gelten, sehe die Stadt die Taubenhilfe als "keine öffentliche Aufgabe, sondern eine Frage des privaten Engagements."
Überhaupt setzt die Stadt Leipzig beim Thema Tauben eher auf Abwehr. Tauben seien gemäß Infektionsschutzgesetz als Gesundheitsschädlinge eingestuft, heißt es von der Stadtverwaltung. Das Füttern von Tauben ist in Leipzig verboten. Ein Verstoß kostet bis zu 5.000 Euro. Zudem sind Eigentümer aufgefordert, sogenannte tierschutzgerechte Vergrämungsmaßnahmen zu treffen, wenn sich Taubenschwärme an den Gebäuden ansiedeln. Das heißt: Stachelbänder werden auf Fensterbänken oder Bereichen installiert, die den Tauben zum Sitzen oder Nisten dienen könnten.
Helfer immer willkommen
Doch gerade solche Stachelbänder können Tauben verletzen, betont Anna Ziebell. Trotz der hohen monatlichen Kosten von bis zu 1.000 Euro ist die Stadttaubenhilfe Leipzig froh über die vielen ehrenamtlichen Helfer. "Jeder kann kranken und verletzten Tauben helfen. Wir freuen uns immer wieder auf neue Helfer", sagt Anna. Nachdem sie die Tauben gefüttert haben, schauen Anna und Henrike noch einmal auf ihre Schützlinge. Dann machen sie die Voliere hinter sich zu.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Leipzig | 25. September 2023 | 15:30 Uhr
Anni22 am 24.09.2023
Die Tauben könnten ja auch woanders (aufs Land) hinziehen. Aber irgendwie wohnen die halt gerne in der Stadt. Und da nehmen die sogar regelrecht überhand. Vielleicht liegt da ja eher das Problem?!
astrodon am 24.09.2023
Ohne Reduzierung und Begrenzung auf deutlich niedrigerem Niveau wird das nichts. Evtl. muss man doch mal in Augsburg nachfragen, wie das geht ...
randdresdner am 24.09.2023
Ein sehr schöner Artikel. Bitte noch mehr davon!