Marikka Fiedler und Astrid Mosebach-Hippe waren Patientinnen im Kopfzentrum Leipzig und behaupten: Dort seien chirurgische Eingriffe abgerechnet worden, die es gar nicht gegeben habe.
Marikka Fiedler (Mitte) und Astrid Mosebach-Hippe (rechts) waren Patientinnen im Kopfzentrum Leipzig und behaupten: Dort seien Operationen abgerechnet worden, die es gar nicht gegeben habe. Beide hatten sich ihre Nasen operieren lassen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Vorwürfe gegen Praxis Schwere Vorwürfe gegen Kopfzentrum Leipzig: Betrug bei Abrechnungen?

06. Mai 2022, 05:00 Uhr

Unnötige oder schiefgelaufene Operationen, Verstöße gegen das Recht auf freie Therapeutenwahl: Die Liste der Vorwürfe gegen das Kopfzentrum und die Acqua Klinik aus Leipzig ist lang. MDR exakt recherchiert dazu bereits seit mehr als einem Jahr und ist nun auf einen neuen Vorwurf gestoßen: Abrechnungsbetrug bei der OP an der Nase. Es soll Geld für Eingriffe verlangt worden sein, die gar nicht stattgefunden haben.

Zwei Frauen erheben schwere Vorwürfe gegen das Kopfzentrum in Leipzig. Marikka Fiedler und Astrid Mosebach-Hippe waren Patientinnen in der Hals-Nasen-Ohren-Klinik in Leipzig und behaupten: Dort seien chirurgische Eingriffe abgerechnet worden, die es gar nicht gegeben habe. Aufgefallen sei das beim Blick in die Abrechnungsunterlagen ihrer Krankenkassen im Nachgang der Operationen an der Nase.

MDR exakt recherchiert schon länger zu Vorwürfen rund um das "Leipziger Kopfzentrum" und dessen Geschäftsführer Professor Gero Strauß. Das medizinische Versorgungszentrum betreibt im Osten Deutschlands HNO-Praxen. Die Frage lautet nun: Kam es zu Abrechnungsbetrug?

Die Frauen kennen sich, beide wurden von Professor Strauß jeweils zweimal an der Nase operiert. Weil sie mit dem Ergebnis unzufrieden sind, laufen zivilrechtliche Verfahren wegen vermeintlicher Behandlungsfehler. Ihre Wahrnehmung: "Die Nase ist härter geworden, sie lässt sich nicht biegen. Und auch die Haut ist nicht mehr da", sagt Marikka Fiedler. Astrid Mosebach-Hippe hat Bedenken, dass etwas an ihrer Nase zerbrechen könnten, sobald sie zu doll mit dem Taschentuch dort rangehe und dann "das ganze Drama wieder von vorne losgeht".

Patientinnen: Abgerechnete Eingriffe hätten nicht stattgefunden

Neben diesen Operationen hat das Kopfzentrum noch weitere Eingriffe geltend gemacht, die die beiden Frauen nicht nachvollziehen können. In ihren Abrechnungsunterlagen findet Astrid Mosebach-Hippe für den 28.11.2017 folgende Einträge: Operative Eingriffe der Hals-, Nasen- und Ohrenchirurgie und eine Überwachung im Anschluss an einen operativen Eingriff. Gesamtsumme: 236,73 Euro. "Es war kein Instrument in meiner Nase", sagt Mosebach-Hippe. Sie habe auch keine Unterschrift für eine Zustimmung des Eingriffs geleistet. Insgesamt geht es um chirurgische Eingriffe an drei verschiedenen Tagen, an denen, so sagt sie, nur Kontrollen oder Beratungsgespräche bei Professor Strauß stattgefunden haben sollen.

Eine ganz ähnliche Geschichte hören wir von Marikka Fiedler: Für den 5.10.2017 rechnet das Kopfzentrum unter anderem Eingriffe der HNO-Chirurgie und eine postoperative Überwachung ab: Insgesamt 221,76 Euro. "Ich kann mich auch sehr gut an den Tag erinnern, dass das nicht der Fall war. Und auch kein anderer Eingriff", sagt Marikka Fiedler "Ich war nur so cirka 15 Minuten in der Praxis."

Professor Strauß: Medizinische Dokumentation belege Eingriffe

Die beiden Frauen haben sich dann laut eigener Aussage unterhalten und sich gewundert: "Spätestens, als du dann auch die Unterlagen hattest", sagt Astrid Mosebach-Hippe zu Marikka Fiedler.

Es ist ja schon merkwürdig, dass das bei uns beiden passiert sein soll und wir beide uns nicht mehr erinnern können.

Astrid Mosebach-Hippe

Beide Frauen bezweifeln Abrechnungen, die fast 1.000 Euro ausmachen. MDR exakt kontaktiert Professor Strauß, der uns zu den Vorwürfen schriftlich antwortet: "Für Kopfzentrum ist die Richtigkeit der Abrechnung, der von uns erbrachten Leistungen von oberster Priorität." Die medizinische Dokumentation, so schreibt er weiter, würde die Eingriffe eindeutig bestätigen.

Bei Astrid Mosebach-Hippe seien mit einer speziellen Technik bei allen drei Terminen, Teile der unteren Nasenmuschel verkleinert worden. Bei Marikka Fiedler hätte am strittigen Tag eine sogenannte Muschelkaustik stattgefunden, so schreibt es Professor Strauß. Dabei seien nach einer lokalen Betäubung mit Hilfe eines speziellen Lasers, Gewebeteile der unteren Nasenmuschel verkleinert worden.

Sowohl Marikka Fiedler als auch Astrid Mosebach-Hippe bestreiten, dass diese Eingriffe stattgefunden haben und versichern dies auch eidesstaatlich. "Uns wäre es lieber, das wäre nie passiert, das wäre nie aufgefallen. Aber wir können das ja nicht unter den Tisch fallen lassen", so Mosebach-Hippe. Es steht also Aussage gegen Aussage.

Die Vorwürfe gegen das Kopfzentrum und Professor Strauß

Es ist nicht der erste Vorwurf, der gegenüber dem Kopfzentrum geäußert wird. MDR exakt berichtet darüber bereits seit einem Jahr und hat etwa in einer Filiale Verstöße gegen das Recht auf Therapeutenwahl dokumentiert. So hieß es gegenüber einem Reporter, der mit versteckter Kamera gefilmt hatte, dass es Verschreibungen für bestimmte Therapien nur gebe, wenn sie hausintern eingelöst werden. Einen solchen Zwang bestreitet Professor Strauß damals in einem Interview.

Außerdem zeigen interne Dokumente: Ärzte sind angehalten eine gewisse Anzahl von Operationen zu verordnen. Mindestens 20 pro Monat und sechs pro Woche. Das sei Teil des Qualitätsmanagements, erklärt Professor Strauß damals. Alle OP-Indikationen folgten klaren Richtlinien. Eine ehemalige Ärztin des Kopfzentrums äußerte damals: Geld zu verdienen, stehe dort über dem Patientenwohl. Sie habe das Gefühl, dass im Kopfzentrum unnötige Operationen passiert sind. Die bisherige Berichterstattung interessiert auch die Staatsanwaltschaft Leipzig. Nähere Auskünfte seien aber zurzeit nicht möglich. Doch in allen Fällen gilt zunächst die Unschuldsvermutung.

Geschätzter Milliardenschaden durch Abrechnungsbetrug im Gesundheitssystem

Abrechnungsbetrug verursacht dem deutschen Gesundheitssystem jährlich einen geschätzten Milliardenschaden. Hans Lilie, Professor für Straf- und Medizinrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, meint: Speziell der Ärzteschaft würde beim Thema Abrechnungen ein großer Vertrauensvorschuss entgegengebracht. "Die Verwerflichkeit beim Abrechnungsbetrug liegt darin, dass dieses Vertrauen, das in die Ehrlichkeit des einzelnen Arztes und der einzelnen Ärztin gestellt wird, dann oft krass missbraucht wird." 

Im schlimmsten Fall drohen bis zu zehn Jahre Haft oder der Verlust der ärztlichen Zulassung. Dennoch nehme Abrechnungsbetrug zu, so Lille: "Inzwischen ist es ein Gegenstand geworden, der so stark in der Strafverfolgung eine Rolle spielt, dass Staatsanwaltschaften Spezialistinnen und Spezialisten ausgebildet haben, um eine maximale gute Strafverfolgung zu ermöglichen."

Experte bezweifelt Belege der Eingriffe durch Bilder

Nochmal zu Marikka Fiedler und Astrid Mosebach-Hippe: Beide behaupten, das Kopfzentrum habe Operationen abgerechnet, die es nie gab. Professor Strauß will MDR exakt das Gegenteil beweisen und Op-Bilder von den strittigen Eingriffen zeigen. Den vereinbarten Termin sagt Professor Strauß per Mail wegen einer kurzfristig notwendigen Operation ab.

In der Mail hat er die Bilder allerdings angehängt – zu jedem Eingriff ein Foto. Reicht das als Beleg? MR exakt zeigt die Bilder Dr. Andree Schwerdtner, Vorsitzender des Landesverbandes der HNO-Ärzte Sachsen: "Die untere Nasenmuschel ist auf diesem Foto nicht erkennbar." Also genau jene Region, wo der Eingriff stattgefunden haben soll.

Insgesamt hätten alle Fotos keinerlei Aussagekraft, sagt der HNO-Arzt. "Dazu ist es zwingend nötig, natürlich auch das Instrument mit abzubilden, was dort zur Anwendung kam", sagt Dr. Andree Schwerdtner. So sei es kein wirklich schlüssiger Beweis für den Ort der Behandlung und womit behandelt worden sein soll. So "bleiben zumindest Fragen offen."

Medizinische Dokumentation manipuliert?

Professor Strauß hat in seiner Mail auch Auszüge aus der medizinischen Dokumentation gesendet. Bei Astrid Mosebach-Hippe zeigt zum Beispiel ein Eintrag: Sie wurde über den Eingriff aufgeklärt und hat dafür ihr Einverständnis erteilt. Doch sie hatte bereits 2018 einen vollständigen Auszug ihrer Patientenakte angefordert. Aber: Der Absatz zu Aufklärung und Einwilligung findet sich nur in dem Dokument, welches Professor Strauß nun an MDR exakt geschickt hat. Diese Ergänzungen entdecken wir auch bei Marikka Fiedler.

Auf Anfrage von MDR exakt antwortet Professor Strauß dazu schriftlich: "Ich gehe davon aus, dass die Ihnen vorliegenden Auszüge aus den medizinischen Daten nicht vollständig den Auszügen entsprechen, die ich Ihnen zur Verfügung gestellt habe." Das hätte wohl damit zu tun, dass es sich hier nur um kleinere chirurgische Eingriffe handelt. Insgesamt sei sein Dokumentationssystem manipulationssicher.

MDR exakt hat mehrere HNO-Ärzte und auch Juristen gefragt, was sie davon halten. Die Antwort: Das alles sei wenig plausibel. Der Vorwurf ist damit aber nicht bewiesen. Dies kann nur im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen erfolgen. Doch die Aussagen könnten das Unternehmen erneut in Erklärungsnot bringen.

Quelle: MDR exakt/mpö

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 04. Mai 2022 | 20:15 Uhr

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