Meinung zu Gast - von Annette Binninger, stellvertretende  Chefredakteurin der  Sächsischen Zeitung zum Thema Veränderungen 4 min
Audio: Aus alt mach neu – die Sachsen brauchen mehr Mut zur Veränderung, mahnt unsere Gastautorin. Bildrechte: David Pinzer Fotografie / IMAGO/Arnulf Hettrich / MDR

"Meinung zu Gast" Stillstand in Sachsen vermeiden – mehr Mut zur Veränderung

17. November 2023, 10:59 Uhr

"Meinung zu Gast"-Autorin Annette Binninger kritisiert, dass sich viele Sachsen zu sehr über Stillstand freuen, wenn die Veränderung doch gerade so viel Neues ermöglicht von der Mobilität, über Energie bis hin zu neuen Technologie-Arbeitsplätzen.

Manchmal ist die Angst vor Veränderung, vor allem Fremden so groß, dass manche am liebsten noch Fenster und Türen schließen würden. Angst ist dabei der Treiber. Angst vor allem, was anders ist, als man es kennt.

Was fehlt, ist der Mut zur Veränderung in diesen hektischen, krisenhaften, verunsichernden Jahren. Gerade jetzt darf man nicht stehenbleiben, sondern braucht den Mut, nach vorne zu gehen. Etwas zu wagen. Anstatt sich festzuklammern an das Wenige, was für die Zukunft nicht ausreicht.

Meinung zu Gast In der Rubrik "Meinung zu Gast" analysieren und kommentieren Medienschaffende aus Mitteldeutschland Transformations- und Veränderungsthemen: faktenbasiert, pointiert und regional verortet. Die Beiträge erscheinen freitags auf mdr.de und in der MDR AKTUELL App. Hören können Sie "Meinung zu Gast" dann jeweils am Sonntag im Nachrichtenradio MDR AKTUELL.

Bremse für jede neue Entwicklung

Es mag menschlich verständlich sein, wenn in Zeiten großer Umbrüche, Krisen und Kriege eine Sehnsucht danach besteht, Vertrautes zu erhalten, Anderes und andersartige Menschen aus anderen Kulturen abzuweisen, sich einzurichten und zu umgeben mit dem, was man eben kennt. Das gilt für Politiker, Parteien, Organisationen aller Art – aber vor allem für jede einzelne Bürgerin und jeden Bürger.

Blumen in bunten Farbtöpfen.
Konservativ sollte nicht zur Konserve werden: Es muss auch Neues wachsen können. Bildrechte: IMAGO / Arnulf Hettrich

Doch wer immer Nein sagt und damit indirekt fordert, dass alles so bleibt, wie es schon immer war, der wird zur Bremse für jede neue Entwicklung.

Wer das tut, ist nicht im guten Sinne konservativ, sondern eher wie eine Konserve, die zwar über Jahrzehnte allen Stürmen der Zeit trotzen kann, aber deren Inhalt nach dem Öffnen dann trotzdem fade und grau schmeckt.

Schlecht Reden und heimliche Freude über Stillstand

Es geht um ein Phänomen, das in jüngster Zeit immer häufiger in der politischen Debatte zu hören und zu sehen ist – auch in Sachsen. Es wird nicht nur schon seit längerer Zeit viel zu viel schlechtgeredet – von Absturz, Deindustrialisierung, Staats- und Demokratie-Versagen ist da pauschal und leichtfertig die Rede. Sondern es wird nahezu reflexartig alles abgelehnt, was neu und oder anders ist.

Ob es um eine Impfung geht – für oder gegen die sich jeder Mensch entscheiden kann. Oder um ein Windrad – da gibt es mittlerweile schon eine nahezu heimliche Freude über jedes, das verhindert werden kann. Obwohl der Ausbau erneuerbarer Energien längst eine Standort-Bedingung ist – beispielsweise auch dafür, dass sich Chip-Giganten wie Intel oder TSMC in Sachsen-Anhalt und Sachsen ansiedeln.

Viele freuen sich über jedes scheinbar gewonnene Jahr, das man noch nicht aus der Kohle zur Energie-Gewinnung aussteigen muss. Anstatt klar und ermutigend den Blick nach vorne zu lenken – auf die Neugestaltung einer Zukunft mit neuen Arbeitsplätzen, die anders sein werden, aber doch Wohlstand und eigenen Status sichern helfen. Wo ist da die Vision? Wo trägt da der Mut zur Veränderung glaubwürdig vor allem die Menschen, die sie unmittelbar betrifft?

Annette Binninger
Bildrechte: David Pinzer Fotografie

Annette Binninger Annette Binninger ist Politik-Chefin und stellvertretende Chefredakteurin der in Dresden erscheinenden "Sächsischen Zeitung". In der Reihe "Meinung zu Gast" kommentiert sie als Gastautorin Transformations- und Veränderungsthemen in Mitteldeutschland.

Energie und Mobilität: Sachsen bleiben lieber beim Alten

Oder ein Blick auf den Verkehr: Nur elf Prozent der Sachsen würden sich derzeit für den Kauf eines Elektro-Autos entscheiden. Das ist ein Ergebnis des "Mobilitätskompass" der "Sächsischen Zeitung" – an der Befragung haben rund 9.000 Menschen in Sachsen teilgenommen. Sicher, die geringe Reichweite, dafür ein hoher Preis, sind noch weitgehend abschreckend. Aber ausgerechnet in dem Bundesland, in dem die meisten E-Autos gebaut werden? Ausgerechnet dort heißt es trotzig, dass man stolz darauf ist, einen Diesel zu fahren?

Und warum musste es erst eine Gas- und Energie-Krise geben bis klar war: Veränderung geht eigentlich ganz leicht. Energiesparen, Wärmepumpe statt Ölheizung und das schon legendäre eigene Balkonkraftwerk.

Oder das Deutschlandticket. Wie viele Jahre ist in wie vielen Bundesländern an Konzepten gearbeitet worden, um ein Ticket zu vereinheitlichen, dass durch alle Tarifzonen hindurch gilt – plötzlich ist es da, quasi über Nacht. Geht doch? Ja, geht doch!

Wo ist die Lust und Neugierde auf Künstliche Intelligenz. Bei allen Gefahren und Gefahren des Missbrauchs – aber sollte man nicht zu aller erst an die Chancen denken?

Wer dicht macht, wird damit scheitern

Das gilt übrigens auch für das Thema Zuwanderung. Ja, jede Veränderung braucht das richtige Tempo. Sie darf diejenigen, die sie vollziehen sollen und müssen, nicht überfordern. Jede Veränderung braucht zuvor Diskussion, Argumentation, Abwägung und Entscheidungen. Aber vor allem: ein behutsames Mitnehmen auf den Weg.

Wer sich verschließt und dichtmacht, um alles andere fernzuhalten, wird damit scheitern. Wie wäre es da mal mit einer Portion Zuversicht und Neugier auf die Zukunft und ihre Chancen – vor allem aber brauchen wir mehr Mut zu Veränderung.

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Redaktioneller Hinweis Kommentare geben grundsätzlich die Meinung des Autors oder der Autorin wieder und nicht die der Redaktion.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 19. November 2023 | 09:35 Uhr

26 Kommentare

wo geht es hin vor 23 Wochen

"Eine Veränderung ist immer notwendig, Stillstand wird teuer."
Diese "Veränderung" ist laut Frau Binninger aber auch teuer und die muss man sich erst mal leisten können.
Und wenn diese "Veränderungen" sich dann als kontraproduktiv und den sozialen Frieden gefährdent herausstellen - was ist bitteschön daran "notwendig"?

Vogtlaender666 vor 23 Wochen

Danke für den Kommentar. Auch wenn es einigen nicht passt , so ist es aber die Wahrheit. Eine Veränderung ist immer notwendig, Stillstand wird teuer. Das zeigt uns schon die Jahre Merkel- Regierung.

wo geht es hin vor 23 Wochen

Frau Binninger: ich habe mir mal Ihren Lebenslauf angeschaut. Sie haben Ihr gesamtes Leben entweder im Hörsaal oder in einer Redaktionsstube verbracht. Wie kommen Sie darauf, daß ich von jemandem wie Sie, die das wahre Leben doch gar nicht kennt, "mitgenommen" werden möchte? Dabei vergessen Sie zu erwähnen, wohin Sie uns eigentlich "mitnehmen" wollen - und sei es nur "behutsam" - was immer auch das bedeuten soll. Auf jeden Fall möchte ich nicht in die Welt "mitgenommen" werden, von der Sie ganz offensichtlich träumen. Mir wäre es schon ausreichend, wenn endlich wieder Ordnung und Stabilität im Lande herrschen würde. Die gibt es in Ihrer Traumwelt nämlich nicht. Dafür aber jede Menge teure Ratschläge, die nur zeigen, daß Sie überhaupt keine Ahnung haben, was das in einem Menschen auslöst, der tagtäglich um die nackte Existenz kämpfen muss.
Es wäre besser gewesen, Sie hätten Ihre Propaganda bei der SZ gelassen, bei der mir wenigstens noch die Wahl bleibt, ob ich es kaufe oder nicht.

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