Lehrer und Schüler an einem Tisch
Sogenannte Lerngruppen in Sachsen haben sich in der Corona-Zeit gegründet - einige überdauern offenbar bis heute. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Shotshop

Illegale Schulen Nach Corona mehr Verstöße gegen Schulpflicht in Sachsen

20. März 2024, 16:48 Uhr

In der Corona-Zeit sind in Sachsen immer mehr sogenannte Lerngruppen gegründet worden, darunter von sogenannten Querdenkern oder Impfgegnern. Doch auch heute lassen einige Eltern ihren Nachwuchs offenbar abseits der öffentlichen Schulen unterrichten. Dafür sprechen auch die steigenden Zahlen von Verstößen gegen die Schulpflicht. Doch die zuständigen Behörden tun sich schwer im Umgang mit mutmaßlich illegalen Schulen.

In Sachsen nimmt die Zahl der Verstöße gegen die Schulpflicht offenbar weiter zu. Allein im Landkreis Mittelsachsen registrierte das zuständige Landratsamt im vergangenen Jahr 561 Verstöße, wie eine Sprecherin MDR SACHSEN sagte. In fast 300 Fällen wurden demnach im vergangenen Schuljahr Ordnungsgwidrigkeitenverfahren eingeleitet und rund 80.000 Euro Verwarn- und Bußgelder verhängt.

Zum Vergleich: 2021 waren es den Angaben zufolge noch 336 Verstöße (2022: 508 Verstöße). Damit setze sich der Aufwärtstrend nach der Corona-Pandemie fort. Allerdings war 2021 die Schulpflicht zeitweise wegen Corona ausgesetzt. Die Landkreise können in Sachsen Bußgelder bis zu 1.250 Euro verhängen, wenn die Schulpflicht verletzt wird.

Blick in eine Schulklasse, Kinder melden sich.
An den Schulen in Sachsen verschlechtert sich das Klima. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / YAY Images

Viele Schulverstöße in Sachsen an Ober- und Berufsschulen

Auch sachsenweit stieg die Zahl der Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen Schulverweigerer nach Angaben des Kultusministeriums nach Corona wieder an - von rund 4.500 im Jahr 2021 auf fast 6.800 im Jahr 2022. Eine genaue Erklärung für die Schulverweigerung gibt es laut Ministerium nicht. Die Eltern müssen den Behörden den Angaben nach nicht offenbaren, warum sie ihre Kinder nicht zur Schule schicken. Was auffällt: Gut zwei Drittel der Ordnungswidrigkeitenverfahren betreffen Schülerinnen und Schüler an Oberschulen und Berufsbildenden Schulen. An Gymnasien ist die Zahl der Verfahren dagegen sehr gering.

Behörden offenbar machtlos gegen illegale Lerngruppen

Schon vor mehr als einem Jahr hatte sich der MDR mit dem Thema befasst und auch mit Betroffenen gesprochen, die ihre Kinder nicht in staatliche oder Freie Schulen schicken, sondern in kleineren Gruppen unterrichten. Auch die "Freie Presse" in Chemnitz machte damals schon auf eine Lerngruppe in Neudorf im Erzgebirge aufmerksam - auf die sogenannte "Huss-Schule". Doch bis heute haben die Behörden offenbar keine rechtlichen Schritte gegen mutmaßlich illegale Beschulung unternommen.

Das Landratsamt im Erzgebirgskreis teilte auf Anfrage mit, Verstöße gegen die Schulpflicht würden mit Bußgeldern geahndet, im vergangenen Jahr mehr als 400 Mal. Auch hier sei die Zahl der Verstöße gestiegen. "Der Landkreisverwaltung ist lediglich mittelbar aus beim Amtsgericht anhängenden Einspruchsverfahren gegen Bußgeldbescheide bekannt, dass einzelne Kinder in Neudorf (Spindelfabrik) betreut werden (laut Aussagen der Sorgeberechtigten vor dem Amtsgericht)."

Jürgen Huss als Vermieter der Räumlichkeiten bis Mittwochnachmittag ließ eine Anfrage bislang unbeantwortet. Auch der Verein Wurzelwerk als mutmaßlicher Betreiber der sogenannten Huss-Schule war nicht zu erreichen. Eine weitere illegale Schule, die es nach Informationen der "Freien Presse" im Raum Freiberg geben soll, ist den Behörden nicht bekannt, wie eine Sprecherin des Landkreises Mittelsachsen auf Anfrage von MDR SACHSEN mitteilte.

Keine Genehmigungen von mutmaßlich illegalen Schulen beantragt

Das Kultusministerium teilte auf Anfrage mit, bislang sei nach Prüfung durch das Landesamt für Schule und Bildung (Lasub) immer festgestellt worden, dass Lerngruppen, die von Dritten als illegale Schulen bezeichnet wurden, keine solchen seien. "Eltern, die ihre Kinder außerhalb der üblichen Unterrichtszeit zuhause oder gemeinsam mit anderen Kindern in einer Räumlichkeit betreuen, betreiben deswegen noch keine Schule."

Zuständig für die Verfolgung von Verstößen gegen die Schulpflicht sind nach Angaben des Kultusministeriums die Städte und Landkreise. Auch Lasub-Sprecher Clemens Arndt verweist darauf. Die Lasub selbst könne nicht jedem Hinweis auf eine nicht genehmigte alternative Schule nachgehen. Bislang habe die "Huss-Schule" in Neudorf auch keinen Antrag auf Genehmigung gestellt.

Piwarz sieht "Übergriffigkeiten" im Schulalltag mit Sorge

Seit Corona hat sich offenbar auch das Klima an vielen Schulen verschlechtert. Sachsens Kultusminister Christian Piwarz sagte nach einer Kabinettssitzung in Dresden, nach der Corona-Zeit habe es eine Zunahme an Gewaltdelikten gegeben. Es bestehe eine "Übergriffigkeit" nicht nur zwischen Schülern untereinander, sondern auch gegenüber Lehrkräften – das gelte auch von Eltern gegenüber Lehrkräften. Autoritäten würden weniger akzeptiert, als das für ein gutes Miteinander an Schulen notwendig und wünschenswert wäre. 

"Wir müssen da mit der ganzen Härte des Rechtsstaates hinterher", sagte Piwarz. Die Schulen seien angehalten, solche Vorfälle zu melden und Anzeige zu erstatten. "Diese Konsequenz ist notwendig." Schule sei aber nie losgelöst von dem, was in der Gesellschaft passiere. Auch innerhalb der Gesellschaft zählten Autoritäten heute weniger. Als Beispiel nannte Piwarz Angriffe auf Rettungssanitäter. "Umso wichtiger ist, dass wir dafür sorgen, dass Schulen weiterhin sichere Orte bleiben, beispielsweise durch eine gute Präventionsarbeit." In jedem Fall gebe es eine Null-Toleranz-Strategie.

Christian Piwarz (CDU), Kultusminister von Sachsen, nimmt an einer Pressekonferenz anlässlich des bevorstehenden Schuljahresbeginn 2023/24 teil.
Kultusminister Christian Piwarz sprach im Kabinett von "Übergriffgkeit" an Sachsens Schulen. Es seien sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte betroffen. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Sebastian Kahnert

Wir müssen da mit der ganzen Härte des Rechtsstaates hinterher.

Christian Piwarz (CDU) Kultusminister Sachsen

Das Landeskriminalamt hatte unlängst Zahlen zu den Gewaltdelikten wie Bedrohungen, Nötigungen und Körperverletzungen an sächsischen Schulen mitgeteilt. Demnach wurden 2022 insgesamt 1.976 Fälle von Straftaten an Schulen und auf Schulhöfen registriert. Das ist ein starker Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 55,8 Prozent. Allerdings war der Schulbetrieb in Zeiten der Corona-Pandemie auch eingeschränkt, was das Ausmaß des Zuwachses erklärt. Bezogen auf das Jahr 2019 betrug der Anstieg nur 3,8 Prozent.

Update 20.3, 17:00 Uhr: Eine Stellungnahme des Erzgebirgskreises zum Umgang mit Schulverstößen und einer mutmaßlich illegalen Schule wurde ergänzt.

MDR (kbe)/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 12. März 2024 | 20:00 Uhr

Mehr aus Sachsen