Handfeuerwaffe, Munition und Waffenbesitzkarte
Etwa 50 Mitglieder der AfD in Thüringen besitzen eine waffenrechtliche Erlaubnis. Bildrechte: picture alliance/dpa | Patrick Pleul

Extremismus AfD-Mitgliedschaft und Waffenentzug: Warten auf das Bundesverwaltungsgericht

26. Mai 2023, 13:22 Uhr

Der Thüringer Innenminister möchte allen AfD-Mitgliedern die Waffenbesitzkarten entziehen. Wie kompliziert das ist, zeigt ein Gerichtsurteil aus Sachsen-Anhalt. MDR THÜRINGEN hat bei Rechtsexperten nachgefragt und einen Fall genauer unter die Lupe genommen.

Post von der Waffenbehörde bekam Martin Schubert (Name von der Redaktion geändert) Mitte des vergangenen Jahres. "Das Landratsamt beabsichtigt, den Ihnen erteilten Waffenschein zu widerrufen", stand in dem Brief. Schuberts "Zuverlässigkeit für den Fortbestand einer waffenrechtlichen Erlaubnis" sei "weggefallen". Als Begründung nannte die Behörde dessen "Mitgliedschaft im Landesverband Thüringen der AfD". Zwei Wochen habe er Zeit für eine Stellungnahme.

Ob Martin Schubert seinen Waffenschein tatsächlich zurückgeben muss, ist unklar. Grund dafür ist das Fehlen eines höchstrichterlichen Gerichtsurteils zur Frage, ob eine AfD-Parteimitgliedschaft den Entzug von Waffenbesitzkarten rechtfertigt.

Wer ist betroffen?

Der Versuch von Innenminister Georg Maier (SPD), den Waffenbesitz von allen AfD-Mitgliedern und -Unterstützern im Freistaat zu unterbinden, geht auf einen Erlass des Ministers aus dem vergangenen Juli zurück. Darin beruft er sich auf die Einstufung der Thüringer AfD als "erwiesen rechtsextremistische Bestrebung" durch den Verfassungsschutz sowie auf eine Änderung des Waffenrechts. Seit 2020 gelten Extremisten als "in der Regel waffenrechtlich unzuverlässig". Dazu heißt es auf der Homepage des ebenfalls SPD-geführten Bundesinnenministeriums: "Die Waffenbehörden können ihnen beantragte Erlaubnisse verweigern sowie bereits erteilte Erlaubnisse entziehen. Dies gilt auch, wenn die betreffende Vereinigung nicht verboten ist."

Das Thüringer Innenministerium geht von "über 1.000 AfD-Mitgliedern im Freistaat" aus. "Mit Stand September 2022 verfügten circa 50 dieser Mitglieder über eine waffenrechtliche Erlaubnis", teilte die Behörde mit. So wie bei Martin Schubert wurden bei diesen Waffenscheinbesitzern Zuverlässigkeits-Prüfungen eingeleitet. Eine "Handvoll" dieser Verfahren seien inzwischen eingestellt worden, sagte ein Sprecher der Thüringer AfD auf MDR-Anfrage. Laufende Gerichtsverfahren gebe es nach seiner Kenntnis keine.

Zum Aufklappen: Was ist der Unterschied zwischen Waffenschein und Waffenbesitzkarte

Ein Waffenschein berechtigt eine Person, eine Waffe in der Öffentlichkeit zu tragen. Dafür muss ein begründetes Bedürfnis nachgewiesen werden, wie etwa bei einem Bewachungsunternehmer oder der Gefahr für Leib und Leben auch außerhalb der eigenen Wohnung oder von Geschäftsräumen. Allerdings muss für das Schießen der Schusswaffe ein Erlaubnisschein zusätzlich beantragt werden.

Umgangssprachlich wird der Waffenschein oft mit der Waffenbesitzkarte gleichgesetzt. Diese erlaubt ihrem Besitzer lediglich den Kauf und den Besitz von Schusswaffen und Munition. Die Waffenbesitzkarte erlaubt allein den Erwerb und Besitz einer Waffe, nicht jedoch das Mitführen der Waffe in der Öffentlichkeit. Vielmehr müsse die Waffe und die dazugehöre Munition getrennt voneinander transportiert werden. Art, Anzahl und Kaliber der Schusswaffen müssen von der zuständigen Behörde auf ihr vermerkt werden.

23 Seiten Verfassungsschutz-Vermerk

Das Schreiben, das AfD-Mitglied Schubert von seiner Waffenbehörde bekommen hat, ist nur eineinhalb Seiten lang. Der Anhang - datiert auf den Mai 2022 - umfasst hingegen 23 Seiten. Bei diesem Dokument handelt es sich um einen Vermerk des Thüringer Verfassungsschutzes "zur Weitergabe an die unteren Waffenbehörden". Darin wird ausgeführt, weshalb die Thüringer AfD aus Sicht des Geheimdienstes eine "rechtsextremistische Bestrebung" darstellt, "die den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" entgegensteht. Gemeint sind Verstöße gegen die Menschenwürde sowie gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip.

Um diese zu belegen, listet die Behörde zahlreiche Zitate auf, die unter anderem aus Parteiprogrammen oder "Reden führender Funktionäre" stammen. Zum Thema Fremdenfeindlichkeit notierten die Verfassungsschützer: "Vertreter der AfD setzen Ausländer in Deutschland in einen direkten und pauschalisierenden Zusammenhang mit Gewaltkriminalität, wodurch eine menschwürdewidrige Unterscheidung zwischen Menschen getroffen wird." So sagte etwa der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke: "Ich will keine multikulturelle Gesellschaft, weil multikulturelle Gesellschaften multikriminelle Gesellschaften sind."

Björn Höcke wird in Vermerk am häufigsten zitiert

Björn Höcke, Chef der Thüringer AfD, wird in dem Vermerk am häufigsten zitiert, auch wenn er namentlich nicht genannt wird: "Es ist festzustellen, dass die vom einem der beiden Landessprecher ausgehende Verachtung der derzeitigen demokratischen Ordnung und der legitimierten Repräsentanten des Volkes in seinen Aussagen deutlich wird. Er sieht in der gegenwärtigen Politik keine bloßen Gegner, sondern ein in Gänze verachtenswertes System."

Auch auf die Corona-Zeit blickt der Geheimdienst in dem Vermerk zurück und erinnert an Akteure der AfD, die währenddessen die Corona-Schutzmaßnahmen mit Zuständen in der DDR verglichen hatten: "Die Zielsetzung gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip zeigt sich zudem in der fortgesetzten Verächtlichmachung der Vertreter des Staates insbesondere durch Gleichsetzung dieser mit nichtdemokratischen und nichtrechtsstaatlichen Staatsorganisationen."

AfD-Mitglied Schubert wird in dem Vermerk nicht erwähnt. Im September widerspricht er in einem Schreiben an die Waffenbehörde dem angedrohten Waffenscheinentzug. Dabei habe ihn die Thüringer AfD mit "Argumentationshilfen" unterstützt.

Urteil OVG Sachsen-Anhalt

Mehr als ein halbes Jahr später, Ende April, fällt in Magdeburg ein Gerichtsurteil, das Schubert aufhorchen lässt. In einer Pressemeldung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt heißt es, der 3. Senat habe entschieden, "dass die Mitgliedschaft in der Partei Alternative für Deutschland (AfD) nicht die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit zur Folge" habe. "Allein die Einstufung des AfD-Landesverbandes in Sachsen-Anhalt als Verdachtsfall durch die Landesverfassungsschutzbehörde berechtige nicht zum Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis."

In Sachsen-Anhalt wird die AfD als extremistischer Verdachtsfall eingestuft und nicht wie in Thüringen als "erwiesen rechtsextremistische Bestrebung". Ein bedeutender Unterschied. Geklagt hatte ein Magdeburger AfD-Stadtrat, dem die Waffenbehörde zuvor die Waffenbesitzkarte entzogen hatte.

Das Urteil des OVGs Sachsen-Anhalt wurde im Eilverfahren entschieden. Eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren steht noch aus. Diese wiederum könnte in der letzten Instanz vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gekippt werden. Dazu sagt auf MDR THÜRINGEN-Anfrage der Jenaer Juraprofessor Michael Brenner: "Irgendwann wird sicher das Bundesverwaltungsgericht sagen, entweder reicht die Mitgliedschaft in der AfD aus, um die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit bejahen zu können oder es reicht eben die Mitgliedschaft allein nicht aus, es muss anderes noch dazu kommen."

Magdeburger Urteil "nicht so ganz überzeugend"

"Ein bisschen erstaunt" habe ihn das Magdeburger Urteil, sagte Brenner. "Das Oberverwaltungsgericht bezieht sich ausschließlich auf das Waffengesetz und sagt, dass andere Gesetze für die Beurteilung der waffenrechtlichen Zulässigkeit nicht von Bedeutung sind, also auch nicht die Verfassungsschutzgesetze und die Einschätzungen der Verfassungsschutzbehörden. Das scheint mir nicht so ganz überzeugend zu sein."

Brenner verweist auf die Einstufung der Bundes-AfD als Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz: "Aufgrund dieser Entscheidung würde man schon sagen können, dass ein AfD-Mitglied einer Vereinigung angehört, die verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt. Wenn dann ein AfD-Mitglied in Besitz einer Waffenbesitzkarte ist und die entzogen werden soll, dann würde ich sagen, sind die Tatbestandsvoraussetzungen für den Entzug der Waffenerlaubnis gegeben."

Verwaltungsgericht versus Oberverwaltungsgericht

Eine ähnliche Auffassung wie Brenner vertraten im März offenbar auch Richter am Verwaltungsgericht Düsseldorf, die über eine Klage eines nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten zu entscheiden hatten. Auch in diesem Bundesland wird die AfD als Verdachtsfall eingestuft. Der Abgeordnete verlor die Klage gegen den Entzug seiner Waffenbesitzkarte.

Für Winfried Kluth, Professor am Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität Halle-Wittenberg, stellt sich dabei die Frage nach der Bedeutung der Einstufung als Verdachtsfall. Während das Verwaltungsgericht Düsseldorf den Verdacht als ausreichende Vermutung ansehe, komme man in Sachsen-Anhalt zu einem anderen Ergebnis: "Das Gericht stellt darauf ab, dass die Einstufung als Verdachtsfall alleine nicht ausreicht. Und sagt, dass auch in der Person desjenigen, dem die Waffenbesitzkarte entzogen wird, schon feststehen muss, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt werden, dass die Person selber bestimmte Handlungen vollzogen haben muss." Auch deswegen kommt es bei jeder Entscheidung der Waffenbehörden auf den jeweiligen Einzelfall an.

Waffenbehörde hat Bedenken

In der Waffenakte von Waffenscheinbesitzer Schubert finden sich solche Hinweise - abgesehen von seiner vermerkten Parteimitgliedschaft - nicht. Die Thüringer AfD hatte betroffenen Mitgliedern empfohlen, Akteneinsicht zu beantragen. Und so entdeckte Schubert in der Akte auch ein Schreiben der Waffenbehörde an das Referat 200 des Landesverwaltungsamts in Weimar, der Vollzugs-, Aufsichts- und Widerspruchsbehörde im Freistaat.

In dem Brief äußert Schuberts Sachbearbeiter Zweifel an den Erfolgsaussichten, dem AfD-Mitglied die Waffenbesitzkarte zu entziehen: "Aufgrund der vorliegenden Sachlage bestehen unsererseits Bedenken, dass die vorliegenden Erkenntnisse in einem eventuellen Verwaltungsgerichtsverfahren nicht ausreichen, um die Versagung rechtssicher zu begründen. Wir bitten um Prüfung und Stellungnahme hinsichtlich unserer Bedenken." Eine Antwort findet sich in der Akte nicht.

"Partielles Parteiverbot durch die Hintertür"

Das Thüringer Innministerium teilte auf Anfrage von MDR THÜRINGEN mit, dass die Magdeburger Entscheidung "keinen Einfluss auf die Beurteilung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit von Mitgliedern im Thüringer Landesverband der AfD" habe, da dieser behördlich als "erwiesen rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft wurde.

Der Sprecher der Thüringer AfD sagte: "Die Entscheidung hat keine Relevanz. Unsere Verteidigungsstrategie stützt sich unter anderem auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten Parteienprivileg." Womit die Angelegenheit noch komplizierter wird.

Der Jenaer Verwaltungsrechtler Michael Brenner verweist mit Blick auf die Argumentation der AfD darauf, dass Parteienverbote nur durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden können. "Das ist das Parteienprivileg", erklärt der Jurist. "Ich könnte mir vorstellen, dass die AfD argumentiert: Wenn alle AfD-Mitglieder den Waffenschein entzogen bekommen, dann ist das so ein bisschen ein partielles Parteienverbot durch die Hintertür. Wenn jetzt alle AfD-Mitglieder unter Generalverdacht gestellt werden, so könnte ich mir als Argumentation der AfD das vorstellen, dann wird ein Teil dieser Partei in der Öffentlichkeit bloßgestellt."

Dadurch werde die Partei "ein bisschen in die verfassungswidrige Ecke" gestellt. Dies allerdings wäre Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts und könne nicht "auf kalten Wegen gewissermaßen durch irgendwelche Länderbehörden erfolgen, indem da jetzt die AfD-Mitglieder alle ihre Waffenscheine abgeben" müssten.

AfD-Mitglied Martin Schubert hat von der Waffenbehörde bisher nicht wieder gehört. Er weiß noch nicht, ob ihm der Waffenschein entzogen wird. Das Prüfverfahren läuft noch.

MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 23. Mai 2023 | 19:00 Uhr

86 Kommentare

DER Beobachter vor 47 Wochen

Ich habe das Video nicht empfohlen, sondern sozusagen als Ihre ungewollte Empfehlung erst gesehen. Es erklärt sich durchaus aus dem von mir mitgenannten Interview. Interessanterweise, aber nicht sehr verwunderlich ignorieren Sie die auch da einmal mehr zu Tage tretende potentielle Gewaltbereitschaft der AgD gegen bestimmte Bevölkerungsteile...

DER Beobachter vor 47 Wochen

Wenn Sie nun bitte noch erklären würden, wo Strack-Zimmermann und die Grünen gegen das GG verstoßen würden oder auf welche angeblichen GG-Verstöße sonst Sie sich hier beziehen wollen? Sie können ja auch gern Verfassungsklage erheben.

ralf meier vor 47 Wochen

@Beobachter, auch hier machen Sie mich ratlos. was ist an dem an Widerlichkeit nicht mehr zu überbietende Splatter/Mordvideo des KIZ rappers empfehlenswert. Oder meinen Sie den doppeldeutigen Schriftzug 'Nazis töten'. Also Relativierung und Whataboutismen sind und bleiben wohl Ihre Spezialität

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