Ein Baby in einem Wickeltuch.
Die Zahl der Geburten hat in Thüringen einen Tiefpunkt gefunden. Es gab 2022 so wenig Babys wie seit 1995 nicht mehr. Bildrechte: IMAGO / Addictive Stock

Demografie Wie die Wende und Corona die Geburtenrate in Thüringen drücken

15. Juni 2023, 05:00 Uhr

Die Zahl der Geburten hat in Thüringen einen Tiefpunkt gefunden: 2022 kamen so wenige Babys zur Welt wie seit 1995 nicht mehr. Die Geburtenrate aufgeschlüsselt.

Nach Angaben des Statistischen Landesamtes Thüringen wurden im Jahr 2022 insgesamt 14.131 Geburten im Freistaat registriert. Das waren 1.246 Geburten weniger als im Vorjahr. 

Mehr Jungen oder mehr Mädchen?

Aufbauend auf den Daten des Landesamts hat MDR THÜRINGEN errechnet, in welcher Regionen in Thüringen die meisten Mädchen und in welcher die meisten Jungen geboren wurden.

Prozentual gesehen kamen 2022 die meisten Jungen im Kreis Sonneberg zur Welt. Von den 353 Geburten waren 195 männliche Babys, was einen Anteil von 55,2 Prozent ausmacht. Dagegen wurden in dem Jahr die meisten Mädchen im Kreis Schmalkalden-Meiningen geboren. So waren 374 der 773 Geborenen weiblich, was prozentual einen Anteil von 51,6 ausmacht. 

Im Freistaat kamen im vergangenen Jahr 7.279 Jungen und 6.852 Mädchen zur Welt. Der Anteil männlicher Babys lag bei 51,5 Prozent

Mehr Kinder in den Städten

Ein Blick auf die regionalen Unterschiede in Thüringen zeigt auch, dass in den Städten eine höhere Geburtenrate zu verzeichnen ist als in den Landkreisen. Insbesondere Erfurt, Weimar und Jena registrieren eine vergleichsweise hohe Anzahl an Geburten. Trotzdem ist in den kreisfreien Städten mit einem Minus von 11,3 Prozent ein Rückgang zu erkennen, der stärker als in den Landkreisen mit einem Minus von 6,8 Prozent war.

Auf Anfrage des MDR THÜRINGEN hat Dr. Sebastian Köllner, Referent für Demografischen Wandel am Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft, die Geburtendifferenz zwischen Städten und Landkreisen eingeordnet. Er benennt einige zentrale Ursachen.

Effekte der Corona-Impfungen

Eine mögliche Erklärung für den Geburtenrückgang in den Städten könne laut Köllner die Zurückhaltung aufgrund der Corona-Impfung sein. So verweise die Literatur darauf, dass Schwangerschaften im Jahr 2021 aufgrund der Corona-Schutzimpfung zum Teil aufgeschoben wurden.

Da die Impfung zunächst für Schwangere nicht empfohlen wurde, sei der Kinderwunsch oftmals zurückgestellt worden. Die höhere Impfquote in den kreisfreien Städten im Vergleich zu den Landkreisen könnte daher eine Ursache für den überdurchschnittlichen Rückgang der Geburtenzahlen in den Städten im Jahr 2022 sein.

Unterschiede im Alter

Eine weitere Ursache seien die unterschiedlichen Altersstrukturen. Zwar ist der Anteil der Menschen unter 18 Jahren in den kreisfreien Städten und Landkreisen etwa gleich. Allerdings gibt es Unterschiede beim Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter von 18 bis 64 Jahren. In den kreisfreien Städten beträgt dieser Anteil 59,5 Prozent, während es in den Landkreisen nur 56,6 Prozent sind.

Die Unterschiede zeigen sich auch beim Anteil der älteren Menschen. Bei den Senioren liegt der Anteil in den kreisfreien Städten bei 24,9 Prozent und in den Landkreisen bei 27,8 Prozent.

Die höhere Anzahl an älteren Menschen bedeutet, dass es weniger Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren gibt. Das ist das Alter, in dem Frauen theoretisch Kinder bekommen können. In den Städten befinden sich etwa 39,8 Prozent der Frauen in dieser Altersgruppe, während es in den Landkreisen nur 32,4 Prozent sind. Diese unterschiedliche Altersstruktur erklärt, warum in den Städten mehr Geburten pro 1.000 Einwohner verzeichnet werden als in den Landkreisen.

Weniger gebärfähige Frauen

Als weiteren Grund für den Rückgang der Geburten nennt Köllner den Rückgang der Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter insgesamt. Zwischen 2000 und 2022 hat sich die Zahl der potentiellen Mütter in Thüringen um etwa 220.000 Personen verringert. Das ist ein Minus von 37,4 Prozent. Dabei gab es regionale Unterschiede, mit einem Rückgang von minus 18,3 Prozent in den kreisfreien Städten und minus 42,8 Prozent in den Landkreisen.

Nachwende-Geburtenraten schlagen jetzt durch

In naher Zukunft und in den kommenden Jahren wird es zu bedeutenden Veränderungen in den Altersgruppen kommen, die sich in der fruchtbarsten Phase befinden, nämlich zwischen Mitte 20 und Mitte 30, in der die meisten Frauen schwanger werden und ein Kind bekommen.

So verlassen Köllner zufolge die stark besetzten Jahrgänge, die vor der Wiedervereinigung geboren wurden, diese Phase, während schwach besetzte Jahrgänge der 1990er Jahre in diese Phase eintreten. Dies liegt daran, dass die Geburtenraten nach der Wiedervereinigung drastisch sanken und sich praktisch halbierten. Die damals nicht geborenen Kinder fehlen heute als potenzielle Eltern, was dazu führt, dass in den kommenden Jahren voraussichtlich weniger Geburten verzeichnet werden.

Der dritten regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung des Landesamts für Statistik zufolge soll es bis 2042 in Thüringen voraussichtlich 313.780 Geburten geben (jährlich zwischen 14.170 und 15.730 Geburten zwischen 2022 und 2042). Diese Vorhersage basiert auf der Annahme einer stabilen Geburtenrate (Annahme G2) mit einer durchschnittlichen Geburtenziffer von 1,56 Kindern pro Frau ab 2030.

Bis 2030 wird ein Anstieg von der aktuellen Rate bis zum Wert von 1,56 Kindern pro Frau erwartet. Diese Annahme wird auch in der 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamts verwendet.

Des Weiteren wird in der Vorausberechnung angenommen, dass sich das Durchschnittsalter der Mütter bei der Geburt um ein weiteres Jahr bis 2042 erhöht. Im Jahr 2021 lag das Durchschnittsalter der Mütter bei der Geburt des ersten Kindes in Thüringen bei 29,2 Jahren (deutschlandweit: 30,5 Jahre) und insgesamt bei 31,2 Jahren (deutschlandweit: 31,8 Jahre). Es wird erwartet, dass sich das Durchschnittsalter der Mütter in Thüringen weiterhin dem bundesweiten Durchschnitt annähert, wie es seit der Wiedervereinigung zu beobachten ist.

Es ist auch zu beachten, dass Thüringen wie viele andere Regionen in Deutschland mit dem Problem der demografischen Alterung konfrontiert ist. Eine geringe Geburtenrate und eine steigende Lebenserwartung führen dazu, dass die Bevölkerung statistisch immer älter wird. Dies stellt sowohl gesellschaftliche als auch wirtschaftliche Herausforderungen dar und erfordert entsprechende Maßnahmen, um die Auswirkungen zu mildern.

Förderung durch Bund und Land

Um die Geburtenraten zu steigern, werden verschiedene Initiativen und Programme sowohl auf staatlicher als auch auf kommunaler Ebene umgesetzt. Dazu gehören die finanzielle Unterstützung für junge Familien, der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und die Förderung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen.

So gibt es beispielsweise das Bundeselterngeld, für Eltern die ihr Kind in den ersten 14 Lebensmonaten selbst betreuen, und Thüringer-Eltern-Kind-Zentren. Diese Kindertageseinrichtungen werden durch den Freistaat Thüringen gefördert. Die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die Geburtenraten in Thüringen werden sich erst in den kommenden Jahren zeigen.

MDR (leh)

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Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 01. Juni 2023 | 11:00 Uhr

5 Kommentare

Simone vor 45 Wochen

@Kleinerfrontkämpfer (was auch immer das sein soll):
Finden sie sich damit ab, dass in Thüringen bei sinkender Bevölkerungszahl die Infrastruktur eher dünner als dichter wird, insbesondere in einem Bundesland das seit Jahrzehnten seinen Haushalt nur dank der Solidarität anderer Bundesländer stemmen kann. Auch HAndel und Dienstleistungen werden sich da eher verflüchtigen, als zu wachsen. Demografie ist eine verdammt praktische Sache... da kann man heute schon sagen wie viele Schulen man in x Jahren dicht machen muss, weil einfach zu wenige Kinder dafür vorhanden sind.

Vielleicht sollte man an manchen thüringer Stammtischen mal darüber nachdenken, dass Kinder einfach Kinder sind, egal welche Hautfarbe sie haben und dass sie Thüringens Zukunft bilden.





Jana vor 45 Wochen

@kleinerfronkämpfer
Komisch, dass es in Thüringen und Sachsen schon seit Jahren rapide bergab geht und viele junge und motivierte Frauen das Land verlassen haben. Zurück blieben oft diejenigen die schlicht und ergreifend lieber meckern statt etwas zu ändern.

In westlichen Ländern ist die Geburtenrate generell geringer, weil viele Menschen Kinder, auch bei optimaler Betreuung, doch als eine Belastung empfinden, die sie sich nicht in einer anzahl von 3++ antun wollen.

In Thüringen kommt verschärfend noch die Fremdenfeindlichkeit dazu, die viele Menschen mit Migrationshintergrund davon abhält im Höckeland ihr Glück zu suchen und Leben und Gesundheit zu riskieren.

Ihr Beitrag passt zu dieser Mentalität: Statt prgmatische Lösungen für den [Fach]kräftemangel anzugehen machen sie sich lieber über politisch verantwortliche lustig.
Kein wunder, dass viele Menschen liber dort leben und Kinder kriegen wo man mehr macht und weniger meckert.

Jana vor 45 Wochen

Thüringen Schrumpft und liegt mit Sachsen auf dem ersten Platz was das höchste Durchschnittsalter der Bevölkerung betrifft.

Das bedeutet in der Zukunft wird es schnell noch dusterer aussehen, wenn man nicht mal mehr die Arbeitskräfte gewinnen kann um die zunehmende Zahl der Greise zu versorgen.

Aber ja keine Ausländer im Land haben wollen.

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