Ein Arzt entnimmt im Präpariersaal des Instituts für Anatomie der Universitätsklinik Jena eine Platte aus einem Operationsset für einen Oberarmknochen.
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Gesundheit Regulierung für Implantate: Thüringer Hersteller warnt vor Problemen für Kinder

05. April 2024, 20:52 Uhr

Wann haben Sie das letzte Mal ein Gipsbein gesehen? Die sind selten geworden, denn in der Unfallchirurgie werden heute Schrauben oder Platten benutzt. Künstliche Gelenke sind auch keine Seltenheit mehr, auch für Wachstumsdefekte. Seit vor mehr als zehn Jahren in Frankreich minderwertige Silikon-Brust-Implantate viele Frauen schädigten, sind Medizinprodukte-Hersteller in Unruhe. Die Europäische Union hat schärfere Regeln erlassen. Diese sorgen aber nicht nur für mehr Sicherheit.

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Bei der Firma Königsee Implantate in Allendorf rattern Fräsmaschinen. Hochautomatisiert und auf Millimeter-Bruchteile genau werden Metallteile zu medizinischen Implantaten. Anatomisch geformte Platten oder Schrauben werden zum Beispiel für ein besseres Zusammenwachsen gebrochener Knochen gebraucht.

"Zum Beispiel bei einer Humeruskopffraktur", sagt Frank Orschler, der Chef und Inhaber des Unternehmens. Mit Hilfe von Schrauben und einer passend geformten Metallplatte wird der Knochen nach einer Verletzung zusammengefügt.

Ein Mann begutachtet ein Implantat aus Metall (Frank Orschler).
Frank Orschler sieht die derzeitigen EU-Vorschriften für die Neuzertifizierung von Implantaten kritisch. Bildrechte: MDR/Florian Girwert

EU-Verordnung macht Neuzertifizierung von Implantaten nötig

Viele dieser Teile sind schon viele Jahre im Einsatz, sind also in der Praxis längst gut erprobt. Doch die erneuerte Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, kurz MDR) der Europäischen Union wird für ihn zum Problem. Sie sieht vor, dass auch erprobte Produkte neu zertifiziert werden müssen.

"Das ist zu einem Innovationshemmnis geworden", sagt Orschler. "Das ist so, als müssten wegen eines Geisterfahrers auf der Autobahn alle Autofahrer den Führerschein neu machen."

Das ist nur Papier produzieren, Papier auswerten. Und die Aussagekraft ist begrenzt.

Frank Orschler Inhaber Königsee Implantate

Er spielt damit auf den Skandal um Silikon-Brustimplantate an, der vor mehr als zehn Jahren von einem französischen Unternehmen ausging. Das hatte gegen geltendes Recht billiges Bau-Silikon in Implantaten genutzt - und die waren in etlichen Fällen geplatzt. Kriminelles Handeln eines Unternehmens, für das nun alle anderen bluten müssen, so sieht es der Unternehmer.

Die Neuzulassungen kosten Geld. Orschler zufolge viele tausend Euro für jedes Produkt - und viel Zeit. "Das ist nur Papier produzieren, Papier auswerten. Und die Aussagekraft ist begrenzt", findet er. 2023 habe das Unternehmen mit etwa 140 Mitarbeitern deswegen Kosten zwischen anderthalb und zwei Millionen Euro gehabt.

Kliniken sehen kein generelles Versorgungsproblem

Dass manche Hersteller die Versorgungssicherheit für Patienten gefährdet sehen, diese Sorge teilen Thüringer Kliniken nicht. Das Uniklinikum Jena etwa meldet, es gebe bisher keine bekannten Auswirkungen. Die Waldkliniken in Eisenberg, spezialisiert auf orthopädische Eingriffe, hat einen differenzierten Blick.

Das betrifft Nischenprodukte, die vom Markt genommen werden.

Georg Matziolis Ärztliche Direktor Waldkliniken Eisenberg

Professor Georg Matziolis, der ärztliche Direktor der Waldkliniken, warnt vor Panikmache. Das Gros der Patienten könne weiter gut versorgt werden. Aber in Einzelfällen seien Probleme möglich, das betreffe aber in seiner Klinik nur ein oder zwei Patienten im Jahr. "Das betrifft Nischenprodukte, die vom Markt genommen werden. Die so selten eingebaut werden, dass sich eine Re-Zertifizierung nach den neuen Richtlinien nicht lohnt für den Hersteller."

Ein Mann lacht in die Kamera (Georg Matziolis).
Georg Matziolis sieht Probleme vor allem bei Nischenprodukten. Bildrechte: MDR/Florian Girwert

Schwierigkeiten bei Implantaten für Kinder möglich

Das beschreibt das Problem in seinem Kern. Implantate mit großen Stückzahlen dürften kaum betroffen sein. Die Kosten für die Neu-Zertifizierung können auf tausende Knie- oder Hüft-Gelenke umgelegt werden. Allein in den Waldkliniken Eisenberg werden mehr als 3.000 Knie- oder Hüftimplantate im Jahr eingesetzt.

Besonders innovative Lösungen, die eben vielleicht nicht für einen ganz breiten Markt verfügbar sind, die werden darunter leiden.

Georg Matziolis Ärztliche Direktor Waldkliniken Eisenberg

Bei Produkten für Kinder sei das anders, die Stückzahlen oft viel kleiner. "Bei einer dynamischen Epiphysenschraube, von der ich nur 40 Stück im Jahr herstelle, die nur absolute Spezialisten überhaupt kennen oder einsetzen, da lohnt es sich eigentlich nicht mehr", sagt Orschler. Die Schraube kommt zum Einsatz bei Kindern, deren Wachstumsfugen sich nicht verknöcherten.

Zertifizierungspraxis könnte Innovationen hemmen

Auch Matziolis geht davon aus, dass Weiterentwicklungen oder neue Produkte in Zukunft öfter anderswo entstehen - und dann auch seltener in Kooperation mit deutschen Kliniken.

"Besonders innovative Lösungen, die eben vielleicht nicht für einen ganz breiten Markt verfügbar sind, die werden darunter leiden", sagt der Ärztliche Direktor. "Ob spezifische Plattensysteme für Kinder auch in Zukunft zugelassen werden, wird sich zeigen. Oder ob wir auf kleinere Größen für Erwachsene zugreifen müssen." Das sei aber ein Kompromiss, den es dann häufiger geben könne als derzeit.

EU-Kommission verweist auf Sicherheit

Die EU-Kommission schreibt auf Anfrage, es gehe in erster Linie um Patientensicherheit. Man kenne das Problem insbesondere mit Implantaten für Kinder. Die Kommission will Hersteller deshalb besser unterstützen. Wie genau, das soll im Frühjahr geklärt werden.

Frank Orschler indes ringt noch mit sich, welche Produkte im Sortiment bleiben. Ob OPs dann teurer werden, ob es für manche Produkte einfach weniger Hersteller gibt - es muss sich noch zeigen.

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MDR (flog/cfr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 05. April 2024 | 19:00 Uhr

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