Menschen tanzen in der Disco.
Im Vergleich zu früher gibt es im Saale-Orla-Kreis heute weniger Discos. (Symbolbild) Bildrechte: colourbox

Nachtleben Ausgetanzt: Vom Ende der Discos im Saale-Orla-Kreis

03. September 2022, 16:17 Uhr

400-Meter-Schlangen vor dem Einlass und Chart Acts im ländlichen Südost-Thüringen: Früher gab es im Saale-Orla-Kreis zahlreiche Discos. Heute sind alle geschlossen. Ein Blick zurück.

Die Disco als feste Adresse zum Treffen, Kennenlernen, Feiern - und das dreimal die Woche - scheint aus dem Saale-Orla-Kreis verschwunden zu sein. Dabei waren gerade in Grenznähe zu Bayern gleich nach der Wende Discotheken schnell eröffnet und gut angenommen worden. Hunderte Besucher, jeden Öffnungstag.

"Ich erinnere mich an eine Menschenschlange von 400 Metern. Sie standen in Viererreihen am Einlass", erinnert sich Kay Schwabe. Der heute 54-jährige, aus dem sächsischen Plauen stammende DJ hat damals in Oettersdorf bei Schleiz im K1 aufgelegt. Der LPG-Saal war damals mit Podesten, einer Bar, Lichttechnik auf Traversen und Scannern (farbiges Licht in verschiedenen Figuren wird über Umlenkspiegel im Raum bewegt) ausgestattet.

Tanzende Partygäste anlässlich einer Techno-Party im Haus der Kulturen der Welt in Berlin.
Auch die passende Lichttechnik gehört zu einer Party. (Symbolbild) Bildrechte: imago/David Heerde

Chart Acts fanden ihren Weg in die Provinz

Schwabe sagt, zusammen mit einer professionellen Tonanlage für ordentlichen Druck sei das Anfang der 1990-er Jahre das Beste vom Besten gewesen. Mit dieser Ausstattung hätten die Betreiber sogar Künstler mit Titeln in den damaligen Charts nach Oettersdorf und in die "Schwesterdisco" K2 im fränkischen Kronach locken können.

Auch in anderen Orten in Südostthüringen sind solche Discos entstanden. Ein paar Beispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Der Go-Park in Ebersdorf, die City-Hall in Neustadt an der Orla - und auch in Volkmannsdorf war ein Saal gut ausgebaut, erinnert sich Kay Schwabe. Das Heizwerk in Zeulenroda im Nachbar-Kreis Greiz und das Flucs in Weira waren ebenfalls feste Anlaufpunkte. Disco-Ketten wie das Fun hatten dagegen eher an den größeren Städten Interesse - wie Gera und dem sächsischen Oelsnitz.

Mobile Konkurrenz

Die festen Häuser kennt auch der 61-jährige Roland Zeh aus Ullersreuth bei Hirschberg, der mit seinem Bruder Bernd (55) seit den 1980ern als Disco Galaxis unterwegs ist. Im Gegensatz zu Kay Schwabe, der mit schweren Plattenkoffern in den Clubs an den Turntables stand, ist Disco Galaxis immer mobil unterwegs. Was in den Discos lief, das mussten Galaxis auch wissen, denn es ging immer darum, Publikum anzuziehen. Deshalb hat auch die Mobile Disco Terminzettel - ein frühe Form des Flyers - auf dem Amiga-Computer entworfen und als Kopien ausgelegt. Später seien Massen-SMS auf die Handys der Gäste gekommen, sagt Zeh.

Symbolfoto: DJ am Plattenspieler in rotem Licht einer Diskothek
Vinyl ist heute nicht mehr auf jeder Party zu finden. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Shotshop

Moderation, Mix und dramaturgischer Aufbau

Die Mischung der Stile - beginnend bei Disco-Fox über Charttitel, Techno und Oldies oder Schlager bis zum Techno - das war oft das Konzept der Discos mit vierstelligen Besucherzahlen. Eine Tanzfläche und eine große Party. Die Kunst der DJs war es, die Geschmäcker der Reihe nach zu bedienen, den Umsatz an der Bar nicht aus den Augen zu verlieren und dafür zu sorgen, das die Tanzfläche nie leer wird.

Moderation, Mix der Musik, dramaturgischer Aufbau des Abends - für Schwabe und Zeh kein Problem. Mit der "Pappe" aus DDR-Zeiten, wie die staatliche Spielerlaubnis als Schallplattenunterhalter genannt wurde, waren solche Voraussetzungen Pflicht. "Mit Pappe Stufe A durften wir nur im Kreis Schleiz spielen", erinnert sich Roland Zeh.

Letztes Aufbäumen

Mit House-Musik hat sich die Discoszene im heutigen Saale-Orla-Kreis noch einmal berappelt. Die Partys in Weira gelten als legendär. Es wurde lange gefeiert zu Musik, die oft von DJs aus Thüringen produziert wurde. Zeh sagt, das habe noch einmal für einen kleinen Boom in den Discos gesorgt. Alle hätten auf diese Musik gestanden. Man konnte das nur auf Platte kaufen; für die mobile Galaxis-Disco mussten die Scheiben digitalisiert werden. Ende der 1990er war das technisch bereits möglich, aber es war noch sehr teuer, die ganze Technik anzuschaffen.

Rave-Party mit grüner Lasershow in blauem Raumlicht
Auch heute wird im Saale-Orla-Kreis noch gefeiert. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Design Pics

Wo sind die Discos hin?

Die Frage nach dem Schicksal der Discos ist auch für die erfahrenen DJs schwer zu beantworten. Von Anfang an haben oft die Besitzer gewechselt. Mal blieben die Gäste aus, ein DJ wurde einfach nicht akzeptiert oder ein Betreiber bekam Ärger mit dem Finanzamt. Irgendwann hatte keine der Discos mehr genug Publikum. Clubs und Kneipen seien dann gefragter gewesen, sagt Schwabe.

Auch für Galaxis hat sich etwas geändert: Bis Mitte der 1990er-Jahre war jeder Gig ähnlich, selber Aufbau und immer das gleiche Setup auf dem Lkw. Dann haben sich die Aufträge gewandelt, seitdem kümmern sich die Brüder um die individuellen Wünsche ihrer Kunden.

MDR (cfr)

1 Kommentar

NeuerHeip am 03.09.2022

Mich hätte hier interessiert, warum sich kaum noch jemand für Discos interessiert. Was mich persönlich betrifft, kann ich da nicht mitreden, weil ich kein Diskogänger war. Für mich war das nie interessant.
Woran liegt es heute? Finden es die heutigen Jugendlichen genauso verklemmt, steif und langweilig, wie ich damals?

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