Ein Regoinalzug steht an einem Bahnsteig im Bahnhof Jena-Göschwitz.
Der RE1 aus Richtung Göttingen fährt normalerweise bis Glauchau. Seit Monaten aber steht Schmölln als Ziel auf den Zügen. Bildrechte: MDR/Florian Girwert

Zugverkehr Personalmangel und Baustellen: Immer mehr Züge fallen aus

28. Juli 2023, 18:02 Uhr

In Thüringen fallen immer mehr Zugfahrten aus. Das zeigen Zahlen des Infrastrukturministeriums. Demnach gibt es bei den netz- und personalbedingten Zugausfällen seit vergangenem Jahr ein Plus von fast 150 Prozent.

Von 2021 auf 2022 verzeichnete das Ministerium nur ein Prozent mehr Zugausfälle durch Baustellen und Personalmangel. Heftig wurde es erst in diesem Jahr - hier lag die Steigerung bei mehr als 140 Prozent. Berücksichtigt wurden sowohl kurzfristige als auch langfristig geplante Baustellen.

Wie ein Sprecher MDR THÜRINGEN sagte, sind von Januar bis Mai 2023 mehr acht als Prozent - 12.400 - der rund 150.000 geplanten Zugfahrten ganz oder teilweise ausgefallen. Bei den gefahrenen Kilometern fällt die Bilanz etwas freundlicher aus. 9,5 Millionen Kilometer hätten alle vom Land bestellten Regionalzüge bis Mai fahren sollen. 330.000 Kilometer davon wurden nicht bedient. Das entspricht einer Ausfallquote von 3,5 Prozent.

Strecke Fröttstädt-Friedrichroda am stärksten betroffen

Am stärksten betroffen ist derzeit nach Ministeriumsangaben die Strecke Fröttstädt-Friedrichroda: Mehr als die Hälfte aller Fahrten (54,1 Prozent Ausfall wegen Personalmangel) konnte dort nicht stattfinden. Ebenfalls hohe Ausfallquoten gibt es zwischen Göttingen und Glauchau: Fast 30 Prozent der Fahrten des Regionalexpresses RE1 fielen teilweise aus - unter anderem auf einem Teil der Strecke in Ostthüringen, wo derzeit gebaut wird. Seit Mai endet der Zug in Schmölln und wird ab dort durch Busse ersetzt. Im Februar und März gab es bereits ähnliche Beschränkungen.

Auf Platz drei der Ausfall-Liste liegt die Strecke Kassel-Wilhelmshöhe und Erfurt (25 Prozent Ausfall wegen Bauarbeiten). Von 2.670 geplanten Fahrten ist ein Viertel entfallen. Jüngstes Beispiel ist die Verbindung Erfurt-Nordhausen. Die Stellwerke zwischen Straußfurt und Sondershausen können mindestens bis Oktober nur zwischen 5:30 und 15:30 Uhr besetzt werden. Außerhalb dieser Zeiten fahren auch hier Busse.

Das Personal für alte Stellwerke geht aus

Hinter den Ausfällen etwa zwischen Fröttstädt und Friedrichroda oder auf der Nordhäuser Strecke verbergen sich häufig die Stellwerke. In ihnen wird der Zugang zu bestimmten Strecken gesteuert, damit auf einem Gleis nicht zwei Züge zusammentreffen. "Das ist ein sicherheitsrelevanter Bereich", sagt Olaf Behr, Landesvorsitzender bei Pro Bahn in Thüringen.

Dort könnte nicht jeder arbeiten - und es gibt immer häufiger Personalmangel. Der sei ein Stück weit selbst verschuldet, sagt Behr. "Die Investitionen in die Infrastruktur und die Stellwerke hinken vor allem auf den Nebenstrecken seit Jahren hinterher." Oft sei längst geplant, alte Stellwerke überflüssig zu machen. Neues Personal sei dann nicht mehr vorgesehen - und wenn sich die Investitionen verzögerten, entstünden immer mehr Lücken und Fahrten müssten ausfallen.

Dem Ministerium zufolge ist die Situation unbefriedigend und der Unmut der Fahrgäste mehr als verständlich. Als Besteller des Personennahverkehrs stehe das Land im regelmäßigen Kontakt mit den Bahnunternehmen und der DB Netz AG. Eine Entspannung der personellen Engpässe könne derzeit nicht in Aussicht gestellt werden.

Ausgefallene Fahrten werden nicht bezahlt

Die DB Netz AG ist nach Angaben des Ministeriums aufgefordert, ein alternatives Bahn-Konzepts zu prüfen, mit dem Ziel, die Zugausfälle zu minimieren - vor allem dort, wo - wie zwischen Erfurt und Nordhausen - die personalbedingten Zugausfälle über Monate im Voraus schon so geplant werden. Die Unternehmen erhalten als Folge für ausgefallene Fahrten kein Entgelt. Auch nicht erfüllte Standards wie Pünktlichkeit oder eine zuverlässige Ersatzbeförderung spielen eine Rolle.

Nach Zahlen des Ministeriums hat das Land von Januar bis November 2022 etwa elf Millionen Euro für nicht oder nur mangelhaft erbrachte Leistungen von den Unternehmen zurückgefordert. Dabei sind Bahnbetreiber wie die Erfurter Bahn für Bauarbeiten oder das Stellwerks-Personal selbst gar nicht verantwortlich. Sie fallen in den Verantwortungsbereich der Deutsche-Bahn-Tochter DB Netze.

Trotzdem nimmt das Ministerium die regionalen Schienenpersonenverkehrs-Anbieter in die Verantwortung. Die wiederum müssen sich Schadenersatz im Zweifel von DB Netze zurückholen, bestätigte eines der Schienenverkehrs-Unternehmen in Thüringen.

Bundesnetzagentur soll bei Personalmangel helfen

In Folge des Personalmangels habe das Landesamt für Bau und Verkehr zusätzlich die Bundesnetzagentur um Unterstützung gebeten, hieß es auf Anfrage von MDR THÜRINGEN. Der Fahrgastverband Pro Bahn in Thüringen führt die Probleme auch auf den Investitionsstau auf der Schiene zurück. Der Fahrgastverband erwartet Schwierigkeiten auch in den kommenden Jahren. "Was früher einfach mal im laufenden Betrieb gemacht wurde, ist durch besseren Arbeitsschutz heute nicht mehr so einfach", sagt Olaf Behr.

Er erwartet auch in Zukunft bei größeren Bauarbeiten Vollsperrungen, so wie aktuell zwischen Schmölln und Glauchau. Aber vor allem in Mitteldeutschland gebe es jenseits der Hauptstrecken einen großen Investitionsstau, der sich nicht so schnell abarbeiten lassen werde. "Die kleinen Strecken werden als nicht wichtig genug gesehen", sagt auch Steffi Recknagel von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft in Thüringen. Da werde zwar seit Jahren Abhilfe versprochen. "Aber eine konkrete Jahreszahl wird meistens nicht genannt."

Gefragte Strecken sollen verstärkt werden

Gerade im ländlichen Raum laufe das 49-Euro-Ticket deshalb oft ins Leere. "Wenn das System nicht zuverlässig ist, steigen die Leute irgendwann eben endgültig aufs Auto um", sagt die Gewerkschafterin. Der Millionenbetrag, den das Land im vergangenen Jahr einbehalten hat wegen ausgefallener Züge oder schlechter Pünktlichkeit, soll übrigens zurückfließen in den Schienenverkehr, denn durch das 49-Euro-Ticket sei die Nachfrage gestiegen, gibt das Verkehrsministerium an.

"Wir arbeiten daran, Kapazitätsausweitungen auf besonders nachgefragten Strecken zu ermöglichen", schreibt das Ministerium auf Anfrage von MDR THÜRINGEN. Das hänge aber an der Verfügbarkeit von Fahrzeugen - und von Fachpersonal. Ob und wo konkret an besonders volle Züge Wagen angehängt werden oder mehr Züge fahren sollen, ist also noch nicht geklärt.

MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 28. Juli 2023 | 16:00 Uhr

13 Kommentare

camper21 vor 39 Wochen

Laut AOK und Techniker Krankenkasse gab es in Thüringer im Jahr 2022 einen Krankenstand von 7,9 % , in Bayern von 4,5 % und in Deutschland von 6,6 % . Neben Mecklenburg-Vorpommern hatten wir Thüringer 2022 den höchsten Krankenstand.

camper21 vor 39 Wochen

Ich behaupte nicht nur, dass die Schweizer Kollegen mehr arbeiten, sondern auch, das laut Krankenkassen, die Thüringer einen 30 % höheren Krankenstand haben als die Bayern.

MDR-Team vor 39 Wochen

@klaus.kleiner80: Hintergrundinformationen zu Zugausfällen in Thüringen finden Sie in folgendem Artikel: https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/personalmangel-baustellen-bahn-zugausfaelle-100.html

Beste Grüße
die MDR THÜRINGEN-Onlineredaktion

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