Ehrenamt Zu wenig Geld, zu viel Papierkram: Thüringer Tierheime verzweifeln an Bürokratie
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19. Januar 2024, 16:07 Uhr
Die Tierheime in Thüringen stehen auch wegen gestiegener Energie- und Tierarztkosten finanziell unter Druck. Für die dringend auf Fördermittel angewiesenen Vereine hat das Land im vorigen Jahr mit einer Millionen Euro eine hohe Summe bereitgestellt. Warum trotz des hohen Bedarfs ein Drittel des Geldes liegen geblieben ist.
Die allermeisten Tierheime in Thüringen werden von Ehrenamtlichen am Laufen gehalten. Kosten werden durch Spenden und Fördermittel gedeckt. Nicht nur wegen steigender Energie- und Tierarztkosten ist das Geld in den Kassen der Tierheime chronisch knapp.
2023 stellte ihnen das Land zwar eine ganze Million zur Verfügung. Trotz des hohen Bedarfs wurde ein Drittel davon jedoch nicht genutzt. Birgit Wildemann kann ein Lied davon singen, wie es dazu kommen kann.
Sie engagiert sich seit über zwanzig Jahren im Tierschutzverein in Meiningen. In all den Jahren hat sie nicht nur viele einsame Fellnasen gekrault, gefüttert und vermittelt. Sondern sie hat sich auch unzählige Stunden lang mit Papierkram herumgeschlagen, um Fördermittel zu beantragen.
Mir kommt das manchmal so vor, als würde ich mich in einer fremden Sprache unterhalten müssen.
Anträge überfordern die Ehrenamtlichen
Insbesondere in ihrer mehrjährigen Zeit als Vereinsvorsitzende habe sie das regelmäßig sehr frustriert, erzählt die 54-Jährige. Schon allein die Frage, ob der Antragsteller vorsteuerabzugsberechtigt ist, habe bei ihr am Anfang ein großes Fragezeichen im Kopf erzeugt. "Mir kommt das manchmal so vor, als würde ich mich in einer fremden Sprache unterhalten müssen."
Oft entspinne sich nach der Antragstellung ein Hin und Her mit den Behörden über die zahlreichen Nachweise, die erbracht werden müssen. Bis Anträge bewilligt sind, kann es nach Erfahrung des Meininger Tierheims dauern.
Tierheim erlebt Verwaltungsposse
In Meiningen hat das im vergangenen Jahr eine Posse hervorgebracht. Das Tierheim hat nach eigenen Angaben frühzeitig einen Antrag auf Fördergeld für einen dringend benötigten Anbau gestellt. Es handelt sich um ein Gebäude, in dem künftig sowohl Kaninchen als auch ein Büro und ein Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter untergebracht werden sollen.
Bisher gibt es für das Team nur einen kleinen, wenige Quadratmeter großen Container. Die Mitarbeiter sollten durch den neuen Anbau auch eine Umkleidemöglichkeit erhalten, die es bisher nicht gab.
Vorgaben gehen laut Tierheim-Team an der Realität vorbei
Im Oktober gab es dann positive Nachrichten: Der Förderbescheid wurde vom Land bewilligt. Allerdings unter der Prämisse, dass die Fördersumme in Höhe von rund 70.000 Euro bis Ende des Jahres verbaut sein muss. Andernfalls wäre das Tierheim gezwungen gewesen, das Geld zurückzuzahlen.
Das Meininger Tierheim hatte demnach nur zwei Monate Zeit, um Firmen zu finden, die in der Lage waren, Aufträge kurzfristig und noch dazu im Winter zu realisieren - zumal vorgeschrieben ist, dass für alle Leistungen drei Angebote eingeholt werden müssen.
Dank eines Kraftakts des Teams klappte alles noch gerade so innerhalb der Frist. Für die Meininger Tierschützer ist die Erfahrung trotzdem ein Beispiel dafür, dass die Vorgaben der Förderrichtlinien zum Teil an der Realität vorbeigehen.
Landestierschutzverband fordert flexiblere Richtlinien
Kevin Schmidt, Vorsitzender des Landestierschutzverbands, kennt viele solcher Geschichten: "Wir reden hier von Menschen, die das in ihrer Freizeit tun, die alle auch einen Hauptberuf haben." Die wenigsten hätten juristische Expertise und daher auch nachvollziehbarerweise ein mulmiges Gefühl dabei, ihre Unterschrift unter die Anträge zu setzen. Kevin Schmidt plädiert für vereinfachte Richtlinien, die weniger statisch sind.
Wir reden hier von Menschen, die das in ihrer Freizeit tun, die alle auch einen Hauptberuf haben.
Besonders wichtig sei das beim Thema Katzen-Kastration. Die Gelder dafür müssen auch in diesem Jahr wieder bis zum 31. Januar beantragt sein. Bis sie dann bewilligt sind, dauert es laut Schmidt erfahrungsgemäß bis April oder Mai. Und da sind dann, wie es der Vorsitzende des Landestierschutzverbands ausdrückt, "die meisten Messen schon gesungen".
Heißt: Ganz viele Kätzchen sind dann schon auf der Welt. Schon vorher zu kastrieren und nachträglich abzurechnen, sei nicht erlaubt. Zumal die Kastration das wichtigste Mittel im Kampf gegen das oft unsichtbare, aber - laut Schmidt - enorme Katzenleid ist.
Landesbehörden bieten schon jetzt Unterstützung
Kevin Schmidt will aber auch Positives herausstellen. Zum einen sei er der Landesregierung dankbar, dass sie überhaupt Fördertöpfe in dieser Größenordnung ins Leben gerufen haben. Vor der rot-rot-grünen Regierung sei die Lage deutlich prekärer gewesen. Zudem seien die Mitarbeiter der zuständigen Landesbehörden sehr hilfsbereit.
Nur dank des besonderen Engagements der Sachbearbeiter gingen viele Antragsgeschichten erfolgreich aus. Dennoch hat Schmidt die Sorge, dass in Zukunft weniger Geld bereitgestellt wird, nachdem im vergangenen Jahr Geld liegengeblieben ist.
Sozialministerium kündigt überarbeitete Richtlinien an
Laut Sozialministerium stehen dieses Jahr für die Tierheime 570.000 Euro zur Verfügung. Tatsächlich ist das weniger als im Vorjahr. Gleichzeitig hat das Ministerium aber auch angekündigt, die Richtlinien neu fassen zu wollen. Die nötigen Nachweise sollen künftig leichter zu erbringen sein. Bei tierschutzfachlichen Fragen könnten sich die Ehrenamtlichen zudem, zusätzlich zu den Fachstellen im Sozialministerium, an das Landesamt für Verbraucherschutz wenden.
Grundsätzlich verweist das Ministerium aber auch darauf, dass - sobald Steuermittel im Spiel sind - sorgfältig kontrolliert werden muss. So sehen es laut der Behörde die Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit im Haushaltsrecht vor.
MDR (ost,med)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 19. Januar 2024 | 19:00 Uhr
Hajoe vor 36 Wochen
Inzwischen wohne ich im Ruhrgebiet. Im benachbarten Castrop-Rauxel wollte ein Bürger einen Baum zurückschneiden und scheiterte an der "kommunalen Baumschutz-Satzung". Er klagte und gewann vor Gericht, da die Richter ein Komma! im Paragraphen anders interpretieren als die Beamten im Rathaus und die Politik welche die kommunale Satzung aufgestellt hat. Also "vorher informieren" ist gut - die Qualität der Antworten ist aber sehr unterschiedlich. Auch zw. Behörde und Gericht. Anschließend diskutierten die Stadtpolitiker ob man die Satzung anhand der Hinweise des Gerichts anpaßt um auch künftig politisch zu entscheiden was Bürger in Ihrem Garten machen dürfen. Es mag "haushaltsrechtlich begründet" sein, die Förderung eines Gebäudes nur im Winter zuzulassen. "Sachlich begründet" (Ihr Zitat) ist es definitiv nicht. Und wie man "biologische Prozesse" wie Katzensterilisation an starres Haushaltsrecht anzupassen versucht, ist skurril. Das Haushaltsrecht kann man als juristischen Prozess anpassen
Ich nicht vor 36 Wochen
Ich bin noch nie verzweifelt wenn ich etwas beantragt habe.
Wahrscheinlich weil ich mich vorher informiere, sachlich begründete Anträge stelle und verständlich kommuniziere,
Hajoe vor 36 Wochen
Es ist wie überall in Deutschland - die Bürokratie nimmt überhand. Das es verbindliche Regeln bei der Vergabe von Fördermitteln geben muss, ist klar. Aber die dt. Politik regelt inzwischen jede Kleinigkeit bis in Detail - natürlich Föderalistisch-Chaotisch und oft sogar kommunal. In meinem NRW Kreis müssen Freigängerkatzen sterilisiert, gechipt und registriert sein. Im Ruhrgebiet gehen die Städte ineinanderüber. Ziehen Sie mit Ihrer Katze um, gelten neue Regeln. Wer erkundigt sich beim Umzug nach eventuellen Regeln für Katzen?
Bei der Vergabe von öffentl. Geldern macht viel Regulierung noch Sinn, aber an vielen anderen Stellen ist es grotesk. In meiner Stadt darf seit einigen Jahren in Parks nicht mehr gegrillt werden, im direkt benachbarten Dortmund ebenfalls. Dort wird es aber "toleriert". Es gibt auch Regeln zu Sishapfeiffen"rauchen". Kein Durchschnittsbürger kommt auf die Idee bei jeder! Kleinigkeit in irgendeiner Satzung nachzulesen. Deshalb wird an Ende einfach viel ignoriert.