Chronologie Korruptionsermittlungen gegen CDU-Landeschef Voigt: Was bisher bekannt ist

18. Oktober 2022, 13:33 Uhr

Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittelt gegen den Thüringer CDU-Landes- und Fraktionschef Mario Voigt. Sie wirft ihm Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr vor. Mitte Oktober durchsuchen Beamte des Landeskriminalamtes Wohn- und Geschäftsräume. Doch was ist über den Ursprung und den Stand des Verfahrens bekannt?

Am 4. April 2019 eröffnet der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), den Wahlkampf für das Europaparlament. Knapp zwei Monate später, am 26. Mai 2019, sind Millionen von EU-Bürgern aufgerufen, ein neues Europäisches Parlament zu wählen. An der Kampagne für die EVP beteiligt: der Thüringer CDU-Landtagsabgeordnete Mario Voigt.

Er soll damals von EVP-Spitzenkandidat Weber an Bord geholt worden sein. Nach Informationen der "Thüringer Allgemeinen" ist Voigt ab März 2019 als "Digital Campaign Manager" in den Wahlkampf eingestiegen.

Firma aus Jena erhält Auftrag

Etwa zu diesem Zeitpunkt soll eine Jenaer Firma, die sich unter anderem auf politische Kampagnen spezialisiert hat, einen Auftrag für den digitalen EU-Wahlkampf der EVP erhalten haben. Einer der Geschäftsführer des Unternehmens war zuvor für die CDU Thüringen tätig.

Er hatte dort gemeinsam mit Mario Voigt und anderen eine Wahlkampf-App entwickelt. Sie wurde bereits zur Thüringer Landtagswahl 2014 für den Haustür-Wahlkampf eingesetzt.

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2017 überprüfen die Datenschutzbeauftragten in Berlin und Thüringen die App. Im Kern geht es um die Frage: Welche Daten wurden erhoben und wie wurden diese gespeichert? Die Firma hatte Verstöße gegen den Datenschutz stets bestritten.

Hinweise auf das Engagement der Firma für die EVP im EU-Wahlkampf 2019 befanden sich bis Mitte Oktober 2022 noch auf der Internetseite der Firma. Nach den Durchsuchungen bei Mario Voigt und der folgenden Berichterstattung sind sie inzwischen verschwunden.

Aber der Social-Media-Auftritt von einem der Geschäftsführer auf dem Karriere-Netzwerk LinkedIn zeigt ein Foto von EVP-Chef Weber und Mitarbeitern der Jenaer Firma von 2019, dazu der Hinweis auf die EVP-Kampagne zur damaligen Europa-Wahl.

Nach Sturz von Mohring wird Voigt Fraktionschef

Am 5. Februar 2020 erbebt das politische Thüringen. FDP-Fraktionschef Thomas Kemmerich lässt sich mit den Stimmen der rechtsextremen Thüringer AfD und der CDU im Thüringer Landtag zum Ministerpräsidenten wählen.

In der Folge des Skandals wird CDU-Landes- und Fraktionschef Mike Mohring von seiner Partei in einem internen Machtkampf gestürzt. Den Fraktionsvorsitz übernimmt Mario Voigt. Neuer Landeschef wird Christian Hirte.

Korruptionsermittlungen gegen Mark Hauptmann

Im Frühjahr 2021 werden Vorwürfe gegen den damaligen Südthüringer CDU-Bundestagsabgeordneten Mark Hauptmann bekannt. Der "Spiegel" berichtet, dass er angeblich sein Bundestagsmandat nutzte, um Geschäfte mit Coronamasken zu vermitteln. Zudem geht es um Anzeigen von Ländern wie Vietnam, Aserbaidschan oder Taiwan in seiner Wahlkampf-Postille "Südthüringen Kurier".

Am 25. März 2021 durchsuchen Beamte des Thüringer Landeskriminalamts Hauptmanns Wohnung, das Abgeordnetenbüro und weitere Räume, die im Zusammenhang mit ihm stehen. Der Vorwurf der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft gegen Hauptmann lautet: Abgeordnetenbestechung.

Laut internen Unterlagen, die MDR THÜRINGEN einsehen konnte, kommt es am 22. Juni 2021 zu einer Sichtung der Unterlagen aus seinem Bundestagsbüro in Berlin. Daran damals beteiligt ein Anwalt von Hauptmann, Ermittler und Mitarbeiter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

 

Hinweise auf Voigt und EVP-Deal werden gefunden

Die bei dieser Sichtung gewonnenen Daten von Hauptmann werden durch Beamte des LKA ausgewertet. Nach MDR THÜRINGEN-Informationen sind die Ermittler dabei auf Hinweise zu dem EVP-Auftrag an die Jenaer Firma gestoßen. Dabei ist offenbar auch der Name von Mario Voigt aufgetaucht. Warum die Unterlagen sich in Hauptmanns Akten befinden, ist öffentlich bisher nicht bekannt.

Fakt ist: Das Jenaer Unternehmen war seit einiger Zeit auch für Hauptmann tätig. Unter anderem finden sich Fotos im "Südthüringen Kurier", die als Bildquelle das Unternehmen nennen. Zum anderen ist die Firma an der Organisation von deutsch-asiatischen Wirtschaftstreffen beteiligt, die Hauptmann in Berlin initiiert hatte.

Antrag auf Aufhebung der Immunität

Bei den Hinweisen auf Voigt und dem EVP-Auftrag in den Hauptmann-Unterlagen kommt der Verdacht möglicher Korruption auf. Anfang Mai 2022 werden diese Hinweise der Korruptionsabteilung der Staatsanwaltschaft Erfurt vorgelegt.

Diese leitet umgehend einen Prüfvorgang ein und stellt beim Thüringer Landtag Ende Mai einen Antrag auf Aufhebung der Abgeordneten-Immunität, um gegen Voigt ermitteln zu können.

Der Antrag wird über die Generalstaatsanwaltschaft und dem Justizministerium der Landtagspräsidentin zugeleitet. Von dort geht er in die Landtagsverwaltung und an den Justizausschuss, der für die Aufhebung zuständig ist. Doch es stellen sich Fragen.

Nachbericht der Staatsanwaltschaft angefordert

Die Staatsanwaltschaft Erfurt wird Anfang Juni 2022 um einen sogenannten Nachbericht gebeten, weil die Sachlage für den Aufhebungsantrag scheinbar nicht ganz klar ist. Dieser Nachbericht geht Ende Juni 2022 erneut auf die Reise und trifft Anfang Juli beim Ausschuss ein.

Zu diesem Zeitpunkt sind parlamentarische Sommerferien. Die letzte reguläre Sitzung des Justizausschusses vor den Ferien ist am 8. Juli 2022. Doch für den Aufhebungsantrag zu spät. Zwar gibt es am 4. August 2022 noch eine außerplanmäßige Sitzung, die sich aber laut Tagesordnung nur mit einem einzigen Sonderthema befasst.

Reguläre Sitzung des Ausschusses

Die erste reguläre Sitzung des Justizausschusses nach der Sommerpause ist dann am 16. September 2022. Auf dieser wird die Immunität von Mario Voigt aufgehoben. Noch am selben Tag macht die "Thüringer Allgemeine" das auf ihrem Online-Portal publik. Nur kurze Zeit später werden erste Informationen bekannt, dass es einen Zusammenhang zur Wahlkampfkampagne der EVP aus 2019 und Voigt geben soll.

Am 17. September 2022 startet in Pößneck der Landesparteitag der Thüringer Union. Mario Voigt wird dort mit 85 Prozent der Stimmen zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Er übernimmt das Amt von Christian Hirte. Mit dieser Wahl ist Voigt de facto auch der gesetzte Spitzenkandidat für die Landtagswahl, die regulär im Herbst 2024 wäre.

Voigt veröffentlicht Daten seiner Firma

Am 19. September 2022 veröffentlicht Voigt die Bilanzen seiner Beratungsfirma. Er habe sich nichts zu Schulden kommen lassen, die genauen Vorwürfe kenne er aber nicht, teilte er mit. Der CDU-Chef verweist darauf, dass er seinen Informationspflichten immer nachgekommen sei.

So habe er auf den Internetseiten des Landtags über seine Nebentätigkeiten informiert - etwa über seine Beratungsfirma in Jena. Die Abschlüsse der GmbH seien von Wirtschaftsprüfern kontrolliert worden. Die Staatsanwaltschaft Erfurt will zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht sagen, was Voigt vorgeworfen wird.

Medien berichten über Korruptionsvorwürfe

Es dauert fast über eine Woche, bis der offizielle Beschluss des Justizausschusses zur Aufhebung der Immunität die Staatsanwaltschaft Erfurt erreicht. Voigt ist inzwischen durch die öffentliche Berichterstattung informiert.

Die "Thüringer Allgemeine" und MDR THÜRINGEN hatten über die Hinweise berichtet, dass Voigt in die Auftragsvergabe der EVP-Kampagne an eine Firma involviert gewesen sein soll. Dafür soll er von der Firma Geld erhalten haben - was die Staatsanwaltschaft als Verdacht auf Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr wertet.

Verfahren gegen Hauptmann wird eingestellt

Am 22. September teilte die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft in Jena mit, dass das Verfahren gegen den Ex-CDU-Politiker Mark Hauptmann wegen des Vorwurfs der Abgeordnetenbestechung im Zusammenhang mit den Maskendeals am 5. September 2022 eingestellt worden sei.

Hintergrund sei ein Beschluss des Oberlandesgerichts München, dass in einem ähnlichen Fall keine Abgeordnetenbestechung sah. Bestätigt wurde das vom Bundesgerichtshof.

Voigt soll 17.000 Euro Beraterhonorar kassiert haben

Im Fall Voigt laufen die Ermittlungen nach dem Eintreffen des Aufhebungsbeschlusses aus dem Justizausschuss nun voll an. So soll es einen ersten Kontakt zwischen Voigts Anwalt Valentin Sitzmann und den Ermittlern gegeben haben. Nach MDR-THÜRINGEN-Informationen soll Voigt über seinen Anwalt argumentiert haben, dass er im Frühjahr 2019 keine Aufträge im Namen der EVP hätte erteilen können.

Die 17.000 Euro, so Voigt, seien tatsächlich Beratungsleistungen für das Jenaer Unternehmen. Sie hätten aber mit einer mutmaßlichen Vermittlung des EVP-Auftrages an die Firma nichts zu tun. Offiziell sagt Voigt nur, dass er sich nichts vorzuwerfen habe und transparent sei.

Ermittler durchsuchen bei CDU-Landeschef

Diese Beteuerungen Voigts reichen der Staatsanwaltschaft offensichtlich nicht aus. In der Folge beantragt sie Durchsuchungsbeschlüsse. Am 13. Oktober 2022 durchsuchen die Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt bei Voigt.

Dabei laufen Razzien in seinem Haus in seiner Dienstwohnung in Erfurt und dem Haus seiner Eltern an. Zudem werden Firmenräume durchsucht, darunter in Jena. Dabei werden Dokumente und Datenträger beschlagnahmt.

Anwalt kritisiert Vorgehen der Staatsanwaltschaft

Voigts Anwalt Valentin Sitzmann nennt die Vorwürfe nicht nachvollziehbar und überzogen. "Es besteht noch nicht einmal eine tragfähige Grundlage für den Verdacht." Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft sei "übermäßig und unverhältnismäßig". Es gebe offenbar "ein hohes Bedürfnis der Behörden an Veröffentlichung".

Auf eine MDR-THÜRINGEN-Anfrage weist ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Erfurt diesen Vorwurf kategorisch zurück. Das betroffene Jenaer Unternehmen hat auf eine MDR-Anfrage bisher nicht reagiert.

CDU-Fraktion sichert Voigt Unterstützung zu

Am 14. Oktober 2022 tagt der Thüringer Landtag zu einer Sondersitzung. Am Rande des Plenums wird Voigt aus seiner Fraktion Unterstützung zugesichert. Der Eichsfelder CDU-Abgeordnete Thaddäus König sagt MDR THÜRINGEN, die Fraktion habe größtes Vertrauen in Mario Voigt, dass an den Vorwürfen nichts dran sei.

MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 13. Oktober 2022 | 19:00 Uhr

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