Streit um Wasserressourcen Trockene Apfelstädt: Gutachten bezweifelt Rechtmäßigkeit der Stromproduktion

09. Dezember 2022, 19:53 Uhr

Immer wieder und immer länger fällt die Apfelstädt im Landkreis Gotha trocken. Wasser aus der Talsperre Tambach-Dietharz fehlt im Fluss. Die Thüringer Fernwasserversorgung produziert damit jetzt Strom. Ein Anwalt für Verwaltungsrecht sagt: Das Land Thüringen hätte das nicht erlauben dürfen. Mit seinem Gutachten sät er neue Zweifel, die das Umweltministerium zurückweist.

Das Wasser im Mühlgraben der Lohmühle nördlich von Tambach-Dietharz fließt träge. Es kommt aus der Apfelstädt und soll eine Kaplan-Turbine antreiben. Mühlenbesitzerin Susanne Strobel produziert damit seit 1997 Strom. Und seit 2020 steigt sie immer mal wieder auf eine Leiter. Mit der Hand bewegt sie ihre Maschine dann ein Stück. Sie soll nicht einrosten. Und im Turbinenbuch dokumentiert sie handschriftlich ihr Problem: Mehr als die Hälfte der Zeit des Jahres steht die Turbine inzwischen still.

Wasserkraftschnecke steht immer öfter still

Einige Kilometer flussabwärts steht Matthias Platz am Geländer des Apfelstädt-Wehres in Herrenhof. Er hat die Anlage Anfang der 90er Jahre vom Land Thüringen übereignet bekommen. Hier zweigt der Mühlgraben zu seiner über 850 Jahre alten Mühle ab. Auch direkt am Wehr erzeugt Platz elektrische Energie. Mit einer Wasserkraftschnecke. Die Einnahmen verwendet er dafür, das Wehr zu erhalten. Doch seit 2020 treibt das Wasser nur noch an 50 Prozent aller Tage an.

Kraftwerke des Versorgers ziehen das Wasser

Strobel und Platz betreiben sogenannte Kleinwasserkraft-Anlagen. Und sie nennen im Gespräch mit MDR THÜRINGEN zwei viel stärkere Anlagen als Hauptursache für ihre Einbußen: Die Kraftwerke Seeberg bei Gotha und Erfurt-Nord der Thüringer Fernwasserversorgung TFW - weit weg vom Fluss. Beide Anlagen werden mit aufgestautem Wasser aus den Talsperren Tambach-Dietharz und Schmalwasser betrieben. Eine alte und reaktivierte Trinkwasserleitung - Westringkaskade genannt - versorgt sie. Die Menge, die dafür benötigt wird, floss bis 2020 in die Apfelstädt. Das fehlt jetzt, denn der Fluss bekommt das Wasser nicht zurück.

Zum Aufklappen: Was ist die Westringkaskade?

Die Westringkaskade ist eine Leitung für die Trinkwasserversorgung und verbindet die Talsperren Tambach-Dietharz und Schmalwasser mit Erfurt. Sie besteht aus zwei parallel verlegten, 45 Kilometer langen Rohrleitungen und wurde in den 1980er Jahren gebaut. Nach der Wiedervereinigung sank auch in Thüringen der Trinkwasserverbrauch sehr deutlich. Deshalb wurde ein Strang der Doppelleitung außer Betrieb genommen. 2020 hat die Thüringer Fernwasserversorgung ihn reaktiviert. Er wird seitdem für die Stromerzeugung eingesetzt. Dabei nutzt das Unternehmen das Gefälle der Leitung zwischen dem Thüringer Wald und Erfurt. Auf dieser Strecke betreibt es - abseits der Apfelstädt - am Seeberg bei Gotha und im Norden von Erfurt jeweils ein Wasserkraftwerk. Das genutzte Wasser fließt anschließend im Erfurter Norden in die Gera. Mit den Einnahmen aus der Stromproduktion hält die Thüringer Fernwasserversorgung den Trinkwasserpreis stabil.

Betreiber der kleinen Anlagen nicht angehört

Die Betriebserlaubnis für die Kraftwerke der Thüringer Fernwasserversorgung hat das Thüringer Landesverwaltungsamt im Mai 2019 erteilt. Strobel und Platz sagen, dabei könne nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Wie es sich konkret auf den Fluss auswirke, dass ihm eine große Menge Wasser vorenthalten wird, sei vorab überhaupt nicht geprüft worden.

Etwa 500 Liter Wasser pro Sekunde schluckt die alte Rohrleitung jetzt. Nördlich von Erfurt fließt es dann in die Gera und kann die Turbinen direkt am Fluss nicht mehr antreiben. Das neue Wassermanagement mache diese unwirtschaftlich. Die beiden Betreiber sehen sich als direkt Betroffene, die man im Vorfeld nicht angehört habe.

Umweltverträglichkeitsprüfung schon mehrfach gefordert

Die Bürgerinitiative "Lebensraum Apfelstädt" wiederholt genau das seit 2020 quasi gebetsmühlenartig: Das neue Wassermanagement der Talsperren sei für das Austrocknen der Apfelstädt verantwortlich. Im Januar 2022 gab es dazu eine Anhörung im Petitionsausschusses des Thüringer Landtages.

Eine Fachanwältin für Fragen des Wasserrechts, die die Bürger unterstützt, begründete damals ihre großen rechtlichen Bedenken gegen die Betriebserlaubnis für die Westringkaskade. Und forderte im Namen der Bürgerinitiative eine nachträgliche Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) - mit umfangreicher Bürgerbeteiligung. Olaf Möller als damaliger Staatssekretär im Thüringer Umweltministerium hatte das scharf zurückgewiesen. Für eine solche Prüfung, so Möller, gebe es keine rechtliche Grundlage.

Rechtsgutachten schaut auf strittige Fragen

Susanne Strobel und Matthias Platz wollten das nicht hinnehmen. Gemeinsam haben sie ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Das hat Marcus Lau geschrieben, Anwalt und Experte für Verwaltungsrecht von der Leipziger Kanzlei "Füßer und Kollegen". Und er bestätigt die meisten bisher geäußerten rechtlichen Einwände gegen die Betriebsgenehmigung.

Seine Argumente befeuern den Streit um die Frage: War es rechtlich in Ordnung, der Thüringer Fernwasserversorgung den Betrieb der Wasserkraftwerke über die alte Rohrleitung zu erlauben? Lau konzentriert sich dabei auf drei Detailfragen: Durfte das Land einfach davon ausgehen, dass alte Wasserrechte aus DDR-Zeiten für die Talsperren weiter gültig sind? War es wirklich rechtens, eine Leitung zur Trinkwasserversorgung einfach umzuwandeln in eine Zuleitung zum Antrieb von Turbinen und das Wasser dafür einfach "umzunutzen"? Und wäre das Land gesetzlich verpflichtet gewesen zu einer Umweltverträglichkeitsprüfung - oder nicht?

Zweifel an Rechtskraft der DDR-Wasserrechte

Dass Wasserrechte aus DDR-Zeiten bis heute gelten, nennt Gutachter Marcus Lau nicht ungewöhnlich. Im Interview mit MDR THÜRINGEN fügt er hinzu: Sie wurden aber nur übernommen, wenn sie nachweislich rechtmäßig begründet wurden. Und: Wenn es am 1. Juli 1990 auch funktionierende technische Anlagen gab, mit denen das Wasser für den erlaubten Zweck genutzt werden konnte. Weil die Schmalwasser-Talsperre damals noch im Bau war und deshalb kein Trinkwasser liefern konnte, bezweifelt Lau, dass die zweite Bedingung erfüllt war.

Turbinen arbeiten anders als Trinkwasser-Nutzer

In seinem 14-seitigen Kurzgutachten, das MDR THÜRINGEN vorliegt, begründet Lau, warum es nicht in Ordnung sei, eine für die Trinkwassernutzung bewilligte Wassermenge ohne umfangreiche Prüfung einfach für einen anderen Zweck zu verwenden. Der Einsatz als Trinkwasser sei verbunden mit einem bestimmten Umfang zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Intervallen, mit Schwankungen und Spitzen der Nutzung - je nach Tages- und Jahreszeit. Und der Bedarf ändere sich nicht plötzlich und sprunghaft.

Er sei planbar, weil die Entwicklung der Einwohnerzahlen und die Nachfrage von Industrie und Gewerbe vorhergesehen werden könnten. Im Unterschied dazu gelte beim Einsatz des Wassers für die Stromerzeugung das Prinzip "sofort immer alles". Für einen möglichst hohen Stromertrag müsse möglichst viel davon möglichst gleichmäßig über die Turbinen laufen. Im Vergleich zur Trinkwassernutzung, so Lau, eine komplett andere Situation.

Umweltverträglichkeitsprüfung als Pflicht eingestuft

Der Rechtsanwalt betont, dass die Nutzung des Wassers für diesen anderen Zweck - die Stromerzeugung - Konsequenzen für die Apfelstädt hat. Schon die theoretische Möglichkeit, dass das passieren kann, hätte das Land aus seiner Sicht vorab unter die Lupe nehmen müssen. Und dann hätte auffallen müssen, wie gravierend sich die Situation am Fluss dadurch verändern könne.

Wäre das passiert, so Lau, dann wäre auch sehr schnell klar gewesen, dass das Land hier auf der Grundlage einer gesetzlichen Pflicht um eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht herumkommt. Eine Prüfung, die die tatsächlichen Auswirkungen tiefgründig ermittelt, beschreibt und bewertet. Mit "dem Herzstück eines solchen Verfahrens" - wie es Lau nennt - "einer umfassenden Öffentlichkeitsbeteiligung".

Verzicht auf Abwägung wird als Fehler gesehen

Lau will nicht ausschließen, dass so ein "ordnungsgemäßes Verfahren" vielleicht sogar das gleiche Ergebnis gebracht hätte wie das von ihm kritisierte: Die Genehmigung für den Betrieb der Westringkaskade, wie sie heute auf dem Tisch liegt. Allerdings wären in einer vollständigen Umweltverträglichkeitsprüfung die Belange der Betreiber kleiner Wasserkraftanlagen - genauso wie die von Natur und Umwelt, von Kommunen und Anwohnern - abgewogen und gewichtet worden, stellt er klar.

Und ob man diese abwägt gegen das Schutzgut Stromerzeugung oder die lebenswichtige Trinkwasserversorgung, das mache einen erheblichen Unterschied. Man hätte abwägen können, in welchem Verhältnis die Nachteile für seine Mandanten dazu stehen. Womöglich hätten sich daraus Ansprüche auf Entschädigung ergeben. Diese Klärung, so Lau, sei Susanne Strobel, Matthias Platz und anderen Wasserkraftnutzer an der Apfelstädt aber verwehrt worden, da das Land das falsche Verfahren gewählt habe.

Hoffnung auf Gespräche mit Parlamentariern

Strobel und Platz haben das Gutachten jetzt weitergegeben. In der Hoffnung "auf eine sachliche Diskussion in und mit der Politik". Es ging an den wissenschaftlichen Dienst im Thüringer Landtag, das Umweltministerium, den Landkreis Gotha und die Bürgerinitiative "Lebensraum Apfelstädt".

Susanne Strobel beklagt, Landtag und Ministerium hätten nicht mal den Eingang des Papiers bestätigt. Sie und Platz hatten sich gewünscht, der Umweltausschuss möge das Papier diskutieren, bevor er seine Stellungnahme an den Petitionsausschuss beschließt. Doch die Abgeordneten haben schon Anfang November entschieden und über einen Antrag der CDU-Fraktion abgestimmt.

Der fordert die Landesregierung auf, den Verzicht auf die Umweltverträglichkeitsprüfung zu begründen. Und nochmals zu prüfen, ob die Thüringer Fernwasserversorgung ihre Wasserrechte aus DDR-Zeiten juristisch korrekt weiternutzt. Strobel und Platz hoffen jetzt auf den Petitionsausschuss, der noch nicht entschieden hat.

Umweltministerium teilt keines der Argumente

Professor Martin Feustel leitet die Abteilung Technischer Umweltschutz, Wasserwirtschaft und Bergbau im Thüringer Umweltministerium. Er versichert im Interview mit MDR THÜRINGEN: Unsere Fachleute haben das Gutachten gelesen, die Argumente geprüft - teilen sie aber nicht. Feustel wiederholt, die Thüringer Fernwasserversorgung habe eine gültige Betriebserlaubnis für ihre Wasserkraftwerke. Das Verfahren sei abgeschlossen und das Land habe keine Möglichkeit, es einfach neu aufzurollen.

Er führt den Anspruch der Thüringer Fernwasserversorgung auf Rechtsfrieden ins Feld. Die habe viel Geld in die Westringkaskade investiert. Ökologische Auswirkungen der veränderten Wassernutzung würden gerade im Apfelstädt-Monitoring gemeinsam mit dem Landkreis Gotha geklärt. Daran seien auch die Bürger beteiligt. "Wir holen faktisch den Prozess der Umweltverträglichkeitsprüfung jetzt nach, ohne das alte Verfahren wieder aufzumachen", beschreibt Feustel das Vorgehen.

Wasserrecht ist keine Garantie für Wasser

Und die Einbußen der Wassermühlen-Besitzer an der Apfelstädt? Feustel bedauert. Es klinge sicher etwas hart, was er dazu jetzt sage. Aber ein gültiges Wasserrecht - etwa für eine kleine Anlage an der Apfelstädt - begründe keinen Anspruch darauf, dass jederzeit ausreichend Wasser im Fluss sei. Im Wassergesetz sei das nicht vorgesehen. Dass Turbinen bei Wassermangel nicht mehr wirtschaftlich sind, könne jeden Wasserkraftnutzer treffen.

Wenig Chance für flexible Wasserabgabe

Für Susanne Strobel und Matthias Platz heißt das: Ihr Wunsch nach einem dynamisierten Management der Wasserverteilung, das der Apfelstädt genug lässt und erst dann die Westringkaskade speist, hat vorerst keine Chance. "Dabei ist genau das die Vorgabe, nach der wir unsere Anlagen betreiben müssen und betreiben", sagt Strobel.

"Wir borgen uns das Wasser von der Apfelstädt und nutzen es so für die Stromerzeugung, wie es der Fluss zulässt. Seine Belange und die des Naturschutzes haben immer Vorrang. Und genau das sollte auch für die Anlagen der Thüringer Fernwasserversorgung gelten."

MDR (fra)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 09. Dezember 2022 | 15:30 Uhr

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