Das Parlament in Sofia
Sitz des bulgarischen Parlamentes in Sofia. Am Sonntag wird es zum dritten Mal in diesem Jahr neu gewählt. Bildrechte: IMAGO / Rainer Unkel

Bulgarien Bulgaren wählen wieder - zum dritten Mal in diesem Jahr

13. November 2021, 05:00 Uhr

Bulgarien steckt seit dem Frühjahr in einer tiefen politischen Krise. Weder nach den Parlamentswahlen im April noch im Juli hatten es die Parteien geschafft, sich auf eine Regierungsmehrheit zu einigen. Damit sind die Bulgaren am Sonntag zum dritten Mal in diesem Jahr aufgerufen, ein Parlament zu wählen – das gab es noch nie in der Geschichte des Landes. Zeitgleich finden am Sonntag auch die Präsidentschaftswahlen statt.

Die im Kampf gegen die hohe Zahl an Covid-19-Sterbefällen eingeführte 3G-Regel ist derzeit das bestimmende Wahlkampfthema. Es überschattet alle anderen Themen, wie die geplante Einführung des Euro 2024, die steigenden Energiepreise, die Klimakrise oder der unausweichliche Kohleausstieg. Denn in Bulgarien, wo lediglich jeder Vierte gegen Covid-19 geimpft ist, sind die Impfkampagne und die Corona-Politik der Regierung auch stark vom Misstrauen und der Enttäuschung in die Politik geprägt.

Showmaster-Partei verliert an Zustimmung

Die allgemeine Enttäuschung von der politischen Elite bekommen jetzt auch alle neuen Parteien zu spüren, die sich in Bulgarien im Zuge der Proteste gegen die jahrelange Regierungspartei, die Mitte-Rechts-Partei GERB, gebildet haben. Der Wahlgewinner bei den vorgezogenen Wahlen im Juli, die populistische Showmaster-Partei "Es gibt so ein Volk" (ITN), liegt in den Umfragen mit 11,3 Prozent derzeit abgeschlagen auf Platz vier. Der einstige Hoffnungsträger hatte sich selbst ins Abseits manövriert, nachdem ITN-Parteichef Slawi Trifonow einen Tag nach der Wahl im Juli eine Ministerliste für eine Minderheitsregierung präsentierte, ohne jegliche Absprache mit den übrigen Protestparteien aus dem Anti-GERB-Lager. Daraufhin rückten sie von ihm ab.

Das Protestbündnis "Stehe auf" muss sogar um den Einzug ins Parlament bangen. Im Anti-GERB-Lager behält nur die konservative Koalition "Demokratisches Bulgarien" ihre konstanten Zustimmungswerte von rund zehn Prozent.

Neuer Partner für Anti-GERB-Koalition

Die sozialistische Partei (BSP) verzeichnet mit 15,7 Prozent in den Umfragen von Gallup International einen leichten Zuwachs in der Wählergunst, verglichen zur Juli-Wahl. Guten Chancen hat auch der Partei-Neuling "Veränderung fortgesetzt" (PP), den es erst seit September gibt. Die beiden Parteigründer – die Harvard-Absolventen Kiril Petkow und Assen Wassilew – hatten von Mai bis September bereits das Wirtschafts- bzw. das Finanzministerium geleitet.

Ein Teil der Wähler hofft mit ihnen auf einen Generationswechsel in der bulgarischen Politik. Zudem versprechen sie "mit konservativer Politik linke politische Ziele zu erreichen", wie es Petkow formulierte. Soziologen erwarten, dass die neue Partei wegen ihres demonstrativen Reformwillens und ihrer Entschlossenheit, gegen Machtmissbrauch und Korruption vorgehen zu wollen, am Sonntag aus dem Stand heraus ins Parlament einziehen könnte. In Vorwahlumfragen kommt der Parteineuling derzeit auf 13,7 Prozent.

Wo landet die GERB-Partei?

Doch wer hat die größten Chancen bei dieser Wahl? Meinungsforscher rechnen damit, dass die Mitte-Rechts-Partei GERB des ehemaligen Langzeitpremier Bojko Borissow als Sieger aus dieser Abstimmung hervorgehen könnte – wie schon bei der ersten Wahl in diesem Jahr im April. In Vorwahlumfragen liegt sie derzeit bei 24,2 Prozent der Stimmen. Die Enttäuschung über die fehlende Kompromissbereitschaft der Protestparteien, sich auf eine Regierungsmehrheit zu einigen, beschert der GERB nun wieder Stimmenzuwachs.

Und dennoch gehen politische Beobachter davon aus, dass die unter Korruptionsverdacht stehende GERB, sollte sie das Rennen bei der Wahl am Sonntag machen, nicht die Regierung stellen wird: Nach zwölf Regierungsjahren befindet sie sich in völliger politischer Isolation. Vielmehr erwarten Politikanalysten eine Koalition aus den vier Anti-GERB-Parteien: der konservativen Koalition "Demokratisches Bulgarien", dem neuen liberalen Parteiprojekt PP, den Populisten von ITN und den Sozialisten BSP.

Ein Bündnis aus GERB-Gegnern?

Nachdem zwei stark fragmentierte Parlamente in diesem Jahr mit der Regierungsbildung krachend gescheitert sind, behaupten die Parteien im Anti-GERB-Lager nunmehr, sie hätten ihre Lehren aus dem erbitterten ideologischen Kampf gezogen. In der Tat gibt es schon jetzt deutliche Anzeichen für die Bereitschaft, dass sich Konservative, wie "Demokratisches Bulgarien", und Ex-Kommunisten, wie die sozialistische Partei BSP, auf ein gemeinsames Regierungsprogramm einigen wollen.

"Die bulgarische Ampelkoalition wird keine klassische Koalitionsregierung sein, sondern eher ein Expertenkabinett mit drei wichtigen Aufgaben: Justizreform, Sozialpolitik und Revision des abgewählten Machtmodells", kommentierte der Politikwissenschaftler Parwan Simeonow vom Meinungsforschungsinstitut Gallup International. Die vier Parteien hätten als kleinstmöglichen gemeinsamen Nenner, dass sie das bisherige korrupte und autoritäre Regierungsmodell von Bojko Borissow nicht mehr fortsetzen wollten, so der Politologe.

Parlamentswahl plus Präsidentschaftswahl 

Wenn am Wahlsonntag nach Schließung der Wahllokale die Hochrechnungen veröffentlicht werden, wird sich das Kräfteverhältnis für das neue bulgarische Parlament abzeichnen. Eine Entscheidung bei der gleichzeitig stattfindenden Präsidentschaftswahl könnte jedoch noch auf sich warten lassen: Zwar liegt Amtsinhaber Rumen Radew in Umfragen deutlich vor seinen Herausforderern, dem Rektor der Universität Sofia, Anastas Gerdschikow und dem Vorsitzenden des Obersten Kassationsgerichts, Lozan Panow. Kommt der Sieger bei der Präsidentschaftswahl jedoch im ersten Wahlgang nicht auf eine absolute Mehrheit, kommt es eine Woche später zu einer Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzierten.

Rumen Radew, Präsident von Bulgarien
Der bulgarische Staatschef Rumen Radew gilt als Favorit für die Präsidentschaftswahl, die am Sonntag zeitgleich mit der Parlamentswahl ausgetragen wird. Bildrechte: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 07. September 2021 | 21:30 Uhr

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