Fußball Bulgarien: Ex-Verbandschef Borislaw Michajlow
Einst gefeiert, heute im Kreuzfeuer der Kritik: Der Chef des Bulgarischen Fußballverbands, Borislaw Michajlow, sieht sich mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert und musste Mitte November 2023 vor einem dem Antikorruptionsausschuss aussagen. Bildrechte: IMAGO / NurPhoto

Verbandschef zurückgetreten Bulgarien: Verfeindete Fußballfans gemeinsam gegen den korrupten Verband

29. November 2023, 22:22 Uhr

Eigentlich sind sie sich spinnefeind, doch nun sind die Fußballfans verschiedener bulgarischer Vereine gemeinsam auf die Straße gegangen. Die aufgestaute Wut ist groß: fast drei Jahrzehnte ohne nennenswerte sportliche Erfolge, kaum Nachwuchsförderung, Korruptionsvorwürfe. Ehemals gefeierte Nationalspieler, die heute im bulgarischen Fußball die Strippen ziehen, sind zu Buhmännern geworden. Der langjährige Verbandschef hat nun dem Druck der Fans nachgegeben und seinen Posten geräumt.

Vessela Vladkova
Bildrechte: Vessela Vladkova

1994, als Bulgariens Fußball-Nationalmannschaft den Titelverteidiger Deutschland im WM-Viertelfinale aus dem Turnier warf, wurden sie als Volkshelden gefeiert. Die glorreichen Tage sind allerdings längst vorbei. Heute sind die Fußballstars von damals die Buhmänner im bulgarischen Fußball. Der damalige Torwart Borislaw Michajlow war gut 18 Jahre Chef des Fußballverbands – ist aber nun nach massiven Fan-Protesten und Korruptionsvorwürfen zurückgetreten. Bis zum Kongress des Bulgarischen Fußballverbands (BFS) im nächsten Jahr übernimmt sein Stellvertreter Michael Kassabow die Amtsgeschäfte.

Nur noch Erinnerung an ruhmreiche Zeiten

Schlussjubel Bulgarien mit Torwart Borislav Mikhailov (li.) und Velko Yotov (2.v.li.), Jürgen Klinsmann (Deutschland, Mitte) enttäuscht, daneben Petar Aleksandrov (18) und Ilian Kiryakov (16, beide Bulgarien) während der Fußball WM der Herren WM 1994
Einstiger Ruhm: 1994 kickte die bulgarische Nationalelf Titelverteidiger Deutschland aus dem Viertelfinale der Fußball-WM. Bildrechte: IMAGO / WEREK

Die großen Coups der Bulgaren, als ein gewisser Emil Kostadinow beispielsweise im letzten Qualifikationsspiel für die WM 1994 buchstäblich in allerletzter Sekunde ein Traumtor gegen Frankreich schoss und damit überhaupt erst die Teilnahme Bulgariens möglich machte, sind schon lange her. Die bulgarische Fußballnationalmannschaft hat sich seit bald 20 Jahren für keine große Meisterschaft mehr qualifizieren können.

Nicht viel besser sieht es auch in der Profi-Liga des Landes aus – seit Jahren schafft es keine bulgarische Klubmannschaft in die europäischen Turniere. Aber nicht nur die sportlichen Misserfolge sorgen für harsche Kritik gegen den Bulgarischen Fußballverband. Immer wieder werden Korruptionsvorwürfe laut.

Für die Fußballfans in Bulgarien stehen die Schuldigen für die Misere fest. Es sind die einst auf Händen getragenen Stars: der Verbandschef Michajlow sowie seine Stellvertreter Kostadinow (der Held des Spiels gegen Frankreich 1994) und Jordan Letschkow, der im besagten WM-Viertelfinale das entscheidende Kopfballtor gegen Deutschland schoss.

Fußballfans gehen auf die Straße

Fußball Bulgarien: Fans protestieren gegen Verbandsspitze
Aufgestaute Wut: Mitte November gehen bulgarische Fußballfans auf die Straße – der zunächst friedliche Protest artet aus, die Polizei setzt Wasserwerfer ein. Bildrechte: IMAGO / Aleksandar Djorovic

Zum ersten Mal in der Fußballgeschichte des Landes haben sich die Anhänger von verfeindeten Klubs zusammengetan, um gegen die BFS-Spitze zu protestieren. Im Vorfeld des aus bulgarischer Sicht bedeutungslosen EM-Qualifikationsspiels gegen Ungarn in Sofia am 16. November 2023 kündigten die Fanclubs einen Protest während des Länderspiels an. Verbandschef Michajlow fühlte sich offensichtlich so sehr in die Enge getrieben, dass er die UEFA überzeugte, die Partie als "hochriskant" einzustufen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen. Man habe Informationen über zu erwartende öffentliche Unruhen in und um das Stadion herum erhalten, hieß es zur Begründung.

Der Protest verlief zunächst friedlich, doch wegen Provokationen kleiner Gruppen von Hooligans artete er in eine regelrechte Randale aus. Vor dem Nationalstadion in Sofia kam es dann zu Ausschreitungen zwischen wütenden Fans und der Polizei, mit vielen Verletzten. Der Chef des Fußballverbands, Michajlow, sah zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keinen Grund zurückzutreten. "Wenn man mit der Leistung des Lieblingsklubs unzufrieden ist, sucht man den Schuldigen woanders. Selbst wenn ich zurücktrete, wird das daran nichts ändern", sagte der 60-Jährige und kündigte schmallippig seinen Rücktritt für nächstes Jahr an: "Ich denke nicht, dass ich wieder antrete."

Staatsanwaltschaft ermittelt

Ein leeres Fußballstadion
Düstere Wolken über dem bulgarischen Fußball: Nationalstadion in Sofia Bildrechte: IMAGO / GEPA pictures

Erst nach der Randale sah die Staatsanwaltschaft plötzlich einen Grund für Ermittlungen gegen den Fußballverband – obwohl die Fanklubs Michajlow & Co schon seit Wochen Korruption und Misswirtschaft vorwerfen. Es gebe Hinweise auf Missbrauch von Staatshilfen und stillschweigende Billigung von illegalen Fußballwetten in der Profi-Liga, wo Wettanbieter Sponsoren der Vereine sind, so eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft.

Ein inzwischen offenes Geheimnis ist, wie mit Steuergeldern ein Fußballstadion in einem abgelegenen Sofioter Stadtviertel gebaut worden ist, wo die Austragung von offiziellen Fußballspielen nicht möglich ist. Das Stadion hat eine schlechte Verkehrsanbindung und eine ungünstige Lage am Fuße eines Gebirges, die ein geordnetes und sicheres Verlassen durch größere Menschenmassen unmöglich macht. Der teure Neubau wird daher nur zum Training genutzt. Die eigentlichen Spiele vergibt der Bulgarische Fußballverband unterdessen an Sportanlagen, die ihm nahestehenden Funktionären gehören.

Der Bauauftrag für diese Fehlinvestition ging an die Firma "Wodstroj" des dubiosen Geschäftsmanns und Parlamentsabgeordneten Deljan Peewski, der von den USA wegen Korruption sanktioniert wird. Zudem sind die Bauarbeiten der Staatsanwaltschaft zufolge absichtlich um Jahre verzögert worden, während das von der UEFA zur Verfügung gestellte Geld bei einer Bank angelegt war.

Keine Nachwuchsförderung

Dzhem Andonov und Antonio Tentiic
Kaum Nachwuchsförderung: Freundschaftsspiel der bulgarischen U15-Mannschaft gegen Rumänien. Bildrechte: IMAGO / sport pictures-Razvan Pasarica

"Das ist das Paradebeispiel, aber es gibt noch viele andere", behauptet Iwan Dimitrow aus Plewen, der für den Protest gegen die Verbandsspitze extra nach Sofia gereist ist. "Was hat der Fußballverband für die Nachwuchsförderung getan? Nichts! In Plewen haben wir nicht einmal ein Stadion! Im Verband sitzen von oben bis unten nur Funktionäre, die dem Chef die Treue geschworen haben. Jeder, der eine andere Meinung hat, fliegt raus – wie im Kommunismus", empört sich Iwan.

Nachwuchsförderung finde praktisch nicht statt, sagt ein anderer Protestteilnehmer, und wundert sich eigentlich nicht, dass es um den bulgarischen Fußball so schlecht steht: "Von nichts kommt nichts." Auch der 50-jährige Georgi gerät schnell in Rage und fragt sich, was die einstigen Starkicker für die Entwicklung des bulgarischen Fußballs getan haben.

"Geblieben ist nur die Erinnerung an die guten alten Zeiten", antwortet indirekt der Sportjournalist Boris Kassabow (mit dem kommissarischen Verbandsleiter nicht verwandt). Er fasst zusammen, warum die Fans auf die Straße gingen: "Die Führungsspitze im Fußballverband ist abgehoben und lebt in einem eigenen Universum, fern von der Realität. Die bulgarische Meisterschaft ist eine Parodie, da spielen kaum bulgarische Jungs. Wie soll dann der Nationaltrainer eine Elf zusammenstellen?", fragt Kassabow mit Blick auf die Profiliga, in der deutlich mehr als die Hälfte der Spieler Ausländer sind.

Verkaufte Spiele?

Ein weiteres Problem stellt laut Kassabow die Korruption dar. Und diese beginnt schon im Kleinen: Jeder wisse, dass in den Kinder- und Jugendmannschaften diejenigen Jungen zum Einsatz kämen, deren Eltern den Klub oder den Trainer bestechen würden, so der Sportreporter.

Die Spiele der Profi-Liga finden Kassabow zufolge seit Jahren fast ohne Publikum statt, denn die Fans sind überzeugt, dass die Partien nicht auf dem Rasen, sondern in Hinterzimmern gegen Geld entschieden werden. Damit müsse endlich Schluss sein, fordert der Sportjournalist.

1994 kommentierte Kassabow das WM-Viertelfinalspiel Bulgarien gegen Deutschland im Fernsehen. Fast 30 Jahre später sagt er mit einem bitteren Lächeln im Gesicht: "Alles begann wie in einem Märchen der Brüder Grimm, doch es endet wie ein Thriller von Alfred Hitchcock." Immerhin, ein erster Schnitt zur Verbesserung der Zustände ist mit dem Rücktritt Michajlows getan. Nun muss der Bulgarische Fußballverband beweisen, dass er die Vorwürfe ernst nimmt.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten – Der Osteuropa-Podcast | 02. Dezember 2023 | 07:17 Uhr

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