Einzelhandel Von wegen Black Friday! In Tschechien sind Rabatte Alltag
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30. November 2024, 04:08 Uhr
Die Tschechen sind ein Volk von Schnäppchenjägern. Um ihre Waren zu verkaufen, müssen Einzelhändler nicht nur an Black Friday, sondern ganzjährig Rabatte anbieten, denn das erwarten die Konsumenten. Am häufigsten lassen sich unsere Nachbarn mit Preisnachlässen für Milch und Bier in die Filialen locken. Doch großzügige Rabatte haben schon längst auch andere Bereiche erfasst. Experten warnen inzwischen vor einer Marktverzerrung. Nichtrabattierte Artikel sind dagegen oft teurer als in Deutschland.
Auch wenn an den Briefkästen vieler tschechischer Haushalte die Aufschrift "Keine Werbung" klebt, ragen dennoch vor allem vor Wochenenden aus vielen Postfächern bunte Prospekte hervor. Darin ist oft von "Preisknüllern" (auf Tschechisch "Cenová bomba") und diversen Sonderangeboten zu lesen, mit denen die Supermarktketten auf Kundenfang gehen.
Rabattschlachten sind in Tschechien Alltag
Mit ziemlichen Erfolg, wie es scheint, denn das Ausmaß der Rabatte nimmt stetig zu. Egal welche Jahreszeit gerade ist, eigentlich jagen die Tschechen immer irgendwelchen Schnäppchen hinterher. Vor allem in großen Städten hängt ihre Entscheidung, wo sie am Wochenende ihren Großeinkauf für die kommenden sieben Tage machen, häufig davon ab, wo es gerade die meisten Rabatte gibt.
Besonders oft zu finden sind diese bei Lebensmitteln und Drogerieartikeln. Inzwischen entfallen etwa zwei Drittel aller Einzelhandelsumsätze auf Sonderangebote. Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts NielsenIQ ist der Anteil von Sonderangeboten am Gesamtwert der verkauften Ware bei den großen Supermarktketten seit dem vergangenen Jahr von 60 auf 64 Prozent gestiegen. In den vergangenen fünf Jahren nahm der Anteil der rabattierten Ware um neun Prozentpunkte zu.
Zu den Produkten, die von den Kunden am häufigsten auf diese Weise gekauft werden, gehört Bier. Hier entfallen von 1.000 Kronen (umgerechnet 39,50 Euro), die ausgegeben werden, ganze 765 Kronen (29,80 Euro) auf reduzierte Ware. Ähnlich hoch ist diese Quote bei Käseprodukten – sie liegt bei 680 Kronen (27 Euro) je 1.000 ausgegebene Kronen.
Schnäppchensuche ist Volkssport
Einige tschechische Politiker haben ihren Landsleuten in jüngster Vergangenheit sogar das Einkaufen reduzierter Artikel und Produkte als Maßnahme gegen die Inflation empfohlen: "Warum sollte ich Milch kaufen, wenn sie 25 bis 40 Kronen kostet? Dann warte ich eben ein paar Tage oder Wochen und kaufe einen ganzen Karton für 16 bis 17 Kronen. Das Lesen von Prospekten ist doch für viele Bürger so oder so eine Art Sport", meinte vor nicht allzu langer Zeit der damalige Landwirtschaftsminister Zdeněk Nekula, womit er für einhellige Empörung sorgte. Später verstieg er sich sogar dazu, dass er auf seinen Social-Media-Kanälen bekannt gab, in welcher Supermarktkette es gerade am günstigsten Mehl zu kaufen gibt. Dies war wohl nicht zuletzt einer der Gründe, warum er zurücktreten musste.
Unabhängig von den ministeriellen Ratschlägen und der hohen Inflation der letzten Jahre konnten sich die Tschechen allerdings immer schon für Schnäppchen und Rabatte begeistern und deckten sich reichlich und auf Vorrat mit den rabattierten Produkten ein. Dieses Kundenverhalten habe im Land durchaus Tradition, wie der unabhängige Marktforscher Petr Havel im Gespräch mit dem MDR erläutert: "Schon vor der Wende wurden die Preise für Lebensmittel vom Staat künstlich niedrig gehalten, womit die Gewohnheit, immer nach den geringsten Preisen Ausschau zu halten, den Kunden in Fleisch und Blut übergegangen ist."
Schnäppchenliebe hat historische Gründe
Als dann nach der Samtenen Revolution und der Einführung der Marktwirtschaft die ersten großen westlichen Handelsketten ins Land kamen, hätten sie laut Havel an diese Tradition angeknüpft und begonnen, die Kunden mit äußerst niedrigen Preisen zu locken. Wer sich dem widersetzte, wurde Havel zufolge vom Markt verdrängt. "Hier ist das Grundmuster entstanden, wonach sich die Kunden in erster Linie anhand der Preise entscheiden und erst dann die Qualität der Produkte oder andere Kriterien in Betracht ziehen", ergänzt der Experte.
Gut zu sehen ist das beim aktuell hohen Butterpreis. Momentan werden in den Geschäften für eine 250-Gramm-Packung fast 70 Kronen (umgerechnet 2,80 Euro) verlangt. Vor einigen Wochen lag der Höchstpreis noch bei rund 50 Kronen, und im Angebot konnte man Butter schon für 35 Kronen kaufen. Kurz vor Weihnachten warten nun viele Kunden sehnsüchtig auf eine "Aktion", wie man in Tschechien Sonderangebote nennt, um Butter etwas billiger zu bekommen.
Rabattschlachten verzerren Markt
So mancher Experte sieht die vielen Rabatte allerdings kritisch, da sie den Markt verzerren würden. Auch Havel, der seit Jahren im Bereich Landwirtschafts- und Lebensmittelmarkt forscht, hält sie für schädlich. Im Gespräch mit dem MDR verweist er zudem auf einen psychologischen Effekt: "Weitaus schlimmer ist, dass einige Erzeugnisse, typischerweise Milchprodukte, eigentlich nur noch dann gekauft werden, wenn sie im Sonderangebot sind. Die Kunden verlieren somit das Gefühl dafür, welchen Wert diese Produkte haben."
Wenn Milch zum vollen Preis verkauft werde, der den Herstellungskosten entspreche, könne bei den Kunden leicht das Gefühl aufkommen, geprellt worden zu sein, sagt Havel. Die höheren – eigentlich regulären – Preise würden dann den Herstellern oder den Supermärkten angelastet.
Hart umkämpfter Lebensmittel-Markt
Das können die Akteure im tschechischen Einzelhandel wiederum nicht auf sich sitzen lassen, da in diesem Bereich seit Jahren ein großer Konkurrenzkampf herrscht. Der Markt wird schon lange von Unternehmen dominiert, die ihren Sitz in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden haben. Ihr Ziel ist es, die Kunden längerfristig an sich zu binden und ein Maximum an Informationen über sie zu sammeln, etwa was sie am häufigsten kaufen. Dazu dienen verschiedene Treueprogramme, bei denen man für regelmäßiges Einkaufen belohnt wird – in Form von Rabattcoupons für bestimmte Produkte.
Was bei Lebensmitteln und Drogerieartikeln in großem Umfang funktioniert, geht in etwas kleinerem Umfang auch in anderen Bereichen vonstatten, zum Beispiel bei den Elektro-Fachgeschäften. Diese konzentrieren sich zum Beispiel nicht nur auf den sogenannten "Black Friday" am letzten November-Wochenende, sondern bieten das ganze Jahr über Nachlässe an. Da es sich hierbei in den meisten Fällen um teurere Ware handelt, fallen hier die Rabatte stärker ins Gewicht als zum Beispiel bei Lebensmitteln oder Waren des täglichen Bedarfs.
Experten warnen vor falschen Schnäppchen
Verbraucherschützer und die Vereinigung D-Test, die mit der deutschen Stiftung Warentest vergleichbar ist, mahnen die Kunden allerdings seit Jahren zur Vorsicht, denn nicht immer sind die als reduziert beworbenen Preise wirkliche Schnäppchen. "Seit vergangenem Jahr sind die Händler verpflichtet, den Preisnachlass anhand des niedrigsten Preises der vergangenen dreißig Tage zu berechnen. Es kommt vor, dass die Händler das nicht einhalten und den Rabatt anhand des gängigen Preises berechnen, diesen dann durchstreichen und zum Beispiel 'minus 40 Prozent' darunter schreiben", sagte Karolína Valouchová dem MDR. Sie arbeitet als Juristin für die Vereinigung D-Test.
So ein "frisiertes" Preisschild sehe gut aus und ziehe die Aufmerksamkeit der Kunden an, obwohl es in Wahrheit einen niedrigeren Preis nur vortäusche. Auch Valouchová bestätigt, dass sich viele ihrer Landsleute von Rabatten stark angezogen fühlen. Würde es diese Erwartung bei den Kunden nicht geben, würden die Händler ihrer Meinung nach in Sachen Preispolitik oft nicht so offensiv vorgehen, wobei sie sich auch einiges einfallen lassen.
"Es kommt auch vor, dass auf den Preisschildern zwar tatsächlich der niedrigste Preis der vergangenen dreißig Tage angeführt ist. Oft ist das aber so winzig geschrieben, dass das von den Kunden überhaupt nicht wahrgenommen wird, ein wirklicher Vergleich also praktisch nicht möglich ist", sagt die Juristin.
Greift die Politik bei Rabattschlachten durch?
Dass es Handlungsbedarf gibt, um in das undurchsichtige System von Rabatten im tschechischen Einzelhandel etwas Licht zu bringen, darüber besteht breiter Konsens. Doch über das "Wie" ist man sich uneins. Ein Vorschlag ist, eine verbindliche maximale Höhe von Preisnachlässen festzulegen.
Diesen Schritt ist man vor Jahren in Frankreich gegangen, wo die Ware maximal um 34 Prozent billiger angeboten werden darf. Ebenso ist auch der Umfang von verbilligter Ware in den jeweiligen Geschäften eingeschränkt. Ob sich die Politiker dieses Themas annehmen, ist angesichts der großen Schnäppchenvorliebe der Tschechen allerdings fraglich. Und sollten sie es dennoch wagen, würden sie es wohl mit einem starken Lobbying von Seiten der Handelsketten zu tun bekommen.
MDR (baz)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 30. November 2024 | 07:17 Uhr