Reportage Kirche und die AfD
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27. Mai 2024, 11:47 Uhr
Sechs ostdeutsche katholische Bischöfe hatten im Januar den Anfang gemacht. Es folgte die Deutsche Bischofskonferenz und schließlich meldete sich die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu Wort mit einem Appell, keine Partei mit einem völkisch-nationalistischen Weltbild zu wählen. Doch was bedeuten diese Positionierung für den Alltag in den Gemeinden? Eine Bestandsaufnahme.
In deutschen Kirchgemeinden brodelt es. Denn Parteien mit rechtspopulistischem Gedankengut spalten Kirche, Gesellschaft und die Gläubigen. Nicht jedem passt, dass die Verantwortlichen beider großer Kirchen erklärt haben, völkischer Nationalismus widerspreche dem christlichen Menschenbild und eine Partei wie die AfD sei deshalb für Christen nicht wählbar.
In Ostdeutschland sind weniger als 15 Prozent der Bevölkerung Mitglied der evangelischen Kirche, in der katholischen sind es nicht mal fünf Prozent. Und doch meint Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, solle sich Kirche in Politik einmischen:
"Das ist natürlich auch klar, dass Menschen da auch andere Positionen haben. Aber wir brauchen Gespräch darüber, wir brauchen Diskurs darüber und unsere Kirchen sind dafür die besten Orte."
Funktioniert Kirche als offener Diskussionsort und was passiert, wenn sich eine Pfarrerin oder ein Pfarrer klar positioniert? Die evangelischen Pfarrer Simon Klaas und Tobias Jachmann aus dem süd-brandenburgischen Forst beobachten, wie die AfD die Probleme der Region und die Ängste der Bevölkerung für ihre Zwecke nutzt.
Deshalb initiierten die beiden Pfarrer schon lange vor den offiziellen Erklärungen der beiden großen Kirchen, keine Aufträge mehr an ortsansässige Handwerker zu vergeben, die AfD-Mandatsträger sind. Das schlug hohe Wellen. Für die beiden Pfarrer eine eher unverständliche Reaktion.
Wenn ich diese engen nationale Ideen vertrete, will ich doch auch eigentlich gar nicht mehr mit der Kirche zusammenarbeiten. Wir stehen ja für Vielfalt, für Toleranz, für all diese Dinge.
Niemand soll ausgeschlossen werden
Auch für den Magdeburger Bischof Gerhard Feige stehen Ansichten von Parteien wie der AfD im Widerspruch zum christlichen Menschenbild. In Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen sind die Landesverbände der AfD vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Auch deshalb haben die ostdeutschen katholischen Bischöfe auf eine klare Positionierung gedrungen.
Doch wenn die Kirche für alle Menschen da sein sollte, können dann AfD-Mitglieder ausgeschlossen werden?
"Wir schließen grundsätzlich keine Menschen aus, sondern versuchen, im Kontakt zu sein, mit ihnen zu sprechen. Es hat alles seine Grenzen, auch durch die Art der Kommunikation. Wenn aber die Bereitschaft da ist, sich wirklich aufeinander einzulassen, auch auf eine gegenteilige Position, dann sind wir grundsätzlich offen. Dann verweigern wir uns nicht und ziehen uns nicht zurück", erklärt der Magdeburger Bischof Feige.
Die Erklärung der katholischen Bischöfe ist ein Appell an das Gewissen und eine Aufforderung zu demokratischem Engagement. Eine Handhabe, wie Kirchgemeinden konkret mit der AfD, ihren Mitgliedern oder Abgeordneten im Gemeindeleben umgehen sollen, ist sie allerdings nicht.
Eigenes demokratisches Format entwickelt
In Leipzig-Leutzsch hat Pfarrerin Sabine Wagner einen ganz eigenen Weg gefunden. Sie hat ein Diskussions-Format für ihre Gemeinde entwickelt, um politisch aufzuklären und miteinander ins Gespräch zu kommen. Ohne Parteipolitik und erhobenen Zeigefinder.
Beim "Wahlessen" geht es um Fragen zu Europa, zur Flüchtlingspolitik, zur Wahl - alles wird dort ganz sachlich diskutiert. Das Format ist interessant, leider ist der Zuspruch geringer, als von der Pfarrerin erhofft. Sind die Menschen demokratiemüde geworden? Oder wollen sie lieber nur lautstark Dampf ablassen?
Klare Haltung zur AfD wird auch begrüßt
Die beiden großen deutschen Kirchen haben es eindeutig formuliert: Für sie entwickelt sich die AfD immer mehr zu einer Partei mit einem völkisch-nationalistischen Weltbild. Und so werden politische Sympathien und Überzeugungen auch für Christinnen und Christen zur Gewissensfrage.
Wolfgang Kolitsch, katholisches Gemeindemitglied im thüringischen Eichsfeld begrüßt die klare Positionierung seines Pfarrers und der Bischöfe:
"Wir leben ja nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern wir wollen uns auch in die Gesellschaft einbringen mit unseren christlichen Werten und Vorstellungen. Da denke ich mir, ist eine klare Position einfach unerlässlich. Und ich persönlich freue mich darüber, dass unser Pfarrer Stellung bezieht, und ich habe mich auch sehr gefreut, dass unsere Bischöfe dieses Wort verfasst haben zu den bevorstehenden Wahlen und zu diesen gesamten politischen Einschätzungen."
Dieses Thema im Programm: Das Erste | Kirche und die AfD | 02. Juni 2024 | 11:30 Uhr