Erlöserkirche in Jerusalem 4 min
Bildrechte: IMAGO / Danita Delimont

Haltung zu Israel Wie sich protestantische Kirchen in Deutschland und Nahost positionieren

25. Oktober 2023, 04:00 Uhr

Die EKD, die Evangelische Kirche in Deutschland, hat in klaren Worten den Terror der Hamas verurteilt und sich an die Seite Israels gestellt. Doch aus der lutherischen Partnerkirche im Heiligen Land sind auch andere, wesentlich israelkritischere Töne zu hören. Wie geht die EKD damit um?

"Es gibt Äußerungen von Pfarrerinnen und Pfarrern, die uns irritiert haben", meint Martin Pühn, in der EKD zuständig für die Kontakte in den Nahen und Mittleren Osten. Irritiert sind die deutschen Protestanten unter anderem von Äußerungen ihrer evangelisch-lutherischen Partnerkirche in Jordanien und dem Heiligen Land.

In einem offiziellen Statement dieser Kirche heißt es, der Krieg sei "ein Symptom eines Volkes, das durch extensive und systematische Gewalt und Unterdrückung tief verwundet“ sei.

Sally Azar: "Kein Raum für die Perspektive der Palästinenser in Deutschland"

Und die in Deutschland ausgebildete palästinensisch-lutherische Pfarrerin Sally Azar teilte auf Instagram den Post einer Aktivistin, die nach dem terroristischen Angriff der Hamas schrieb: "Gaza sei gerade aus dem Gefängnis ausgebrochen". Außerdem kritisierte die Pfarrerin, dass das Brandenburger Tor in den Farben Israels angeleuchtet wurde, während für die Perspektive der Palästinenser in Deutschland kein Raum sei. 

Sally Ibrahim Azar eine Pastorinnenanwärterin in mitten mehrerer Geistlicher
Die palästinesische Pfarrerin Sally Ibrahim Azar Bildrechte: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Maya Alleruzzo

Martin Pühn weiß, dass palästinensische Christinnen und Christen unter der israelischen Besatzung leiden. Aber für die EKD gibt es eine klare rote Linie:

Jegliche Form der Rechtfertigung des Terrors der Hamas ist für uns unakzeptabel. Ich kann das auch nicht als Teil eines Befreiungskampfes verstehen.

Martin Pühn, EKD

Auch die ungerechte Situation im Nahen Osten könne in keiner Weise die Gewalt rechtfertigen, sagt Pühn.

Kooperationen mit palästinensischen Partner-Organisationen sollen überprüft werden

Israelkritische Stellungnahmen kommen auch von palästinensischen Organisationen, die der Hamas fernstehen – mit denen die evangelische Kirche zusammenarbeitet. Inzwischen melden sich Stimmen, die die EKD für dieses Engagement kritisieren.

So steht auch das evangelische Hilfswerk "Brot für die Welt" unter Druck. Die Hilfsorganisation unterstützt rund dreißig Partnerorganisationen in Israel und den palästinensischen Gebieten, darunter vier im Gaza-Streifen. Der Bundestag hat die Bundesregierung nun aufgefordert, auch diese Kooperationen überprüfen zu lassen.

Brot für die Welt Wagen vor Landtagsgebäude in der Stuttgarter Innenstadt.
Auch die Projekte von "Brot für die Welt" in den palästinensischen Gebieten werden vom Bundestag überprüft Bildrechte: IMAGO / Eibner

Wir haben sehr hohe Standards und Kriterien für die Aufnahme der Projektpartner. Wir führen eine sehr akribische Trägerprüfung durch, wir prüfen Partner auf Herz und Nieren.

Lutz Wollziefer, Brot für die Welt

Lutz Wollziefer ist bei "Brot für die Welt" für den Nahen Osten zuständig. Er ist sich sicher, dass keine Projektmittel direkt zur Terrorfinanzierung verwendet wurden. 

Wollziefer begrüßt grundsätzlich, dass die Bundesregierung alle Hilfsprojekte für Palästina unter die Lupe nehmen will. Allerdings befürchtet er, dass durch die Überprüfung und dem damit verbundenen Einfrieren von Bewilligungen, Projekte ab Jahresbeginn 2024 auslaufen müssten.

Davon betroffen sei zum Beispiel ein Krankhaus in Ost-Jerusalem und die Jugendarbeit im West-Jordanland.  

Divergenzen aushalten, das Gespräch suchen

Dass die palästinensischen Christinnen und Christen vor Ort aufgrund ihrer Lebenssituation einen anderen Blick auf Israel haben als die evangelische Kirche in Deutschland, kann Martin Pühn von der EKD nachvollziehen. Doch es gehöre zur Partnerschaft, auch unterschiedliche Positionen auszuhalten, so Pühn.

Diese Divergenzen und Irritationen müssten in Gesprächen geklärt werden. Doch er mahnt:

Wir sollten aber daraus nicht den Schluss ziehen, dass wir unsere Partner nicht mehr unterstützen. Weil wir dann gerade den Wenigen, die sich in dem großen Konzert von Hass für eine friedliche Lösung einsetzen, die Stimme rauben würden.

Martin Pühn

Die EKD steht klar an der Seite Israels, unterstützt gleichzeitig aber auch die Forderungen der Palästinenser nach einem Ende der Besatzung und einem eigenen Staat. Damit sitzt sie zwischen allen Stühlen. Dies ist kein angenehmer Platz, doch der evangelische Theologe Pühn ist sich sicher, dass dieser Platz der richtige sei.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Religion und Gesellschaft | 22. Oktober 2023 | 10:00 Uhr

Mehr zum Thema: