Eine Bildmontage zeigt links einen Mann vor grauem Hintergrund, links Bundeskanzler Scholz hinter Kamera-Spiegelungen.
Bisher eher unsichtbar: Bundeskanzler Olaf Scholz (re.). Bildrechte: MDR/dpa

Kommentar Nahost-Konflikt: Scholz wird endlich sichtbar

22. Oktober 2023, 05:00 Uhr

Olaf Scholz wirkte in seiner bisherigen Kanzlerschaft wie ein Geist – ungreifbar, blass, unwirklich. Bis zum Angriff der Hamas-Terroristen auf Israel. Plötzlich hat der Kanzler ein Thema, das ihm wirklich was zu bedeuten scheint, kommentiert MDR-AKTUELL-Redakteur Ayke Süthoff.

Ayke Süthoff
Bildrechte: MDR/Markus Geuther

Endlich sieht man in Deutschland mal was vom Bundeskanzler. Das allein ist ja schon bemerkenswert. Bereits Angela Merkel hatte den Ruf, Dinge auszusitzen und sich nur zu äußern, wenn sie nicht mehr anders konnte. Bei Olaf Scholz ist es noch auffälliger: Er wirkt wie ein Geister-Kanzler, es gibt zwar immer wieder Sichtungen, aber das Land rätselt trotzdem, ob es ihn wirklich gibt.

Doch seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel mit den schrecklichen Folgen und Begleiterscheinungen wie antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland ist es anders: Der Geister-Kanzler hat sich materialisiert, Scholz ist sichtbar wie nie, seit er das Amt übernommen hat.

Das könnte man schulterzuckend hinnehmen, der Bundeskanzler macht halt seinen Job. Doch es ist interessant, dass Olaf Scholz gerade jetzt Präsenz zeigt. Endlich gibt es offenbar ein Thema, dass dem Kanzler wirklich wichtig ist: Der Nahost-Konflikt und die Solidarität mit Israel sowie der Kampf gegen Antisemitismus.

Bei keinem Thema zeigte Scholz bisher diese Entschlossenheit

Bei keinem anderen Thema zeigte Scholz bisher so eine Entschlossenheit. Weder bei seinem Wahlkampfthema "Respekt", von dem in der Regierungszeit denkbar wenig geblieben ist, noch beim Kampf gegen den Klimawandel, den er als selbstbezeichneter "Klimakanzler" versprochen hat. Und selbst als Russland die Ukraine angriff, dauerte es, bis der Kanzler eine eindeutige Haltung entwickelte. Die berühmte "Zeitenwende"-Rede hielt er zwar nur drei Tage nach Kriegsbeginn, ein entschlossenes Auftreten ließ er danach trotzdem vermissen. Seine erste Reise nach Kiew fand fast vier Monate nach Kriegsbeginn statt – davor fand Scholz allerlei Gründe, nicht zu reisen. Ähnlich zaudernd seine Haltung beim Thema Waffenlieferungen.

Nach Israel flog Scholz exakt zehn Tage nach dem Angriff der Hamas. Er wollte dieses Mal zu den ersten gehören, wie Tagesschau-Redakteurin Corinna Emundts treffend beschreibt.

Seine Haltung vor Ort war klar wie selten: Uneingeschränkte Solidarität mit Israel als deutsche Staatsräson. Auch seine Reden sind plötzlich von außergewöhnlicher Klarheit – "Wer Juden angreift, greift uns alle an" und "klare Kante" gegen Antisemitismus verkündete der Kanzler. Und Scholz wird nicht müde, seine Message zu wiederholen, egal ob im Bundestag, bei öffentlichen Auftritten, Auslandsbesuchen oder in Interviews.

Scholz meint es ernst

Scholz meint es diesmal ernst. Am Sonntag reist Scholz nach Dessau, um bei der Eröffnung der Kurt-Weill-Synagoge anwesend zu sein. Es ist wohl nicht zu vermessen, wenn man vermutet, dass er für einen solchen Termin ohne die aktuelle Zuspitzung im Nahost-Konflikt nicht nach Sachsen-Anhalt gekommen wäre.

Scholz hat also endlich ein Thema, das ihn wirklich bewegt. Sein Problem ist allerdings, dass er mit dem Thema Kampf gegen Antisemitismus – so wichtig es ist – wohl kaum Wahlen entscheiden wird. Profitieren kann er, wenn überhaupt, davon, endlich mal wahrgenommen zu werden – als Kanzler mit echten Überzeugungen.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 22. Oktober 2023 | 19:30 Uhr

25 Kommentare

goffman vor 28 Wochen

Ihnen ist bewusst, dass Israel es zur Bedingung gemacht hat, dass die Hilfslieferungen nicht an die Hamas gehen? Klar, ganz wird man dies nicht vermeiden können. Aber wenn man zumindest offiziell nichts anbietet, kann man dafür offiziell auch nichts verlangen.

Davon abgesehen schaden Hilfslieferungen der Hamas evtl. sogar politisch. Zur Erinnerung: die Hamas ist groß geworden und hat Zuspruch unter der Bevölkerung bekommen, weil sie sich ursprünglich um die Notlage der Bürger gekümmert hat, weil sie den Palästinensern geholfen hat.

Wenn die Hilfe jetzt aus der anderen Richtung kommt, vom Westen oder gar von Israel selbst käme, dann können diese Hilfslieferungen den Einfluss und die Position der Hamas sogar deutlich schwächen.

Matthi vor 28 Wochen

Wer Wind sät wird Sturm Ernten, die Hamas hat diesen Krieg angefangen und nicht Israel. Wer Frauen Kinder Alte Menschen Massakriert vergewaltigt und Geiseln nimmt hat kein Mitleid verdient. Die Palästinenser die Hamas und Hisbollah aktiv oder passiv unterstützen sind für das aktuelle Leid im Gazastreifen verantwortlich. Das schlimme daran den Hamas Kämpfern ist es anscheinend egal das ihre Landsleute Leiden, ansonsten würden sie sich um Frieden bemühen und nicht weiter Raketen Richtung Israel abfeuern, wo Höstwarscheinlich eine ihr eigenes Krankenhaus getroffen hat.

Matthi vor 28 Wochen

Auch seine Reden sind plötzlich von außergewöhnlicher Klarheit – "Wer Juden angreift, greift uns alle an" und "klare Kante" gegen Antisemitismus verkündete der Kanzler.

Es sollte seinen Worten Taten folgen, ansonsten kann er sich seine Reden sparen. Auch wenn es unpopulär ist, Ausländer die Antisemiten sind offen unsere Werte nicht teilen wie man aktuell bei pro Palästinenser Demos sieht sollten genauso die Gärten des Gesetzes spüren wie Rechte Gruppen die sich nicht ans Gesetz halten.

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