Stabkirche Stiege Wie Studierende aus Halle eine Kirche im Harz versetzen

15. Februar 2020, 13:09 Uhr

Die Stabkirche Stiege im Harz soll umziehen. Studierende der Denkmalpflege der Uni Halle haben Ende Januar in Dessau an der Hochschule Anhalt dazu ihre Rechercheergebnisse präsentiert. Welche Erkenntnisse es gibt – und was die Harzer Schmalspurbahnen damit zu tun haben. Ein Gastbeitrag.

Bei Kaffee und Kuchen treffen sich Studierende der Uni Halle und Mitglieder des Vereins Stiege e.V. am 30. Januar in Dessau. Es ist voll in dem kleinen Seminarraum, alle Stühle sind besetzt. Zusammen wollen sie ein besonderes Projekt besprechen: die Versetzung der Stabkirche Stiege im Harz. Die 1905 gebaute Stabkirche Stiege ist nur eine von drei Kirchen in Sachsen-Anhalt, die in der ursprünglich in Skandinavien verbreiteten Blockbohlenbauweise gefertigt sind.

Aktuell steht die Kirche relativ abgelegen nahe der ehemaligen Lungenheilstätte Albrechtshaus. Das Grundstück der Stabkirche wurde von einer Immobilienfirma gekauft, die die Kirche nicht vor Vandalismus schützt. Als ein Denkmal für ihre besondere Bauweise soll die Stabkirche deswegen nun etwa vier Kilometer weiter in das Dorf Stiege versetzt werden. Dort soll sie möglichst unversehrt erhalten bleiben. Dafür setzt sich der 2014 gegründete Verein Stiege ein.

Studierende erarbeiten Empfehlungen für Kirchen-Versetzung

Für ein Semesterprojekt recherchierten sieben Masterstudierende der Denkmalpflege der Uni Halle Verfahren, um die Stabkirche möglichst schonend und denkmalpflegegerecht zu versetzen. Angeleitet wurden sie dabei von Annemarie Reimann vom Fachbereich Architektur, Facility Management und Geoinformation der Hochschule Anhalt in Dessau. Sie und ihre Studierenden stellten dem Verein Stiege und dem beteiligten Planungsbüro ihre Ergebnisse vor.

Wie die Studierenden vorgegangen sind

Die Studierenden haben die Bedeutung der Zeichen untersucht, welche die Lage der einzelnen Balken markieren. Sie haben die Bestandspläne, das Aufmaß und die Vorbetrachtungen ausgewertet. Außerdem widmeten sie sich der Fotodokumentation, Konstruktion, Kostenberechnungen sowie den Lager- und Transportsysteme. Außerdem schauten sich die Studierenden eine Bautenschutzanalyse sowie Zeichnungen und Pläne an. Daraus erarbeiteten sie einige für den Verein hilfreiche Erkenntnisse.

Als besonders wichtige Erkenntnis geht zum einen die Handlungsempfehlung für die Restauration der Lasur hervor. Anhand eines Originalbalkens aus der Kirche wurden verschiedene Verfahren getestet – ein Heißluftverfahren hat sich als am schonendsten herausgestellt.

Zum anderen ging aus der Recherche hervor, wie die einzelnen Holzbalken gefertigt wurden. Sie sind zwar alle einzeln hergestellt, jedoch mit einer Maschine – also keine handgefertigten Unikate. Alle Holzbohlen liegen einzeln aufeinander, die Wände sind keine vorgefertigten Segmente. Darum empfehlen die Studierenden, die Stabkirche zu translozieren. Das heißt: Einmal von oben nach unten komplett ab- und dann am neuen Standort wieder aufbauen.

Fast wie bei Ikea: Kirche aus dem Katalog

Für den Wiederaufbau bei der Translozierung sind sogenannte Abbundzeichen wichtig. Diese Zeichen markieren die Stellen, an denen die Holzbohlen zusammengefügt wurden. Jedes der insgesamt 14 Abbundzeichen folgt einem System, wodurch die Längs- und Querwände sowie die rechte und linke Seite der Stabkirche unterschieden werden können – auch nach dem Abbau. "Es hat Spaß gemacht, auf die Suche zu gehen und herauszufinden, was für ein System dahintersteckt", erzählt die Studentin Jennifer Becker zu ihrer Recherche nach den Abbundzeichen.

In diesem Berufsfeld ist es schön, wenn man etwas entwirft und plant und das dann wirklich umgesetzt sieht. In diesem Fall sogar wortwörtlich.

Studentin Jennifer Becker über Denkmalpflege

Wen dieses Auf- und Abbauen an Ikea erinnert, liegt gar nicht so falsch: Die Stabkirche Stiege in der skandinavischen Blockbauweise ist ein Katalogmodell. Die maschinelle Fertigung der Kirche hätte eine Massenproduktion möglich gemacht. Theoretisch hätte man also genau dieselbe Kirche nachbestellen können. Gebaut wurde sie in dieser Art jedoch nur einmal, nämlich in Stiege. Die geringe Nachfrage nach diesem Kirchenmodell führte schließlich dazu, dass viele Unterlagen nicht richtig archiviert wurden, weshalb die Studierenden viel nachforschen mussten.

Kirchen-Transport per Schmalspurbahn?

Gemäß dem Bodengutachten wird die Stabkirche an ihrem neuen Standort mitten in Stiege etwa 50 Zentimeter höher stehen als am Albrechtshaus. Sie wird also in Stiege nicht genau das selbe Erscheinungsbild haben. Reimann betont aber, dass so zu arbeiten sei, dass niemand merken würde, dass die Kirche dort nicht gebaut wurde.

Da sich der neue Standort der Kirche in Stiege in der Nähe des Bahnhofs befindet, kam der Vorschlag auf, die Harzer Schmalspurbahnen als Transportmittel für die einzelnen Holzbohlen zu nutzen. Die Waggons wären dafür geeignet. Ob der Transport mit so einer Bahn klappt, steht jedoch aktuell noch nicht fest, denn die Transportmethode ist nicht zuletzt eine Kostenfrage.

Verein dankbar für Recherche der Studierenden

Während der Präsentation kam es auch zu Reibungen zwischen den Vertretern des Planungsbüros und den Studierenden. "Das war etwas schwierig. Das Planungsbüro ist uns sehr oft ins Wort gefallen und hat sich mehr verteidigt, als versucht, mit uns zusammen Lösungen zu finden", sagt Jennifer Becker nach der Präsentation. Ein Vorstandsmitglied des Vereins Stiege, Regina Bierwisch, meint, es sei deutlich geworden, dass das Planungsbüro noch nacharbeiten müsse, damit gründlich fortgearbeitet werden könne.

Bierwisch zeigte sich begeistert und dankbar für die Arbeit der Studierenden. Sie sagt über das Projekt: "Die historischen Quellen sind nicht umfangreich, woraus man einfach mal zusammentragen kann. Da muss man schon richtig gucken und nachforschen. Und das achte ich sehr." Ihre Rechercheergebnisse haben die Studierenden in einer dicken Broschüre für den Verein zusammengefasst.

Am Ende der Präsentation blickt Bierwisch weiterhin sehr zuversichtlich auf das Projekt. Ihrer Meinung nach haben die Ergebnisse verdeutlicht, dass es eine Technologie gibt, die bezahl- und machbar ist. Das Projekt sei mit machbaren Auflagen aus dem Landesdenkmalamt zu schaffen. Bis 2025 soll die Stabkirche am neuen Standort im Dorf Stiege stehen.

Über die Autorin Jenny Lehmann, 24 Jahre alt, studiert seit Oktober 2019 Multimedia und Autorschaft an der Uni Halle. Aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, hat es sie nach verschiedenen Zwischenstopps wieder hierher verschlagen. Sie interessiert sich für Musik, Film, Kultur und Sprache. Im Bachelor hat sie in Chemnitz Kulturwissenschaften studiert.

Quelle: MDR/mh

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 05. Februar 2020 | 19:00 Uhr

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