Gemeinschaftsschule
In Thüringen sind Gemeinschaftsschulen schon gang und gebe. Hier wird gerade mit einer TV-Köchin Maria Groß gekocht. Bildrechte: imago/Steve Bauerschmidt

30.01.2020 | 18:23 Uhr Volksantrag für Gemeinschaftsschule erntet Beifall

30. Januar 2020, 18:24 Uhr

Premiere im Sächsischen Landtag: Mit der Lehrerin Doreen Taubert erhielt erstmals die Vertreterin einer Bürgerinitiative Gelegenheit zu einer Rede. Taubert plädierte für das längere gemeinsame Lernen und brachte einen entsprechenden Gesetzesentwurf mit. Dieser wird in den folgenden Monaten vom Parlament geprüft und diskutiert. Taubert erntete langen Beifall. Es ist seit 18 Jahren der erste Gesetzentwurf aus dem Volk, der im Landtag behandelt wird.

Für den Volksantrag sind mehr als 50.000 Unterschriften zusammen gekommen. Doreen Taubert, die Vertrauensperson für den Volksantrag, unterrichtet seit den 1980er-Jahren in Chemnitz, seit den 1990er-Jahren an einer Modellschule für gemeinsames Lernen in Chemnitz.

Es geht um mehr als um Bildungspolitik, Schule prägt Gesellschaft. Auch mit Blick auf die vergangenen Jahre ist es wichtig, dass junge Menschen lernen, zur Gemeinsamkeit beizutragen.

Doreen Taubert, Vertreterin der Bürgerinitiative

Integration statt Konkurrenz

Gemeinsames Lernen fördere Gruppenintegration statt Konkurrenzdenken. Soziale Kompetenzen, Teamwork und die Fähigkeit, Konflikte zu lösen, würden geschult. Taubert betonte, dass der Gesetzentwurf niedrigschwellig und auf Kompromiss ausgerichtet sei. Bestehende Strukturen dürften weiter bestehen - je nach Wunsch der Akteure vor Ort. Keine Schulform würde damit abgeschafft. Der Gesetzentwurf sehe vor, dass es eine zusätzliche Schulart, eben die Gemeinschaftsschule, geben darf. Dabei sei der Gestaltungswillen vor Ort maßgeblich. Eltern, Schüler und Lehrer müssen die Umwandlung bestehender Schulen beschließen.

Der Volksantrag stellt sicher, dass Bewährtes fortgesetzt werden kann. Er trägt den Kompromiss schon in sich.

Doreen Taubert

Stichwort: Binnendifferenziertes Lernen

Verschiedene Modelle für Gemeinschaftsschulen sollen mit der Initiative ermöglicht werden. Dabei wird über die Dauer des gemeinsamen Lernens unterschieden: Eine Schule könne beispielsweise alle Klassen von 1 bis 12 unterrichten, aber es sei genauso denkbar nur Unterricht bis zur zehnten Klasse anzubieten und dann mit einem klassischem Gymnasium zu kooperieren, das die Schüler im Anschluss übernimmt und zum Abitur führt. ""Oder dass die Gemeinschaftsschule erst ab Klasse 5 einsetzt und mit Grundschulen kooperiert."

Beim Unterrichten würde man auf das binnendifferenzierte Lernen setzen. Bedeutet: Die Schüler werden jeweils nach ihrem eigenen Niveau unterrichtet. Die Lehrer bereiten die Schüler jeweils auf ihren Haupt-, Real- oder Gymnasialabschluss in derselben Klasse vor.

CDU zeigt sich verhalten offen

Nach begeistertem Beifall für Doreen Taubert sprach CDU-Bildungspolitiker Holger Gasse. Er befand etwas trocken: "Wir werden den Volksantrag in geeignetem Maße Rechnung tragen." Der Fachausschuss, Beratungen, Anhörungen und die Beschlussempfehlungen seien dafür bereits vorgesehen. Für die CDU sei zentral, dass das gegliederte Schulsystem, mit dem man seit den 1990ern gute Erfahrung mache, erhalten bleibe. Nach dem Willen der CDU ist schon jetzt klar, dass der Entwurf nicht 1:1 umgesetzt werden soll. Ein von der Union initiierter Änderungsantrag sieht Hürden vor. So soll die Gemeinschaftsschule nur dann möglich sein, wenn es ab Klasse 5 eine Vierzügigkeit gibt - also vier Parallelklassen.

AfD grundsätzlich dafür

Auch die AfD tritt etwas auf die Bremse. Christopher Hahn sieht einige offene Fragen im Gesetzentwurf. "Wie gestaltet sich der binnendifferenzierte Unterricht? Lehrkräfte stoßen schon jetzt an Belastungsgrenzen." Sie hätten mit Integration und Inklusion schon große Aufgaben. Zudem vermisst Hahn eine verbindliche Bildungsempfehlung an Gemeinschaftsschulen und warnte vor einer zunehmenden "Akademisierung". Der Bildungspolitiker kündige Änderungsvorschläge seiner Fraktion an. Prinzipiell befürworte seine Partei gemeinsames Lernen bis zur 8. Klasse verbunden mit einer rechtzeitigen Orientierung auf Lehrberuf oder Hochschule.

Linke: "Alle könnten alles erreichen."

Linken-Abgeordnete Luise Neuhaus-Wartenberg merkte an, dass ihre Genossen die Hälfte der Unterschriften für die Petition gesammelt hätten. Die Bevölkerung wolle es. "In Sachsen weht ein neuer Wind." Mit dem Prinzip des gemeinsamen Lernens würde der Freistaat internationalen Standards entsprechen. Mit der Novelle könnten alle alles erreichen, wenn die Leistung stimmt. "Das klappt in Ihren altertümlichen Schulsystem nicht," merkte Neuhaus-Wartenberg in Richtung CDU-Fraktion an. Die Linken-Politikerin wirft den Christdemokraten vor, Gemeinschaftsschulen das Leben so schwer wie möglich machen zu wollen.

SPD: Qualität des Unterrichts steht über allem

SPD-Bildunspolitkerin Sabine Friedel betonte, dass die Ausrichtung auf das persönliche Lernniveau nicht verloren gehe. Man dürfe Gemeinschaftsschulen aber nicht überhöhen. Hauptkriterium sei die Unterrichtsqualität und schon jetzt müssten sich Lehrkräfte auf Neigung und Fähigkeit der einzelnen Schüler einstellen.

Der Landtagspräsident gab den Gesetzentwurf an den Schulausschuss weiter. Die Einführung von Gemeinschaftsschulen ist bereits Bestandteil des Koalitionsvertrags. In Thüringen und Sachsen-Anhalt wird längeres gemeinsames Lernen schon praktiziert. In einer Umfrage von Kantar Emnid von 2017 hatten sich zwei Drittel der Eltern in Sachsen für ein längeres gemeinsames Lernen ausgesprochen.

Quelle: MDR/st

Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR SACHSENSPIEGEL | 30.01.2020 | 19:00 Uhr

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