Mittwoch, 21.10.2020: Ich verstehe nur Bahnhof

Na sicher kennen Sie diesen Spruch, der so etwas resignierend daherkommt. Aber diese Redewendung hat einen historischen Hintergrund, der überraschenderweise sehr dramatisch ist. In den Schreckensjahren des Ersten Weltkrieges, als die Soldaten wochenlang in den Schützengräben lagen und Furchtbares über sich ergehen lassen mussten, hatte sich unter ihnen eine etwas fatalistische Formulierung entwickelt, die sie als Antwort auf alle möglichen Fragen gaben. Egal was man fragte, sie antworteten: "Ich verstehe nur Bahnhof". Bahnhof war ein Sehnsuchtswort. Es klang nach Kriegsende, nach Frieden und vor allem nach Heimfahrt. Egal was die Vorgesetzten fragen, man hörte nur noch Bahnhof, oder man wollte es hören.

Ich gebe zu, diesen Spruch Zeit meines Lebens gedankenlos verwendet zu haben. Erst seit ich den bitteren Hintergrund dazu kenne, bin ich damit etwas vorsichtiger. Das Wort "Bahnhof" stand für die armen Soldaten natürlich für Frieden und Heimfahrt. Aber dahinter stand mehr. Es stand für Heimat, für das Zuhause, für Familie, Eltern, Frau und Kinder. Für viele Soldaten blieb es ein unerfüllter Traum. Wieviel hätten sie dafür gegeben, wirklich das Wort Bahnhof zu hören. Als Befehl für die Heimfahrt. Wieviel hätten sie dafür gegeben, nach Hause, zurückzukehren. Aber der Krieg hat das verhindert. Für viele der Soldaten.

Was kostet es uns heute, nach Hause zu kommen? Eigentlich nix. Vielleicht eine Straßenbahnfahrkarte für die Fahrt von der Arbeit oder von der Schule zurück. Nach Hause zu kommen, zur Familie, ist Alltag, nichts Besonderes. Alltag, den wir gedankenlos hinnehmen. Nein. Einspruch. Zu Hause, Heimat, Familie, welche Worte, welche Werte. Eigentlich müssten wir das täglich feiern. Weil es kaum Wichtigeres gibt. Unsere reiche Gesellschaft hat Leitbilder geschaffen, denen wir gerne nachrennen. Das tolle Auto, die schicke Wohnung, die Reise zu exotischen Zielen. Dabei liegt das Wesentliche doch so nah. Mein Tip: Machen Sie doch heute mal einen Tag, an dem Sie Ihr Zuhause und Ihre Familie feiern. Dankbar, so etwas zu haben, was andere schmerzlich vermissen mussten

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Katrin Hutzschenreuter

Katrin Hutzschenreuter

geb. 1971 | Berufsausbildung als Metallurge mit Abitur | Ausbildung zur Krankenschwester | tätig bei der Diakonie - Sozialstation Freiberg | Mitglied der Domgemeinde zu Freiberg und Leiterin des Kirchenvorstands

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.