Dienstag, 20.10.2020: Hungertuch

Wenn uns auch die Coronazeit viel abverlangt hat: Wenigstens mussten wir nicht am Hungertuch nagen. Die Supermärkte waren mit Lebensmitteln voll wie immer.

"Am Hungertuch nagen", welche seltsame Redewendung. Sie wird immer dann verwendet, wenn bittere Not herrscht, die wir zum Glück nicht erleben mussten. Was ist ein Hungertuch? Eigentlich wäre der exakte Begriff "Fastentuch". Und warum wird daran genagt? Spannende Geschichte, die schon mehr als tausend Jahre alt ist. Beginnend im Mittelalter pflegte man, in der Fastenzeit, also der Zeit vor Ostern, den Altar zu verhüllen, um ein Zeichen zu setzen in der Zeit des Verzichts und des Fastens.

Man zitierte mit dem Brauch den alten Tempelvorhang, der in der Leidensgeschichte von Jesus Christus beschrieben wird. Bis etwa ins 12. Jahrhundert waren es schlichte und einfache Leinentücher, die man verwendete. Aber bald kam auf, diese großen Tücher zu gestalten, zu bemalen oder zu besticken. Und so schuf man Kunstwerke, die heute einzigartig sind. In dieser Zeit entstand dann auch die seltsame Redewendung: Wenn wir schon Fastenzeit haben und der Magen knurrt, dann lassen wir wenigstens unsere Augen am Hungertuch nagen. Hungertücher sind heute kunsthistorische Einmaligkeiten. Selten und kostbar. Übrigens, wir in Sachsen können da mithalten. Eines der weltweit schönsten, größten und bedeutendsten Fastentücher haben wir in Zittau. Es stammt aus dem Jahr 1472 und enthält, quasi in Comicform, 90 Szenen der biblischen Geschichte. Es wird heute in der größten Museumsvitrine der Welt aufbewahrt. Ein Touristenmagnet. Für Sie vielleicht mal ein Ausflugstip mit Kindern oder Enkeln, dieses Zittauer Fastentuch einmal anzunagen, natürlich nur mit den Augen. Die Geschichte und Tradition unseres Landes ist nämlich mehr als nur die Abfolge von Kurfürsten und Königen. Sachsen ist ohne seine christlichen Wurzeln nicht denkbar. Das Zittauer Fastentuch ist ein Stück dieses Fundaments, auf dem wir stehen – oftmals, ohne es zu wissen.

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Katrin Hutzschenreuter

Katrin Hutzschenreuter

geb. 1971 | Berufsausbildung als Metallurge mit Abitur | Ausbildung zur Krankenschwester | tätig bei der Diakonie - Sozialstation Freiberg | Mitglied der Domgemeinde zu Freiberg und Leiterin des Kirchenvorstands

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.