Sonnabend, 06.08.2022: Wozu hat mich Gott berufen?

Ich wurde ein großer Fan von Desmond Tutu, als ich vor ein paar Jahren ein Buch von ihm gelesen hatte, in dem er über Vergebung schrieb. Es beeindruckte mich so sehr, dass ich mich intensiver mit der Biografie des ehemaligen Bischofs von Kapstadt befasste. Dabei lernte ich viel über den Kampf gegen die Apartheit in Südafrika und Tutus Haltung zu Versöhnung, Gemeinsinn und Nächstenliebe. Ich würde sagen: Er hatte eine Berufung und lebte sie auch. Wie es so viele andere, deren Namen wir kennen oder auch nicht kennen.

Eine junge Frau lächelt in die Kamera 3 min
Bildrechte: Steffen Giersch
3 min

gesprochen von Pfarrerin Karin Großmann

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Sa 06.08.2022 08:50Uhr 02:41 min

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Nicht selten begegnet mir diese Frage auch bei den jungen Menschen, mit denen ich arbeite: "Wozu hat mich Gott berufen?" Ich kann sie gut verstehen. Da scheint es ja Menschen zu geben, die eine großartige Aufgabe in dieser Welt haben – wie Desmond Tutu. Oder Frére Roger. Oder Mutter Teresa. Sollte es bei mir nicht auch so sein? Hat Gott nicht schon einen Plan für mich gestrickt? Wie gelingt mein Leben – nicht nur in meinen Augen, sondern in den Augen Gottes? Was passiert, wenn ich falsch abbiege?

Ganz Ähnliches trieb fromme Juden und Jüdinnen zur Zeit von Jesus um. Sie fragten nach den Geboten, um ihren Lebensweg zu finden. "Welches ist das höchste Gebot, Meister?" Jesus antwortet darauf ganz schlicht: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt" Dies ist das höchste und erste Gebot. Das andere ist dem gleich: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." Als ob Jesus sagen wollte: Denk nicht zu viel über dich nach und ob du alles richtig machst. Wenn du liebst, gehst du den Weg Gottes.

Dass Desmond Tutu sich die Frage gestellt hatte, wozu Gott ihn berufen wollte und dass Gott ihm dann haarklein zu verstehen gab, welchen Platz er ihm in dieser Welt zugedacht hatte – das halte ich für unwahrscheinlich. Viel eher glaube ich: In ihm war leidenschaftliche Liebe zu Gott, die sich mit Liebe zu den Menschen verband. Die ließ ihn das tun, was er für wichtig hielt. So entstand sein Weg Schritt für Schritt. Angst, etwas falsch zu machen, braucht man so nicht zu haben. Wenn du liebst, gehst du den Weg Gottes. Er wird sich vor deinen Füßen entwickeln. Das sage ich den jungen Menschen. Und ich hoffe, dass sie das neugierig darauf macht, wo sie in dieser Welt ihren Platz finden werden.

Freitag, 05.08.2022: Heilige Orte

Vor einigen Wochen hat eine Freundin von mir geheiratet: Während ich ihren Schleier von Falten befreie, packt sie ihr Brautkleid aus. Und hängt es samt Bügel an ein Wandkreuz im Gemeinderaum. Meine Freundin ist auch Pfarrerin. Da stehen wir also, zwei Theologinnen, und betrachten den Anblick: Das Wandkreuz und daran der Bügel mit dem Brautkleid. "Ist das dein Ernst?", frag' ich sie. "Ja klar." "Du kannst doch nicht dem armen Herrn Jesus dein Brautkleid um den Hals hängen." "Warum denn nicht? Das ist doch nicht Jesus selbst. Das ist ein Kreuz aus Ton". Ja, da hat sie auch wieder recht. Ich bete ja keine Tonkreuze an.

Eine junge Frau lächelt in die Kamera 3 min
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gesprochen von Pfarrerin Karin Großmann

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Fr 05.08.2022 05:45Uhr 02:39 min

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Trotzdem. So richtig Ruhe lässt es mir nicht. Es ist gut, wenn es Dinge gibt, die eben nicht alltäglich sind – wie ein Nagel in der Wand. Sondern heilig. Wie ein Altar in einer Kirche, der mich mit seinen leuchtenden Kerzen auf die Gegenwart Gottes hinweist. Oder eben so ein Kreuz an der Wand. Heilige Orte erinnern uns daran, dass nicht alles dem Anspruch der Funktionalität unterliegt. Effizienz ist nicht alles. Das Heilige kann nur erfahren, wer aus der Hast des Alltags heraustritt – und dem Heiligen Raum lässt.

In der Bibel sagt Gott einmal zu Mose: "Zieh deine Schuhe aus. Der Ort, auf dem du stehst, ist heiliges Land." Ich kenne das, etwa, wenn ich aus einer stillen Kirche gehe oder ein paar Tage in einem Kloster war, in dem viel gebetet wurde. Dort ahne ich etwas von jener Heiligkeit Gottes. Denn es sind ja nicht die Steine, die diesen Ort heilig machen. Sondern Gottes Gegenwart. Wer von solchen heiligen Orten zurückkommt, ist meist verändert. Und spürt: Es gibt mehr als das, was ich sehe und begreifen kann.

Noch immer starre ich auf das Tonkreuz an der Wand, an dem das Brautkleid baumelt. Bevor ich mich hinreißen lasse, mein Plädoyer für heilige Orte vorzutragen, kommt mir meine Freundin zuvor: "Heute heiraten wir und bitten wir Gott um seinen Segen für unsere Ehe. Ich vertraue darauf, dass er uns durch unser Leben trägt – so, wie das Kreuz mein Brautkleid trägt." 'Das', denke ich, #ist ein heiliger Gedanke!'

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