Verkündigungssendung Das Wort zum Tag bei MDR SACHSEN vom 11.-17.03.2019

Täglich hören Sie das Wort zum Tag. Montags bis freitags gegen 5:45 Uhr und 8:50 Uhr, am Sonnabend gegen 8:50 Uhr, sonntags 7:45 Uhr. Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche Pfarrer Daniel Schmidt, am Sonntag Frank Eibisch.

Wort am Sonntag, 17.03.2019

Als Kind war ich stolzer Besitzer eines Chemiebaukastens. Den hatten mir meine Eltern geschenkt, wohl weil sie meine Experimentierfreude kannten. Und weil sie diese in halbwegs geordnete Bahnen lenken wollten.

Wenn ich mich recht erinnere, war ich ein ziemlich neugieriges Kind. Entdeckerfreude schafft ja Gelegenheiten zum Staunen. Und ich staune bis heute unheimlich gerne.

Chemische Experimente bieten dazu eine gute Gelegenheit. Bringt man zwei oder mehrere zunächst ganz unscheinbar und harmlos wirkende Stoffe zueinander, kann es schon einmal richtig laut oder hell oder bunt oder alles zugleich werden. Das erfreut nicht nur Kinderherzen. Die aber auch.

Dem Chemiebaukasten war neben Reagenzgläsern, einem Bunsenbrenner und allerlei Chemikalien auch ein Büchlein beigefügt. In dem waren mögliche Experimente genauestens beschrieben. Und die arbeitete ich natürlich zunächst gewissenhaft ab. Irgendwann freilich wurde mir das zu langweilig. Und so probierte ich selbst ein wenig herum. Die Ergebnisse waren teils ernüchternd, weil sich überhaupt nichts tat. Teilweise allerdings tat sich auch Eindrucksvolles, Unerwartetes, Staunenswertes.

Bis heute bin ich sehr froh darüber, dass bei meinen Chemiebaukastenexperimenten weder ich noch das Wohnhaus noch gar die ganze Welt in die Luft geflogen sind. Daraus habe ich - ganz nebenbei gesagt - auch gelernt, dass es meistens im Leben nicht so schlimm kommt, wie die Übervorsichtigen befürchten. Und wenn es wirklich mal schlimm kommt im Leben, dann kann man es meistens nicht vorhersehen. Diese Einsicht kann einem ein bisschen die Furcht vorm Experimentieren nehmen.

Ich kenne jede Menge Leute, die vor dem Experimentieren unglaubliche Angst haben. Mal etwas auszuprobieren, sich mal von etwas Neuem herausfordern zu lassen, ist ihnen ein Gräuel. Und wenn sie sich schon mal auf etwas Unbekanntes einlassen müssen, dann nur nach Handbuch und Bedienungsanleitung. Das scheint ihnen ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Aber wirklich spannend, wirklich interessant wird das Leben auf diese Weise nicht. Eher todsterbenslangweilig. Klar gibt es auch im Tod noch Veränderung. Die vollzieht sich, je nach Bestattungsart - Erd- oder Feuer- - entweder schleichend langsam oder blitzeschnell. Viel mitbekommen werde ich davon allerdings nicht mehr. Und auch die Mitgestaltungsmöglichkeiten sind dann - um es vorsichtig zu sagen - eher eingeschränkt.

Dass ich Veränderungen erlebe und dass ich sie mitgestalten kann, ist ein Zeichen für Lebendigkeit. Und deshalb habe ich meinen Chemiebaukasten so geliebt: Weil er mir ermöglicht hat, durch Experimentieren aktiv Veränderungen herbeizuführen und mich dabei auch überraschen zu lassen.

Bis heute experimentiere ich gerne. Ich probiere gerne Neues aus, ohne immer gleich zu wissen, was dabei herauskommt. Ich kann mich ja überraschen lassen. Und meistens kommt es dabei wirklich nicht so schlimm, wie die Übervorsichtigen befürchten. Klar versuche ich, ein sinnvolles Maß an Behutsamkeit walten zu lassen. Ich bin ja nicht lebensmüde. Und ich möchte auch andere nicht in Gefahr bringen durch meine Art, mein Leben zu gestalten. Aber ohne Neugier würde ich vor Langeweile zugrunde gehen.

Für mich ist das Leben etwas anderes als das Abarbeiten eines Handbuches oder einer Bedienungsanleitung.

Es gibt ja Christen, die sehen in der Bibel so etwas wie eine Art Handbuch oder Bedienungsanleitung für das Leben. Und die meinen dann, wenn sie nur alles gründlich absolvieren würden, was da geschrieben steht, hätten sie ihr Leben bestens im Griff. Das wäre dann das wahre Leben, denken sie. Ich bin da eher skeptisch. Denn ich glaube nicht, dass sich das wahre Leben zwischen zwei Buchdeckel sperren lässt. Und ich glaube erst recht nicht an einen Gott, der meint, das Leben würde schon gut gelingen, wenn die Menschen nur brav seinen Anweisungen und Vorschriften Folge leisteten.

Wenn aber die Bibel kein Handbuch und keine Betriebsanleitung für das Leben ist, was ist sie dann?

Für mich ist sie ein Buch, oder genauer gesagt: eine ganze Bibliothek, die prall gefüllt ist mit Leben. Da sind Lebenserfahrungen versammelt, Geschichten von Gelingen und Scheitern, von Liebe und Hass, von Frieden und Krieg. Lieder von Krankheit und Heilung, vom Geboren-Werden und vom Sterben, von Glück und Elend. Weisheiten und Torheiten werden da überliefert. Gesetze und Gebote, von denen etliche auch heute noch unmittelbar einleuchtend und sinnvoll sind. Und andere, die sich nur aus ihrer Zeit und Kultur heraus verstehen und erklären lassen und deren Sinn fleißig und achtsam zu übersetzen ist in unsere ganz andere Situation. Und die Bibel erzählt davon, was diese Fülle, dieser Reichtum des Lebens in seinen unterschiedlichsten Facetten, mit Gott zu tun. Mit Gott, in dem alles Leben seinen Ursprung und sein Ziel hat. Mit Gott, der alles Leben mit seiner Liebe und Barmherzigkeit begleitet. Kein Handbuch, keine Bedienungsanleitung für das Leben ist die Bibel für mich, sondern bunter Ausdruck des Lebens selbst.

Anders gesagt: In der Bibel findet sich wieder, was Menschen mit Gott, mit ihren Mitmenschen und mit sich selbst beim Experimentieren mit dem Leben erlebt und erfahren haben. Das war nicht alles toll. Manches davon ging richtig schief. Manches aber auch richtig, richtig gut. All das aber ist Leben.

Das Leben ist also tatsächlich ein bisschen so wie der Chemiebaukasten, den ich als Kind besaß und den ich mit Begeisterung und mit wachsender Experimentierfreude benutzt habe. Mit immer größerer Freiheit, könnte ich auch sagen. Und immer im Vertrauen darauf, dass weder ich, noch das Wohnhaus, noch gar die ganze Welt in die Luft fliegen würden, wenn ich mal etwas Neues probiere und riskiere.

Gott stellt allerlei Substanzen, Zutaten, Gerätschaften und dazu reichlich sinnvolle Tipps für mein Leben zur Verfügung. Im Grunde alles, was ich zum Leben brauche: Verstand und Einfühlungsvermögen, Essen und Trinken, Träume und Tränen, Menschen, die meinen Weg kreuzen und mit denen ich mich in Mitmenschlichkeit üben kann. Möglichkeiten, zu hoffen und zu Bangen. Möglichkeiten, aufzubauen und zu zerstören. Und Gott stellt sich selbst zur Verfügung - als Begleiter und Berater.

So habe ich ihn also vor mir: meinen Lebensbaukasten. So wie jeder andere Mensch den seinen vor sich hat. Und ich kann damit umgehen. Ich kann alles an seinem Platz lassen, damit nur ja nichts passiert. Ich kann mich auf das beschränken, was mir bestens vertraut ist, damit ich mich im Gefühl höchster Sicherheit wiegen kann. Ich kann über die vielen Varianten schimpfen, die sich mir da eröffnen, weil ich doch am liebsten nur ein paar Vorschriften abgearbeitet hätte, um nur ja nichts falsch zu machen. Oder aber: Ich kann munter und beherzt hineineingreifen in diese bunte Schatzkiste des Lebens und kann zu experimentieren und zu probieren beginnen. Ich kann herauszufinden versuchen, was das Leben so alles zu bieten hat - mir, gemeinsam mit meinen Mitmenschen. Ich kann dabei auch scheitern und mich irren. Aber das muss mir keine Angst machen. Weil ich doch in alledem entdecken kann, was das Leben mit Gott zu tun hat. Mit Gott, in dem alles Leben seinen Ursprung und sein Ziel hat. Mit Gott, der alles Leben mit seiner Liebe und Barmherzigkeit begleitet. Das Misslingende und das, was gelingt

So versuche ich, Gott an jedem Tag dankbar zu sein für diesen großen Experimentierbaukasten des Lebens. So wie ich meinen Eltern dankbar bin, dass sie mir damals als Kind diesen Chemiebaukasten schenkten, wohl weil sie meine Experimentierfreude kannten. Ich versuche, Gott dafür dankbar zu sein, indem ich möglichst munter und fröhlich Gebrauch mache von den Lebensmöglichkeiten, die er mir anvertraut. Möglichst mit Neugier. Möglichst ohne Angst. Möglichst so, dass ich auf Überraschungen gefasst bin. Und möglichst so, dass ich mich nicht vor Veränderungen scheue.

Ach, und weil doch vorhin auch vom Tod die Rede war und davon, dass der Tod keine Möglichkeiten bietet, Veränderungen wahrzunehmen oder sie gar aktiv zu gestalten: Daran, dass das Experiment des Lebens über den Tod hinausgeht, glaube ich schon. Denn Gottes Lebensmöglichkeiten sind noch weit größer, als dieser Lebensbaukasten, den wir anvertraut bekommen haben. Unendlich groß. Ewig.

Na, und darauf bin ich erstmal gespannt und neugierig: was Gott sich noch so alles einfallen lässt, damit der Reichtum, die Fülle des Lebens so wirklich unbeschränkt zur Geltung kommen - in aller Freiheit, in aller Vollendung.

Bis es soweit ist aber, experimentiere ich fröhlich weiter. Manchmal passiert dabei nichts. Manchmal stellen sich erwartete, manchmal auch unerwartete Ergebnisse ein. Und mitunter geschieht sogar etwas ganz Erstaunliches: dass nämlich die Fülle, der Reichtum, die Vollendung des Lebens aufleuchten, aufblitzen, aufkrachen inmitten meiner Probiererei und Experimentiererei.

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.