Verschiedene Packungen des Abnehmmittels "Wegovy" des Pharmakonzerns Novo Nordisk 8 min
Bildrechte: picture alliance/dpa | Steffen Trumpf
8 min

Für Menschen mit Übergewicht ist das Medikament Wegovy eine Hoffnung. Allerdings hat dessen Hersteller vor der Markteinführung PR-Kampagnen lanciert und auch unabhängige Mediziner mit Honoraren bedacht. Ein Problem?

MDR KULTUR - Das Radio Di 05.12.2023 16:18Uhr 07:38 min

https://www.mdr.de/wissen/audios/abnehmpritze-wegovy-interessenkonflikt-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Forderung nach Transparenzpflicht Wegovy-Hersteller Novo Nordisk sorgt für Diskussion um Interessenkonflikte in der Medizin

08. Dezember 2023, 11:00 Uhr

Alle wollen die Abnehmspritze Wegovy. Die Nachfrage ist laut Ärzteschaft riesig. Medizinerinnen und Mediziner bezeichnen den Wirkstoff Semaglutid sogar als "Gamechanger" für die Adipositas-Therapie. Doch die Erfolgsgeschichte hat eine Schattenseite: Kritiker zweifeln daran, ob bei diesem Hype alles mit rechten Dingen zugeht. Eine alte Diskussion um Interessenkonflikte ist neu entfacht: Wie eng dürfen Beziehungen zwischen Medizin und Pharmafirmen sein - und wann sind sie zu eng?

Porträtaufnahme einer weißen Frau mit zurückgebundenen Haaren, einer großen Brille und grüner Bluse
Bildrechte: Tobias Thiergen

Die aggressive Marketing-Strategie von Novo Nordisk

Die Medikamente mit dem Wirkstoff Semaglutid – Ozempic zur Behandlung von Diabetes und Wegovy für die Adipositas-Therapie – sind ein echter Kassenschlager. Vor allem die Verkaufszahlen der "Abnehmspritze" Wegovy steigen in immer mehr Ländern an. Dieser Erfolg hat den Hersteller Novo Nordisk vor einigen Wochen zum Konzern mit dem höchsten Börsenwert in Europa gemacht. Seitdem liefert sich der Pharma-Riese ein Kopf-an-Kopf rennen mit dem Luxusmarken-Unternehmen LVMH um diesen Titel, aber ohne Frage ist Novo Nordisk eines der wertvollsten Unternehmen Europas.

Diesen Erfolg hat Novo Nordisk vor allem auch seinem aktuellen Blockbuster-Medikament Wegovy zu verdanken. Denn der Hype ist groß und offenbar bewusst geschürt. Dem britischen Observer gegenüber sprach ein Experte etwa von einer "orchestrierten PR-Kampagne", mit der man die Adipositas-Debatte beeinflussen wolle. Das Unternehmen sei bereits in der Vergangenheit von der britischen Arzneimittelaufsicht wegen Verstößen gegen Industriekodizes bei der Vermarktung eines anderen Medikaments zur Gewichtsreduktion gerügt worden, heißt es weiter. Auf Anfrage von MDR WISSEN betont das Unternehmen allerdings: "Wir halten uns ohne Kompromisse an die bestehenden gesetzlichen Regelungen."

Don't believe the hype? Die problematische PR-Kampagne für Wegovy

Die Adipositas-Therapie ist ein milliardenschwerer Markt, allein in Deutschland ist rund ein Viertel der Bevölkerung von der chronischen Erkrankung betroffen. Und sie ist extrem stigmatisiert, sodass Betroffene gern auf medikamentöse Hilfsmittel zurückgreifen wollen, um schnell abzunehmen. Dabei ist Semaglutid tatsächlich so etwas wie ein "Gamechanger", denn es ist überhaupt das erste wirklich wirksame Medikament. Bisher gebe es keinen anderen Wirkstoff, der so effizient beim Abnehmen hilft, ist sich die internationale Fachwelt recht einig. Doch es gibt eben auch erhebliche Nebenwirkungen und Risiken.

Die Marketing- und PR-Kampagne von Novo Nordisk ist offensichtlich erfolgreich. Doch Medizinerinnen und Mediziner halten genau das auch für problematisch. Denn der Hype wirft die Frage auf, wie eng die Medizin und die Pharmaindustrie eigentlich miteinander vernetzt sein sollten? Dabei geht es nicht um eine rechtliche, sondern eher um eine moralische Bewertung. Es ist eine Vertrauensfrage: Kann ich als Patient auf meinen Arzt und die verordneten Medikamente vertrauen? Wie viel Einfluss dürfen private Konzerne, deren oberstes Ziel die Profitmaximierung ist, auf die fachliche Debatte um die Behandlung von Krankheiten haben? Und wie lässt sich das eigentlich kontrollieren?

Allgemeine Werbung für den Konzern und Spenden an Verbände

Aber wie sieht diese PR-Kampagne genau aus? Zum einen richtet sich Novo Nordisk an die Zielgruppe. In Deutschland ist es verboten, direkte Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente zu machen. Deshalb setzt der Konzern hier auf allgemeine Werbung als Informationsangebot in sozialen Medien und auf indirekten Einfluss.

So spendet Novo Nordisk etwa großzügig an Patientenorganisationen, sagt der Hausarzt und und Ernährungsmediziner in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis, Niklas Schurig, von der Ärzte-Initiative "Mein Essen zahl' ich selbst" (MEZIS). MEZIS kritisiert Einflussnahme in der Medizin und setzt sich für mehr Transparenz dabei ein, welches Unternehmen welche Forscher sponsert. Schurigs Erfahrung mit Wegovy: Die Menschen fordern das Medikament inzwischen bei den Ärzten aktiv ein.

Screenshot einer Werbeanzeige auf der Social Media-Plattform Instagram für Novo Nordisk.
Novo Nordisk-Werbung auf Instagram - nicht für ein bestimmtes Medikament, sondern als Informationsangebot. Bildrechte: MDR.DE

PR-Erfolg von Novo Nordisk wird zum Problem für Diabetiker

Schurig sagt, dass die Strategie von Novo Nordisk so effizient sei, dass es schon zum Problem für Patientinnen und Patienten werde. "Novo Nordisk macht eine sehr starke Öffentlichkeitsarbeit in dem Bereich und die Arbeit war so erfolgreich, dass das Medikament für Diabetiker teilweise nicht mehr erhältlich ist und viele Menschen, die dieses Medikament nehmen, eigentlich gar nicht geeignet dafür sind", erklärt Schurig.

Das Problem: Nachdem der Hype um den Wirkstoff Semaglutid begonnen hatte, griffen viele Abnehmwillige auch zu Ozempic, der Spritze, die für Diabetiker gedacht ist. Novo Nordisk spricht in diesem Zusammenhang von Off-Label-Use und verweist in diesem Zusammenhang auf die Verantwortung der Hausärzte. "Wir informieren Ärzt:innen und Apotheker:innen umfassend über die jeweils zugelassenen Indikationen und sensibilisieren für deren bestimmungsgemäßen Einsatz. Die Entscheidung über die Verordnung liegt ausschließlich bei Ärzt:innen. Die Aufklärung von Patient:innen zum Medikament, darunter auch zu Risiken und Nebenwirkungen, erfolgt ausschließlich über die Ärzt:innen und Apotheker:innen."

Abnehmspritzen: Einzelne Jugendliche berichten von Selbstmordgedanken

Ein weiterer Punkt: Es gebe Berichte von mehreren Selbstmordversuchen bei Jugendlichen, sagt Schurig. Auch das Versprechen einer langfristigen Gewichtsreduktion könne nicht eingehalten werden. Wer eine dauerhafte Abnahme wolle, müsse die Spritze womöglich ein Leben lang nehmen. Der Vorwurf lautet also, dass Risiken nicht ausreichend beachtet und falsche Versprechen gemacht würden.

Auch hier hält die Novo Nordisk Sprecherin entgegen. "Die Sicherheit der Patientinnen und Patienten hat für Novo Nordisk oberste Priorität, jegliche Berichte über unerwünschte Ereignisse bei der Anwendung unserer Arzneimittel nehmen wir sehr ernst." Die sogenannten GLP-1 Rezeptorantagonisten seien bereits teilweise seit Jahren im Einsatz gegen Diabetes und Adipositas. "Sowohl die Bewertung von Sicherheitsdaten aus großen klinischen Studienprogrammen als auch laufende Beobachtungen seit Markteinführung der Medikamente haben bislang keinen Hinweis auf einen kausalen Zusammenhang zwischen GLP-1 RA und suizidalen und selbstschädigenden Gedanken gezeigt." Allerdings arbeite man eng mit den Behörden zusammen und überwache kontinuierlich Studien, um die Sicherheit von Patientinnen und Patienten gewährleisten und Ärztinnen und Ärzte richtig aufklären zu können.

Unternehmen streitet Zusammenarbeit mit Influencern ab

Der MEZIS-Arzt glaubt, dass Novo Nordisk unterschätzt hat, wie weit das Medikament auch in Gruppen gelangt ist, die es eigentlich nicht brauchen. "Die man hätte auch überhaupt nicht angehen dürfen", ergänzt er. "Sie dürfen nicht Jugendlichen, die vielleicht sogar ein Problem mit Essstörungen haben, dieses Präparat schmackhaft machen. Deshalb sehen wir jetzt auch so viele Hinweise auf Selbstmordgedanken oder Selbstschädigungen, weil die eben in den Studien ausgenommen waren." Das heiße, so Schurig weiter, dass man gar nicht wissen konnte, ob so etwas auftritt, wenn es von anderen Menschen genutzt wird als von denen, an denen es erforscht wurde. "Letztendlich sind wir gerade in dem riesigen Experiment und testen dieses Medikament an Menschen, bei denen wir nicht wissen, wie es wirken wird."

Hat Novo Nordisk bewusst Jugendliche über sogenanntes Influencermarketing angesprochen? Der Konzern widerspricht solchen Vorwürfen deutlich: "Novo Nordisk arbeitet weder in Deutschland noch in anderen Ländern mit Influencern oder Prominenten zusammen, die ihre Erfahrungen mit der Einnahme unserer Medikamente über Social Media Kanäle teilen." Es komme zwar vor, dass Personen in Sozialen Netzwerken über ihre Erfahrungen berichten. Aber: "Diese Veröffentlichungen erfolgen nicht im Namen oder mit Unterstützung von Novo Nordisk."

Sorgen Spenden und Honorare vom Pharmaunternehmen für Interessenkonflikte bei den Medizinern?

MEZIS-Arzt Schurig zufolge versuche der Pharmakonzern auch, Einfluss auf die Fachwelt zu nehmen. So spende Novo Nordisk Geld an Fachgesellschaften, zahle renommierten Fachleuten Honorare für Vortrags- und Beratungstätigkeiten und finanziere auch Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte. Ist also die Unabhängigkeit von Medizinerinnen und Medizinern in Gefahr? Zumindest kann sich die Vermutung aufdrängen, dass Behandelnde, die viel Geld von einem Pharmakonzern bekommen und damit zum Beispiel einen wichtigen Teil ihrer Forschung finanzieren, nicht mehr so neutral agieren könnten, wie sie sollten.

Novo Nordiks wiederum streitet ab, mit den Spenden Einfluss ausüben zu wollen. "Wir erhalten vielzählige Spendenanfragen und spenden ausschließlich für gemeinnützige Zwecke und primär zur Förderung des Gesundheitswesens (einschließlich Zwecken der Forschung, der Lehre sowie der Aus- und Weiterbildung). Unsere Spenden sind mit keiner wie auch immer gearteten Einflussnahme seitens Novo Nordisk verbunden und erfolgen nur im Einklang mit den einschlägigen rechtlichen Rahmenbedingungen", so eine Sprecherin auf Anfrage.

Novo Nordisk spendete 145.000 Euro an Adipositas Gesellschaft

Eine Spende, die vor einigen Wochen Schlagzeilen gemacht hat, ging an die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG). Das ARD-Magazin Panorama und die Tagesschau haben deshalb Anfang Oktober über Kritik wegen möglicher Interessenkonflikte berichtet. Gestoßen haben sich die Kritiker unter anderem an einer Spende in Höhe von 145.000 Euro von Novo Nordisk an die DAG im vergangenen Jahr. MEZIS-Arzt Schurig erklärt, dass die Gesellschaft zugleich nur 80.000 Euro durch die Beiträge ihrer Mitglieder bekommen hat. Die Spende war also beinahe doppelt so hoch wie die regulären Einnahmen. Wer so viel Geld bekommt, sei nicht mehr unabhängig, kritisiert deshalb die Ärzteinitiative. Schurig sagt ganz deutlich: "Das heißt, diese Fachgesellschaft ist letztendlich eingekauft."

Die DAG weist diesen Vorwurf klar zurück und verweist darauf, dass Spenden an die Fachgesellschaft auf den Euro genau auf der eigenen Website und im Lobbyregister des Deutschen Bundestags dargestellt seien. "Spenden sind nicht zweckgebunden und hiermit sind keine Gegenleistungen verknüpft", heißt es weiter. Doch die große Aufregung um das Pharmageld hat offenbar Folgen: So teilt die DAG mit, dass das hohe Spendenaufkommen im Jahr 2022 einmalig gewesen sei. "Künftig sollen Spenden von Unternehmen die Höhe der Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen nicht mehr überschreiten." Und, so betont die DAG, die Funktionsträger hätten keine finanziellen Vorteile von den Zuwendungen an die Fachgesellschaft. Sie arbeiteten alle im Ehrenamt.

Verschiedene Packungen des Abnehmmittels Wegovy
Bisher müssen Patientinnen und Patienten Wegovy selbst bezahlen - rund 300 Euro monatlich. Bildrechte: picture alliance/dpa

Aber was macht die kleine Fachgesellschaft mit dem ganzen Geld? Der Großteil sei in eine Elternbefragung geflossen, in der es um die Gewichtszunahme von Kindern während der Corona-Pandemie gegangen sei, teilt die DAG mit. Die Ergebnisse sollen demnach die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Thema lenken, um notwendige Gegenmaßnahmen zu befeuern. Denn das Hauptanliegen der Deutschen Adipositas-Gesellschaft sei es, die Versorgungssituation der Betroffenen zu verbessern. Aktuell gebe es für Erkrankte fast keine Unterstützung von der Krankenkasse, alle Therapien müssen selbst gezahlt werden.

Führende Adipositas-Fachleute im Zentrum der Kritik

Doch MEZIS-Vertreter Schurig erhebt auch Vorwürfe gegen den Präsidenten der Fachgesellschaft, Jens Aberle. Der bekomme auch persönlich Vortragshonorare von Novo Nordisk und den Interessenkonflikt, der daraus resultiere, gebe er nicht immer ausreichend an. "Es geht letztendlich um nicht deklarierte Interessenkonflikte", sagt Schurig. Der DAG-Präsident habe nämlich einen Vertrag mit Novo Nordisk geschlossen und biete auch eine Gegenleistung in Form von Vorträgen, die er im Auftrag des Konzerns hält. "Das ist erstmal normal, aber es gehört dann eben dazu, dass Sie das auch als Interessenkonflikt veröffentlichen", ergänzt Schurig und spricht von "einem Geschmäckle".

Die Tagesschau hatte unter anderem von einer Pressekonferenz berichtet, bei der ein Interessenkonflikt von Aberle nicht ausreichend angegeben worden sei. Mittlerweile ist die Angabe beim Science Media Center ergänzt worden. Von der DAG heißt es dazu in einer Stellungnahme, dass es nicht beabsichtigt gewesen sei, dass die Angaben gefehlt hätten. "Auch unser Präsident Prof. Dr. Jens Aberle macht in wissenschaftlichen Studien, in Vorträgen, im Rahmen von Leitlinien, gegenüber verschiedenen Gremien des Gesundheitswesens uvm. entsprechend der gängigen Standards umfassende Angaben zu etwaigen Interessenkonflikten", schreibt die DAG.

Ärzte unterstützen Forderung nach Veröffentlichungspflicht

Der Hamburger Mediziner Aberle hat Panorama gegenüber bestätigt, Vortragshonorare von Novo Nordisk erhalten zu haben. Wie viel Geld das gewesen ist, habe er aber nicht verraten wollen, heißt es. Seine Unabhängigkeit sehe er aber nicht berührt. Darüber hinaus möchte der Mediziner sich auf Nachfrage derzeit nicht weiter zu dem Thema äußern. Aberle hat sich allerdings in einem Hintergrundgespräch mit MDR Wissen erklärt, aus dem wir aber das meiste nicht zitieren dürfen. Nur bei einer Frage hat er eine Ausnahme gemacht, nämlich der nach einer Offenlegungspflicht für alle Medizinerinnen und Mediziner. Eine solche Verpflichtung, dass alle gleichermaßen öffentlich einsehbar angeben müssen, wie viel Geld und wofür sie von Pharmakonzernen bekommen haben, würde er ausdrücklich begrüßen, sagt Aberle. Bisher erlaubt er den Pharmakonzernen nicht, die an ihn gezahlten Honorare zu veröffentlichen.

Auch der renommierte Adipositas-Experte Matthias Blüher vom Universitätsklinikum Leipzig möchte keine konkreten Summen nennen, solange "eine solch detaillierte Transparenz" nicht für alle Akteure gelte. Der Leipziger ist ebenfalls im Vorstand der DAG. Auf Nachfrage betont er, dass ihm das Thema Interessenkonflikte wichtig sei. Blüher gibt an, von insgesamt elf Pharmaunternehmen Honorare für Vorträge oder Beratertätigkeiten erhalten zu haben - darunter auch Novo Nordisk. "Die potenziellen Interessenkonflikte mache ich umfänglich in Fachpublikationen, bei Vorträgen und gegenüber Gremien des Gesundheitswesens sowie in Gesprächen mit Medienvertretern transparent", erklärt der Adipositas-Fachmann.

Prof. Dr. Matthias Blüher - Leiter des Adipositas-Zentrum Leipzig im Interviewbild
Matthias Blüher leitet das Adipositas-Zentrum am Universitätsklinikum in Leipzig. Bildrechte: MDR

Im Fall von Novo Nordisk gehe er so mit dem Interessenkonflikt um, dass er sich im Rahmen von Vorträgen nicht für ein bestimmtes Medikament ausspreche. "Außerdem sehe ich meine Aufgabe darin, neben positiven Aspekten zur Wirkung auch deutlich zu machen, dass es Nebenwirkungen gibt und Kontraindikationen und ein 'Wundermedikament' zur Therapie von Typ 2-Diabetes oder Adipositas nicht existiert", so Blüher. Eine ausgewogene Darstellung der Therapiemöglichkeiten sei ihm wichtig und insgesamt halte er sich in seiner Therapie-Entscheidungsfreiheit und gegenüber Patientinnen und Patienten für unbefangen.

Im Rahmen von Vorträgen gehe ich damit so um, dass ich mich nicht für ein bestimmtes Medikament ausspreche.

Prof. Dr. Matthias Blüher, Universitätsklinikum Leipzig

Aber wo ist für ihn die Grenze? Wie eng ist also zu eng? Dazu führt der Leipziger Experte aus, dass er sich als klinischer Wissenschaftler an akademischer Forschung zu möglichen neuen Therapien und Arzneimitteln beteilige, die unabhängig sei von Firmeninteressen. "Aber man kommt bei der Untersuchung von Mechanismen der Stoffwechselregulation, die potenziell für neue Medikamente genutzt werden könnten, immer wieder an den Punkt, ab dem die akademischen Ressourcen nicht ausreichen", erläutert er. Für den nächsten Schritt in die Anwendung spiele die Pharmaindustrie deshalb eine wichtige Rolle.

Ärzte und Pharmaunternehmen müssen zusammenarbeiten, um wirksam therapieren zu können

Zusätzlich bräuchten die Unternehmen verlässliche Rückmeldungen aus der Praxis, damit die Medikamente sicher und wirksam seien. So seien in der Vergangenheit insbesondere auch viele Medikamente zur Adipositastherapie wieder vom Markt verschwunden, weil kritische Rückmeldung aus den Kliniken kamen. Und eine Linie zieht der Leipziger Blüher ganz deutlich: Aus der Mitarbeit an der Erstellung von ärztlichen Leitlinien halte er sich bewusst heraus.

Auch in anderen Ländern ist Novo Nordisk mit großzügigen Honorar- und Spendenzahlungen aufgefallen. In Großbritannien etwa hätten mehrere Fachleute, die Geld bekommen hätten, das Medikament öffentlichkeitswirksam gelobt, heißt es in der Recherche der Tageszeitung Observer. Insgesamt sollen umgerechnet 24,5 Millionen Euro vom dänischen Pharmakonzern an Gesundheitsorganisationen und Fachleute geflossen sein. Einer der betroffenen Experten berate demnach auch das britische National Institute for Health and Care Excellence. Jene Instanz also, die die Richtlinien für die Verwendung neuer Medikamente veröffentlicht.

Forderungen nach umfassender Transparenzpflicht

Novo Nordisk veröffentlicht, wie die anderen Pharmakonzerne auch, eine Transparenzdokumentation auf seiner Website. Hier listet der Konzern alle Personen und Organisationen auf, denen er Geld gezahlt hat und wofür sie dieses Geld bekommen haben. Doch längst nicht alle betroffenen Medizinerinnen und Mediziner finden sich auf dieser Liste. Denn der Eintrag ist freiwillig, die Fachleute müssen die Veröffentlichung erlauben.

Die Lösung wäre eine gesetzliche Pflicht zur Veröffentlichung dieser Daten. Immer wieder forderten Akteure aus der Medizinbranche ein solches Transparenzregister. Das sei wichtig, weil die Pharmakonzerne genau wüssten, wie sie ihre Produkte in die Fachwelt bekämen, meint MEZIS-Arzt Schurig. "Das ist ja okay, können sie gerne machen. Jeder darf seine Sachen verkaufen", sagt er. "Es wird aber relevant, wenn eben Therapieempfehlung von diesen Menschen abgegeben werden, die dann den Weg in Leitlinien finden, weil die darüber entscheiden, ob ich dieses Medikament auf Kasse verschreiben darf." Deshalb müsse man für diese Problematik in Deutschland klare Regeln finden, fordert Schurig.

Akten liegen auf einem Tisch.
Müssten alle in der Medizinbranche ihre Zahlungen offenlegen, käme ganz schön viel zusammen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod

In den USA zum Beispiel müssen Pharmakonzerne jedes Jahr veröffentlichen, an welchen Arzt sie wie viele Dollar gezahlt haben. Die Regierung von Präsident Barack Obama hatte diese Pflicht im Jahr 2010 im sogenannten "Physician Payment Sunshine Act" eingeführt. In anderen europäischen Ländern gebe es ähnliche Regelungen, erklärt Schurig. Deutschland dagegen sei, was die Datenlage dazu angehe, schon fast hinter Rumänien angekommen. "Weil eben diese freiwillige Offenlegung eindeutig nicht funktioniert", ist er sich sicher. Schon vor einigen Jahren hätten die deutsche Ärzteschaft und die Bundesärztekammer einen Vorstoß dazu gemacht, aber passiert sei seitdem nichts.

Novo Nordisk betont, große Spenden zu veröffentlichen. Allerdings gebiete der Datenschutz, dass Namen von Empfängerinnen und Empfängern nur mit deren Zustimmung veröffentlicht werden können.

Pharmakonzerne extrem nah an Fachleuten

Die Tatsache, dass Medizinerinnen und Mediziner sowie Fachgesellschaften Geld aus der Pharmaindustrie erhalten, ist erst einmal nicht per se verwerflich. Denn das ist gewissermaßen im System so angelegt. Nehmen wir etwa die klinischen Studien, die zur Zulassung von Medikamenten zwingend notwendig sind: Diese werden zumeist an Kliniken von dem dortigen Fachpersonal durchgeführt - bezahlt von einem Pharmakonzern. Aber anders können die Präparate nicht ausreichend in der klinischen Praxis erprobt werden, erläutern Fachleute. Allerdings zeigt eine aktuelle Untersuchung aus dem Fachmagazin Journal of the American Medical Association, dass gesponserte klinische Studien häufig dazu tendierten, den Sponsor positiver dazustellen und nicht die kompletten Rohdaten der Analyse zur Verfügung zu stellen.

Zusätzlich finanziert die Pharmaindustrie zum Beispiel Grundlagenforschung, die häufig langwierig ist und nicht immer Erfolg versprechend - ein Bereich also, für den sich anderweitig oft schwer Forschungsgelder akquirieren lassen. Es geht bei der Debatte um Interessenkonflikte also nicht um die grundsätzliche Frage, ob Ärztinnen und Ärzte mit den Pharmakonzernen zusammenarbeiten sollten, sondern es geht um maximale Transparenz. Der Patient soll wissen, in welchem Kontext seine Behandelnden tätig sind.

Es ist fast unumgänglich, dass es in der Medizin zu Interessenkonflikten kommt. "Es ist komplex und eine ständige Gratwanderung", kommentiert der Pharmakologe Markus Zeitlinger von der MedUni Wien die Gemengelage im Standard. Das Feld sei so vielfältig geworden, dass die Medizinerinnen und Mediziner sich auf ein spezielles Gebiet konzentrieren müssten. Das wiederum führe dazu, dass sich bei jedem Thema nur wenige wirklich gut auskennen würden. Und die seien nach jahrelanger Forschung eben auch mit den anderen Akteuren gut vernetzt. "Das lässt sich nicht vermeiden", sagt Zeitlinger. Manche Interessenkonflikte seien aber so stark, dass man die Meinung nur noch als beeinflusste Meinung interpretieren dürfe, ergänzt er.

Novo Nordisk agiert im Vergleich zu anderen Pharmakonzernen auch nicht außergewöhnlich – was der Konzern macht, das machen alle anderen auch. Vielleicht ist ihnen bei Wegovy ein besonderer Erfolg gelungen, aber beim nächsten sogenannten Blockbuster-Medikament kann schon die Konkurrenz vom nächsten Hype profitieren, glaubt Schurig. In ein, zwei Jahren könnten wir das womöglich mit Anti-Alzheimer-Medikamenten bei anderen Firmen wieder sehen. "Das ist einfach ein Phänomen, dass bei Blockbustern wirklich alle Hemmungen im Bereich von Interessenkonflikten fallen gelassen werden und diese Pharmakonzerne wirklich offensives Marketing betreiben", sagt der Arzt.

Werbeevents im Kleid von Fachveranstaltungen?

Das offensive Marketing von Pharmakonzernen betreffe vor allem auch die Fortbildung von Ärztinnen und Ärzten. Die müssen innerhalb von fünf Jahren mindestens 250 Fortbildungspunkte bei ihrer Kassenärztlichen Vereinigung nachweisen. Ob es für die Teilnahme an einer Veranstaltung Punkte gibt, entscheiden die Landesärztekammern in einem Zertifizierungsprozess. Da gehe es bei der Finanzierung von Fortbildungen durch die Pharmakonzerne darum, dass die Ärztekammern diese nicht zertifizieren dürften, sagt Schurig von der Ärzteinitiative MEZIS. Sie täten das allerdings teilweise trotzdem, zum Beispiel, weil manche durch die fehlende Transparenzpflicht gar nicht genau wüssten, dass viele Fachleute womöglich Interessenkonflikte haben.

Fortbildungsveranstaltungen, die von der Pharmaindustrie gesponsert werden, dürfen nicht zertifiziert werden, weil sie keine objektiven Fortbildungen sind, sondern eine Werbeveranstaltung.

Dr. med. Niklas Schurig MEZIS

Um seine Kritik zu verdeutlichen, gibt Schurig ein aktuelles Beispiel: Mitte November fand in Berlin ein Symposium der Paul-Martini-Stiftung zur Prävention und Therapie von Covid-19 statt. Von der Ärztekammer Berlin wird die Veranstaltung mit 11 Fortbildungspunkten anerkannt. Mit dabei sind die bekanntesten deutschen Fachleute auf dem Gebiet - unter anderem Christian Drosten, Klaus Cichutek oder Sandra Ciesek. Das Symposium findet in Zusammenarbeit mit der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina statt.

Schurig hält das für ein katastrophales Zeichen, denn die Paul-Martini-Stiftung sei keine neutrale Stiftung, sondern ein Strohmann des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller. "Das ist Werbung. Das dürfen sie schon machen, aber dafür dürfen sie keine Punkte bekommen", sagt er. Die Paul-Martini-Stiftung ist nach eigenen Angaben gemeinnützig, wird allerdings ausschließlich von seinem Träger - dem Verband der forschenden Pharmaunternehmen vfa - finanziert. Der Verband vertritt derzeit 48 Unternehmen. Der Vorwurf lautet also, die Pharmaindustrie verschaffe sich über die Stiftung indirekt eine Werbefläche. Und ganz abwegig scheint dieser Gedanke nicht zu sein. Unter anderem ist der Vorstandssprecher der Stiftung gleichzeitig auch der medizinische Direktor von Pfizer Deutschland. Er ist auch der Begrüßungsredner auf dem Covid-Symposium. Und auch seine Vorstandskolleginnen und -kollegen haben ihre Hauptjobs größtenteils in der Pharmaindustrie.

Veranstaltung von Pharma-naher Stiftung: Werbung statt Fortbildung?

Wieso wird so eine Veranstaltung also als offizielle Fortbildung zertifiziert? Auf Anfrage teilt die Ärztekammer Berlin mit: "Grundsätzlich ist Sponsoring von Fortbildungsveranstaltungen durch Dritte zur Finanzierung des ärztlichen Fortbildungswesens von entscheidender Bedeutung. Nach den Berufsordnungen der Landesärztekammern ist das Sponsoring berufsbezogener Fortbildung im angemessenen Umfang auch zulässig." Sponsoring müsse allerdings seine Grenzen dort haben, wo ärztliche Fortbildung unsachgemäß beeinflusst werde und damit nicht mehr frei von wirtschaftlichen Interessen sei.

Doch das zweifelsfrei nachzuweisen, ist gar nicht mal so einfach. Die Regelung alleine reiche jedenfalls "nach der Auffassung neuerer Rechtsprechung" nicht aus, "um Fortbildungen alleine aufgrund des Umfangs des Sponsorings nicht anzuerkennen", heißt es von der Ärztekammer Berlin. "Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Dresden zum Beispiel müsse für eine Ablehnung der Anerkennung vielmehr belegt werden, dass wirtschaftliche Interessen eines Sponsors dazu geführt haben, dass sich die Fortbildungsinhalte bei einzelnen Vorträgen nicht mehr ausschließlich an fachlichen Kriterien orientieren. Ein solcher Nachweis ist, abgesehen bei klarer Produktwerbung, kaum führbar."

Keine Chance also für die Ärztekammer, die Zertifizierung zu verweigern? Die Kammer ist zumindest bemüht, die ihnen versicherte Qualität der Veranstaltung zu prüfen: Mitarbeitende seien vor Ort gewesen, um zu prüfen, ob ein Verstoß gegen die Fortbildungsordnung nachgewiesen werden könne. "Eine unzulässige Beeinflussung der Teilnehmenden wäre beispielsweise gegeben, wenn durch die Art der Darstellung der Inhalte, ihrer Gewichtung oder Schwerpunktsetzung, Präparate, Wirkstoffe, Medizinprodukte oder andere Produkte, die von wirtschaftlichem Interesse für den Sponsor oder die Sponsorin sind, im Rahmen einer Fortbildungsmaßnahme besonders hervorgehoben werden", so die Berliner Ärztekammer. Die aktive Teilnahme von Vertreterinnen und Vertretern der Pharmaindustrie sei jedoch nicht ausreichend.

Leopoldina
Der Sitz der Leopoldina in Halle. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Auch bei der Sächsischen Landesärztekammer sorgt das Thema offenbar für Kopfschmerzen. Dass die Inhalte von zertifizierten Fortbildungsveranstaltungen immer "frei von wirtschaftlichen Interessen sind", wie es die eigenen Statuten verlangen, könne bei der aktuellen Gemengelage nicht gewährleistet werden. Die Gerichte verlangten eine gesetzliche Regelung oder den Vollbeweis, dass die Inhalte des ganz konkreten Vortrages nicht frei von wirtschaftlichen Interessen seien. "Die Umstände des Content-Marketing als offenes Geheimnis sind für die Richter nicht relevant. Durch den Umweg und den nicht gelingenden Vollbeweis zum Vortrag selbst, werden die Kammern aktuell reihenweise von den Gerichten gezwungen, die Punkte zu geben." Die Veranstalter würden die im Zweifelsfall vor dem Verwaltungsgericht einklagen. Deshalb brauche es der Sächsischen Landesärztekammer zufolge eine klare gesetzliche Regelung, dass direkt oder indirekt gesponserte Veranstaltungen generell nicht zertifiziert werden können.

Leopoldina: Gemeinsames Symposium mit Pharma-Stiftung

Und die Nationale Akademie der Wissenschaften? Wieso veranstaltet sie gemeinsam mit der Pharma-Stiftung ein Symposium? Das mache sie bereits seit mehr als zehn Jahren, heißt es aus der Pressestelle. "Der Leopoldina kommt hierbei die Aufgabe zu, die wissenschaftliche Qualität der Auswahl sowohl der Themen als auch der Vortragenden (u. a. Mitglieder der Leopoldina) zu sichern. Dies erfolgt, indem die Expertise der medizinischen Klasse der Leopoldina in den Auswahlprozess eingebunden wird." Bisher gebe es kein Anzeichen, dass die Paul-Martini-Stiftung das Symposium in irgendeiner Weise dafür nutze, wissenschaftsfremde Zwecke, wie etwa Eigeninteressen einzelner Pharma-Unternehmen, über das Interesse an einer seriösen Vermittlung medizinischen Wissens durch wissenschaftlich hervorragend ausgewiesene Expertinnen und Experten zu stellen, heißt es weiter. Die Leopoldina sei jedenfalls "vollkommen unabhängig" beim Vorschlag der Themen und bei der Auswahl der Rednerinnen und Redner. Dadurch werde die Qualitätssicherung der Veranstaltung nach Kriterien wissenschaftlicher Exzellenz und aktueller Relevanz gewährleistet.

Das enge Zusammenspiel von Universitäten, anderen Forschungsinstitutionen, Kliniken und der Industrie, so die Leopoldina weiter, sei in der heutigen biomedizinischen Forschung entscheidend, um Innovationen möglichst schnell in eine Anwendung zu bringen. "Hierzu sind Veranstaltungen, die unterschiedliche Beteiligte auf hohem wissenschaftlichem Niveau zusammenbringen, sinnvoll." Und dennoch räumt die Wissenschaftsakademie in ihrem Statement ein: "In einer idealen Welt wäre es wünschenswert, die ärztliche Weiterbildung von Unternehmen zu trennen." Doch die Realität sieht anders aus, denn bei einem vollständigen Ausschluss auch von indirekter Industrieförderung könne die Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten zurzeit nicht aufrechterhalten werden, konstatiert die Leopoldina.

Mehr zum Thema

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 05. Dezember 2023 | 14:15 Uhr

0 Kommentare