Landwirtschaftliche Felder von oben, Abendsonne
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MDR KLIMA-UPDATE | 30. Juni 2023 Die Bioenergie-Falle đŸš©

Ausgabe #95 vom Freitag, 30. Juni 2023

02. Juni 2023, 11:35 Uhr

Mehr als die HĂ€lfte unserer erneuerbaren Energie entsteht aktuell aus Biomasse. Die Technologie ist lokal, vielseitig und konstant abrufbar. Aber es gibt ein paar Red Flags...

Inka Zimmermann
Bildrechte: Tobias Thiergen

Hallo liebe Lesende, 

als ich vor einigen Wochen auf einer Journalisten-Konferenz war, sagte eine Kollegin mit Spezialgebiet Energiepolitik, sie frage sich, warum eigentlich niemand aktuell groß ĂŒber Bioenergie berichte. Immerhin sei es der wichtigste erneuerbare EnergietrĂ€ger, EU-weit. 

Bioenergie ist ja an sich keine neue Technologie – und hat mitunter eine etwas durchwachsene Reputation. Zu Unrecht? Ich begann, zu recherchieren. Und ich war zunĂ€chst sehr angetan. Bioenergie erschien mir als nahezu perfekter Partner in der Energiewende. Immerhin ist sie wahnsinnig vielseitig: Bioenergie kann nicht nur aus landwirtschaftlich angebauten Pflanzen wie Mais, Weizen, Raps oder aus Holz erzeugt werden, sondern aus allen biogenen Abfallstoffen – man denke nur an Kompost! Oder an SchlachtabfĂ€lle (gut, das scheint zugegebenermaßen nicht die allerbeste Idee zu sein). 

Auch was die technische Nutzung angeht, ist Bioenergie ein echter Tausendsassa: Treibstoffe, HeizwĂ€rme, Strom, Biogas
 die Möglichkeiten scheinen grenzenlos. Biogas könnte knapp die HĂ€lfte der Erdgaskraftwerke ersetzen, hat der Tagesspiegel recherchiert. Und Biomethan, das aus Biomasse erzeugt wird, könnte sogar zu grĂŒnem Wasserstoff veredelt werden – die Technologie dafĂŒr ist bereits verfĂŒgbar und die Kosten sind laut Betreiberangaben gering.  

Außerdem ist Bioenergie enorm zuverlĂ€ssig: Wenn WindrĂ€der stillstehen und Solarzellen vergeblich auf die Sonne warten, springt Biomasse ein. Dieses Level an Konsistenz wĂŒnscht man sich! Kein Wunder also, dass Bioenergie auch in Deutschland aktuell die Hauptrolle unter den erneuerbaren Energien spielt. 52 Prozent der Endenergie kommen aus Biomasse. 2022 waren das insgesamt 253,3 Terrawattstunden.   

Das Bild zeigt die Anteile diverser erneuerbarer Energien am Deutschen Energiemix
Bildrechte: MDR/ Sophie Mildner

Mehr als die HÀlfte unserer erneuerbaren Energie entsteht also aus Biomasse. Dass es so viel ist, war mir vor dieser Recherche nicht klar und ich fand zunÀchst: Das klingt doch super! Ich war aufgeregt und in meinem Kopf spielte ein Song: "Fields of Gold" von Sting.

Dann – auf dem Höhepunkt der Verliebtheit in den zuverlĂ€ssigen, erneuerbaren EnergietrĂ€ger – tauchten die ersten Warnsignale auf. Der Dating-Profi spricht von Red Flags. Dazu gleich mehr – an dieser Stelle ein kurzer Verweis auf die ... 


#ïžâƒŁ Zahl der Woche:

28

... Grad Celcius. So warm ist der Atlantik stellenweise aktuell. Gemessen wurde die Temperatur in den tropischen Regionen des Nordatlantiks – fĂŒr den Monat Juni ist diese Temperatur dort ein absoluter Rekordwert. Dass es gerade dort so warm wurde, ist heikel, weil die tropischen Regionen des Atlantik eine Zone sind, in der Hurricans entstehen.

Klimaforscher Stefan Rahmsdorf vom Potsdam-Institut fĂŒr Klimafolgenforschung sagte gegenĂŒber dem Standard, diese Temperaturanomalien seien sehr weit außerhalb der normalen Schwankungsbreite. Es sei eine "extreme Temperaturabweichung nach oben", die trotz der gestiegenen globalen Meerestemperatur aufgrund der allgemeinen ErwĂ€rmungstrends ĂŒberrasche. 

Bioenergie: das sind die Red Flags 

Bioenergie ist vielseitig, lokal, preiswert und sie bietet großartige Möglichkeiten zur ÜberbrĂŒckung der Dunkelflaute in der Energiewende. Viele GrĂŒnde fĂŒr Euphorie. Aber sie kommt mit ein paar Problemen, die wir auf dem Schirm behalten sollten. 

đŸš© Die "Teller oder Tank"-Debatte

Diese Debatte ist eigentlich gar nicht so neu, in den vergangenen Monaten aber immer wieder Teil der politischen Diskussionen. Wenn fruchtbare AckerflĂ€chen genutzt werden, um "Energiepflanzen" fĂŒr die Nutzung als Biomasse anzubauen, steht das grundsĂ€tzlich in Konkurrenz zu anderen Verwendungsmöglichkeiten. Das betrifft die Nahrungs- und Futtermittelproduktion, aber auch die stoffliche Nutzung von Pflanzen, beispielsweise fĂŒr biobasierte Kunststoffe und Chemikalien. Aktuell werden insgesamt 14 Prozent der landwirtschaftlichen FlĂ€che in Deutschland fĂŒr den Anbau von Energiepflanzen genutzt, heißt es aus dem Agrarministerium.

Mit dem Krieg gegen die Ukraine sind Getreidelieferungen von dort zurĂŒckgegangen, deswegen plĂ€diert Bundesumweltministerin Steffi Lemke dafĂŒr, AgrarflĂ€chen fĂŒr die ErnĂ€hrung zu nutzen. Sie will Biokraftstoffe bis 2030 sogar verbieten. Wie gefĂ€hrlich Bioenergie tatsĂ€chlich fĂŒr die globale ErnĂ€hrungssicherheit ist, lĂ€sst sich aktuell schlecht abschĂ€tzen. Die Welthungerhilfe zumindest zĂ€hlt sie nicht direkt zu den Verursachern des globalen Hungers, sondern spricht eher von Kriegen, Armut und Ungleichheit im Welthandel – also von politischen Faktoren. Wenn Bioenergie kĂŒnftig national und global eine noch grĂ¶ĂŸere Rolle spielen soll, könnte sich das allerdings Ă€ndern. 

đŸš© Die CO2-Emissionen

Diese Woche erst veröffentlichte das Potsdam-Institut fĂŒr Klimafolgenforschung eine Studie mit dem Ergebnis: Wenn die Politik keine internationalen Regeln darĂŒber aufstellt, welche FlĂ€chen zur Erzeugung von Biomasse verwendet werden dĂŒrfe, könnte Bioenergie in den kommenden 30 Jahren mehr Emissionen verursachen, als die Weiternutzung von fossilem Diesel.

Um mehr Bioenergie zu erzeugen, muss mehr Biomasse produziert werden. DafĂŒr werden höchstwahrscheinlich nicht nur die bestehenden AgrarflĂ€chen verwendet, sondern neue FlĂ€chen erschlossen. Das könnte beispielsweise dazu fĂŒhren, dass in Regionen, die keine regulierte Landnutzung haben, WĂ€lder abgeholzt werden – zum einen, um das entsprechende Holz als Biomasse zu verheizen und zum anderen, um auf diese Weise neue AnbauflĂ€chen fĂŒr Biomasse zu generieren. Leon Merfort – der Leitautor der aktuellen Studie – fordert, den Anbau von BioenergiegrĂ€sern strikt auf marginales oder brachliegendes Land zu beschrĂ€nken. "Unsere Ergebnisse zeigen: CO2-Emissionen aus LandnutzungsĂ€nderungen durch die Ausweitung von FlĂ€che fĂŒr die Produktion von Biomasse lassen sich auf globaler Ebene mit derzeitigen Regulierungen nicht kontrollieren."

Die Studie mit dem Namen Bioenergy-induced land-use-change emissions with sectorally fragmented policies gibt es hier zum Nachlesen. 

Außerdem stĂ¶ĂŸt die Biomasse selbst bei ihrer Nutzung auch CO2 aus – hierbei handelt es sich um das CO2, das in der Biomasse selbst gebunden war und nun wieder in die AtmosphĂ€re abgegeben wird. Das CO2 war demnach ohnehin nur vorĂŒbergehend in der Pflanze gespeichert und wird deshalb nicht in die CO2-Bilanz von Bioenergie eingerechnet. 

đŸš© Konversionseffizienz  

"Die Biomasse ist die mit Abstand ineffizienteste Nutzungsform von erneuerbaren Energien", fasst es Volker Quaschning gegenĂŒber unseren Kollegen von Planet Wissen zusammen. Der Wirkungsgrad von Biomasse, also wieviel Energie auf einer bestimmten FlĂ€che gewonnen wird, liegt bei 0,5 bis 1 Prozent – zum Vergleich: bei Solarmodulen sind das etwa 20 Prozent. Man könnte also argumentieren: Wenn wir auf einer begrenzten Menge an Land in Deutschland möglichst viel erneuerbare Energie erzeugen wollen, ist Biomasse nicht der beste Weg dahin.

Allerdings gibt es hier erhebliche Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Nutzungsarten von Biomasse. In einer wissenschaftlichen Ausarbeitung des Bundestages wird von einer Energieausbeute bei Biodiesel und Ethanol der Faktor 1,5 bis 2,1 berechnet, auch biomassebasierte Kraftstoffe wie BtL machen nur 36 bis 52 Prozent des ursprĂŒnglichen Energiegehalts der Biomasse verfĂŒgbar. Ein großer Anteil des Energiegehaltes der ursprĂŒnglichen Biomasse geht wĂ€hrend der Verarbeitung als Nebenprodukte in Form von Strom oder WĂ€rme verloren.

Wenn Biomasse oder auch Biogas allerdings gleichzeitig zur Strom- und WĂ€rmeerzeugung genutzt werden (man spricht von Kraft-WĂ€rme-Kopplung), erreichen sie ihren besten Wirkungsgrad und somit auch die beste Klimabilanz. Es gilt also auch immer zu unterscheiden, fĂŒr welche Endnutzung Biomasse verwendet werden soll. 


🗓 Klima-Termine

Ab 3. Juli – Online

Der BUND startet am kommenden Montag eine Themenwoche unter dem Motto: Neue Wege, aber wie? Transformation der Arbeitswelt. Wie wollen wir in Zukunft arbeiten und leben? Welche Rahmenbedingungen bedarf es hierfĂŒr? Und wie gelingt es, Wirtschaften und Arbeiten ressourcenschonend und klimaneutral zu gestalten? Diese Fragen sollen Online von Montag bis Freitag gekĂ€rt werden. Mehr dazu hier.

Dienstag, 4. Juli – Leipzig

Referentin Desiree MĂŒhe fĂŒhrt durch den Stadtgarten Connewitz – und gleichzeitig in die Welt der WildkrĂ€uter ein. Das Ziel der SpaziergĂ€nge ist, aufzuzeigen, dass WildkrĂ€uter nicht nur fĂŒr Insekten ĂŒberlebenswichtig sind, sondern auch uns Menschen eine gute Nahrungs- und Heilquelle bieten. Dabei stehen ausgewĂ€hlte saisonale WildkrĂ€uter im Mittelpunkt: ihre Erkennungsmerkmale, ihr Wert fĂŒr Mensch und Tier sowie einfache Zubereitungsvarianten. Infos & kostenfreie Anmeldung hier.

Donnerstag bis Samstag, 6. - 8. Juli – Halle

Auf dem BĂŒrgerforschungsschiff Make Science Halle findet ein dreitĂ€giges "PrimaKlimaCamp" fĂŒr Jugendliche im Alter von zwölf bis 16 Jahren statt. Inhaltlich ausgeschmĂŒckt werden die Camps von den Hochschulen des Netzwerks "Blaues Band der Wissenschaft". Mehr Infos hier.


📰 Klimaforschung und Menschheit

CO2 sparen oder ausgleichen? Verbraucherinnen und Verbraucher bevorzugen ersteres 

Auf dem Weg zur KlimaneutralitĂ€t gibt es fĂŒr Unternehmen zwei Wege: CO2 kann wĂ€hrend der Produktion eingespart werden, oder eben mit dem Kauf von CO2-Zertifikaten ausgeglichen werden. Rein rechnerisch kommt das aufs Gleiche raus. FĂŒr die Verbraucherinnen und Verbraucher scheint es aber einen großen Unterscheid zu machen. "Überraschenderweise waren die Verbraucher in unserer Studie aber nur dann bereit, mehr fĂŒr das jeweilige Produkt auszugeben, wenn die Emissionen reduziert wurden", sagt Christian Troester, der Autor der Studie. Hatten die Unternehmen ihren CO2-Ausstoß lediglich ausgeglichen, waren die Konsumentinnen und Konsumenten eher nicht bereit, mehr Geld fĂŒr ein Produkt auszugeben. 

Keine Einigung auf neue Schutzgebiete in der Antarktis 

Die Antarktis-Kommission CCAMLR hat sich bei ihrer Sondersitzung in Santiago de Chile nicht auf die Ausweisung neuer Meeresschutzgebiete einigen können. Vor allem China und Russland hĂ€tten bei der Konferenz der Kommission fĂŒr die Erhaltung der lebenden MeeresschĂ€tze der Antarktis (CCAMLR) in der chilenischen Hauptstadt verhindert, dass ein Konsens ĂŒber drei neue Schutzgebiete im SĂŒdpolarmeer erzielt wurde, teilten Umweltschutzorganisationen nach Ende der Sitzung am Freitag (23.06.2023) mit. Die USA, die EU, Großbritannien, Australien, Norwegen, Uruguay, Neuseeland, Indien, SĂŒdkorea, die Ukraine, Argentinien und Chile hatten die Ausweisung von drei Schutzgebieten in der Ostantarktis, im Weddellmeer und auf der Antarktischen Halbinsel mit einer GesamtflĂ€che von rund vier Millionen Quadratkilometern vorgeschlagen. Das entspricht in etwa einem Prozent der Weltmeere.

Mehr dazu in den MDR Wissen-News. 

Fleisch, Zucker und Co: Fachleute plĂ€dieren fĂŒr politische Maßnahmen statt Eigenverantwortung

Eine fĂŒr Erde und Mensch verantwortungsvolle ErnĂ€hrung sollte nicht auf Verbraucherinnen und Verbraucher abgewĂ€lzt werden. Zu dieser Erkenntnis kommt ein internationales Team aus Fachleuten und rĂ€t der EU-Politik zum aktiven Eingreifen. Ein Beispiel sei eine Steuer auf Fleischprodukte, so wie sie auch im Koalitionsvertrag angedacht ist. Damit lasse sich nicht nur der Konsum reduzieren, die Abgaben könnten dann fĂŒr Tierwohlmaßnahmen und zur Kostensenkung gesunder Lebensmittel eingesetzt werden. Kennzeichnungen, insbesondere freiwilligen, erteilten die Gruppe hingegen eine Absage, da somit Verbraucherinnen und Verbraucher zu viel Verantwortung selbst ĂŒbernehmen mĂŒssten.

Die HintergrĂŒnde zum Thema gibt’s in diesem spannenden Artikel von meinem Kollegen Florian Zinner. 


đŸ“» Klima in MDR und ARD

đŸ„• Zum Schluss

Bioenergie kann fossile EnergietrĂ€ger teilweise ersetzen. Aber sie kommt mit ein paar Red Flags, die wir – gerade wenn es um einen weiteren Ausbau der EnergietrĂ€ger geht – nicht ignorieren dĂŒrfen. 

Ein hochbegehrtes StĂŒck Biomasse halten wir alle ĂŒbrigens fast tĂ€glich in unseren HĂ€nden. In Form eines Kompost-Eimers. Unsere LebensmittelabfĂ€lle sind ein energiereicher Wertstoff, der ohne zusĂ€tzliche Agrarwirtschaft bereits existiert.

Klar, der Löwenanteil unserer Energiewende ist damit nicht zu stemmen, aber der Anteil ließe sich noch ordentlich steigern: Wenn wir alle Haushalte an das BiomĂŒll-Netz anschließen und dieses dann auch nutzen. Laut Nabu landen jĂ€hrlich immerhin etwa vier Millionen Tonnen BioabfĂ€lle in der RestmĂŒlltonne. Und FehlwĂŒrfe vermeiden: Falsch entsorgte Stoffe im Bioabfall machen diesen schnell nicht mehr nutzbar. Laut der BundesgĂŒtegemeinschaft Kompost mĂŒssen bereits 97 Prozent des BiomĂŒlls aussortiert werden, wenn nur 1 Prozent FehlwĂŒrfe enthalten sind. Dabei geht es ĂŒbrigens auch oft um die BiomĂŒlltĂŒten, die leider in unseren Anlagen noch nicht kompostierbar sind. 

Also: Kompostieren Sie fleißig! Und haben Sie ein schönes Wochenende! 

Inka Zimmermann 


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Schreiben Sie uns an klima@mdr.de.

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