Qualm steigt aus Fabrikschornsteinen hervor.
Wie hängen Luftverschmutzung und Suizidrisiko zusammen? Bildrechte: Colourbox.de

Umwelt Luftverschmutzung und Selbstmordrate: Weniger Suizide bei sauberer Luft

21. März 2024, 11:01 Uhr

Je schmutziger die Luft, desto höher das Selbstmordrisiko. Darauf weisen bereits verschiedene Studien hin. Die aktuellste dazu kommt jetzt aus China. Sie zeigt, dass mit der verbesserten Luftqualität die Zahl der Selbstmorde sank.

Proträtfoto einer Frau mit eine rosa Bluse.
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Die Nachricht ist erst einmal gut: Während in China im Jahr 2010 noch durchschnittlich 10,88 Personen pro 100.000 Einwohnern und Jahr Selbstmord begingen, sank dieser Anteil bis 2021 auf 5,25. Das ermittelte das Chinesische Zentrum für Krankheitskontrolle und Prävention. Die Statistiker vermuten eine ganze Reihe von Gründen, etwa die Abwanderung von ländlichen in städtische Gebiete. In Chinas Metropolen ist die Selbstmordrate halb so hoch wie auf dem Land. Auch mehr Arbeitsplätze und zunehmender Wohlstand könnten eine Rolle gespielt haben. Außerdem wurde der Zugang zu Pestiziden beschränkt, die in ländlichen Gebieten Asiens häufig dafür missbraucht wurden, das eigene Leben zu beenden.

Verbesserte Luftqualität stärkt den Lebensmut

Aber auch ein weiterer Faktor ist möglicherweise ausschlaggebend: Ab 2013 verbesserte sich die Luftqualität nach und nach. Kohle wurde als Heizmaterial zunehmend durch Erdgas ersetzt, die Emissionen durch Fahrzeuge reduziert und Solar- und Windenergie gefördert. In dieser Entwicklung sahen Peng Zhang, Ökonom an der Chinese University of Hong Kong und Tampa Carleton, Umweltexpertin an der University of Santa Barbara, Kalifornien, eine Chance, den Zusammenhang zwischen sauberer Luft und gesunkener Selbstmordrate genauer zu untersuchen. Dazu analysierten sie Daten zur Luftqualität und zu Suiziden in den Jahren zwischen 2013 und 2017. Ihr Fazit: In diesem Zeitraum nahmen sich 45.970 weniger Menschen das Leben als zuvor.

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Die Illustration zeigt eine junge Frau, die tief Luft holt und deren Haare im Luftzug wehen. Daneben der Schriftzug "Ich will saubere Luft" und der Hinweis, dass es sich um einen Podcast handelt. 33 min
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Um den Einfluss der Luftverschmutzung von anderen Faktoren abzugrenzen, nutzten die Forschenden das meteorologische Phänomen der thermischen Inversion, auch bekannt als Inversionswetterlage. Dabei ist die Luft der oberen Schichten wärmer als die der unteren, Schadstoffe werden dadurch in Bodennähe gebunden. Das Ausmaß der Kontamination an sich bleibt gleich, nur sind die Menschen ihr durch die Konzentration weiter unten stärker ausgesetzt. Da die thermische Inversion nur kurzfristig auftritt, ist also der Einfluss der Luftverschmutzung auf die Psyche in diesen Zeitfenstern besonders hoch und kann damit als Faktor recht gut isoliert werden. "Damit können wir unserer Meinung nach erstmals die ursächliche Wirkung von Luft isolieren und den Einfluss von Umweltverschmutzung auf das Selbstmordrisiko nachweisen", so Tamma Carleton. Roger McIntyre, Psychiater an der Universität von Toronto bestätigt die Resultate. "Es ist eine gut gemachte Studie", so seine Einschätzung und die erste ihm bekannte Untersuchung, die einen Zusammenhang zwischen sinkender Selbstmordrate und verbesserter Luftqualität herstellt.

Verschmutzte Luft beeinträchtigt Körper und Seele

Die Folgen von Feinstaub, Ozon und Stickstoffdioxid sind für die körperliche Gesundheit bereits länger erforscht. Nach Angaben des Umweltprogramms der Vereinten Nationen führen dadurch verursachte Atemwegsinfekte, Herz- und Gefäßkrankheiten und Lungenkrebs jedes Jahr zu schätzungsweise sieben Millionen vorzeitigen Todesfällen. Doch auch mit den Auswirkungen auf unsere Psyche befassen sich Forschende schon länger. So ist inzwischen nachgewiesen, dass eingeatmeter Feinstaub einerseits die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn bremst und sich in kleinsten Partikeln dort sogar ablagern kann. Eine Metaanalyse der Yale University, USA, belegte 2021 bereits, dass mit der Belastung durch Luftschadstoffe auch die Zahl der Suizide ansteigt. Eine weitere Studie aus Kanada bestätigte das im März 2023.

Ein kurzfristiger Anstieg von Stickstoffdioxid, Ozon, Feinstaub und der Temperatur reicht, um das Suizidrisiko zu erhöhen.

Paul Villeneuve, Hirnforscher und Studienautor

Für seine in "Environmental Research" veröffentlichten Ergebnisse hatten Hirnforscher Paul Villeneuve und sein Team anhand einer nationalen kanadischen Datenbank analysiert, an welchen Orten im Land zwischen 2002 und 2015 sich wie viele Menschen das Leben genommen hatten. Insgesamt kamen sie auf mehr als 50 000 Fälle – im Mittel zehn am Tag, mit steigender Tendenz. Die jeweils nächstgelegenen Messstationen gaben Auskunft zur jeweiligen Belastung der Luft durch Stickstoffdioxid (NO2), Feinstaub (PM2.5) und Ozon (O3) vor dem Suizid. Die Probanden dienten zugleich als ihre eigene Kontrollgruppe: Die Luftverschmutzung am Tag des Suizids wurde mit der eines gleichen Wochentags im selben Monat verglichen. Die mittlere Konzentration von Stickstoffdioxid lag bei 8,3 und von Ozon bei 23,7 milliardstel Teilen (parts per billion, ppb), und bei Feinstaub waren es 5,5 Mikrogramm pro Kubikmeter, was im Vergleich zu Deutschland niedrige Werte sind. "Ein kurzfristiger Anstieg von NO2, O3, PM2.5 und der Temperatur ist mit einem erhöhten Risiko für einen Suizid in Kanada verbunden", so das Fazit der Studienautoren.

Frauen stärker betroffen, auch die Temperatur spielt eine Rolle

Die Schadstoffbelastung der Luft wirkt sich bei Frauen und in den warmen Monaten von April bis September stärker aus. Knapp zehn Grad Celsius mehr innerhalb von drei Tagen bedeuteten rund zehn Prozent mehr Selbsttötungen. Den stärksten Einfluss hatte jedoch die Temperatur am Todestag selbst. Welche Mechanismen hier genau greifen, ist noch nicht ausreichend geklärt. Doch Vermutung der Forschenden ist, dass die Schadstoffe, sobald sie ins Gehirn gelangen, den Suizid "triggern" würden. Es gebe Hinweise darauf, dass PM2.5 entzündliche Reaktionen von Gliazellen und Ozon oxidativen Stress fördern könnte. Auch die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse könnte betroffen sein, was mit Depressionen, aggressivem Verhalten und Suizid in Verbindung gebracht werde. Hohe Temperaturen könnten zusätzlich das Nervensystem beim Regulieren von Emotionen stören.

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