Medizinerin stützt eine Frau auf Krücken.
Nach einer Lähmung zählt jeder Fortschritt. Eine Stammzelltherapie könnte künftig Menschen mit Rückenmarksverletzung helfen. Bildrechte: Colourbox.de

Stammzelltherapie Hoffnung bei Rückenmarksverletzung?

12. April 2024, 17:55 Uhr

Eine Rückenmarksverletzung hat meist schwerwiegende Folgen wie eine teilweise oder vollständige Lähmung. Die Chancen auf Besserung waren bislang gering. Einen neue Studie gibt jetzt Anlass zur Hoffnung für die 250.000 bis 500.000 Patienten, die nach WHO-Angaben jährlich weltweit hinzukommen.

Die Fähigkeit des Rückenmarks, seine Zellen zu reparieren oder neue zu bilden, ist begrenzt und damit auch die Chance auf Besserung nach einer Schädigung durch einen Unfall, Krebs oder Infektionen. Bislang zeigte sich in den ersten 12 bis 24 Monaten nach dem Ereignis, inwieweit sich der Patient davon wieder erholt. Fortschritte, die bis dahin nicht erreicht waren, blieben auch in der darauffolgenden Zeit aus. Eine neue kleine Studie der Mayo-Klinik in Rochester/Minnesota, eröffnet möglicherweise neue Perspektiven: An zehn betroffenen Teilnehmern im Alter von 18 bis 25 Jahren wurde eine Stammzellentherapie durch Injektion in die Lendenwirbelsäule vorgenommen. Die Zellen waren zuvor aus dem Bauchfett der Patienten entnommen und im Labor auf 100 Millionen hochgezüchtet worden.

Bei einer Rückenmarksverletzung kann bereits eine geringfügige Verbesserung die Lebensqualität des Patienten erheblich verbessern.

Mohamad Bydon, Neurochirurg

Die Forschenden konnten in den darauffolgenden Jahren bei sieben der zehn Betroffenen deutliche Fortschritte im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit der Nerven und Muskeln beobachten, sogar bei denen beiden, bei denen die Verletzung des Rückenmarks bereits 22 Monate zurücklag. Das konnten die Mediziner mittels Magnetresonanztomographie und Reaktionstests auf Schmerz, Druck und andere Empfindungen dokumentieren. Zwei von drei Patienten mit vollständigen Verletzungen der Brustwirbelsäule mit Lähmungserscheinungen stiegen nach der Behandlung um zwei Stufen der sogenannten ASIA-Klassifikation der American Spinal Cord Association auf. Sie teilt das Ausmaß der Lähmung in fünf Grade von komplett gelähmt bis normal funktionsfähig ein. Insgesamt sieben der zehn Teilnehmer zeigten ebenfalls eine Verbesserung wie ein erhöhtes Gefühl beim Testen mit Nadelstichen und leichter Berührung, eine erhöhte Kraft in den motorischen Muskelgruppen und die Wiederherstellung der willkürlichen Analkontraktion, die die Darmfunktion unterstützt. Drei reagierten nicht auf die Behandlung, zeigten jedoch auch keine Nebenwirkungen. "Bei einer Rückenmarksverletzung kann bereits eine geringfügige Verbesserung die Lebensqualität des Patienten erheblich verbessern“, betont Studienleiter und Neurochirurg Mohamad Bydon die Bedeutung dieser Fortschritte.

Ich hätte nie gedacht, dass ich mich so erholen würde.

Chris Barr, Studienteilnehmer

Das bestätigt auch Studienteilnehmer Chris Barr, der nach einem Surfunfall vor sieben Jahren vom Hals abwärts gelähmt war. Inzwischen kann er wieder selbstständig stehen und gehen, unter anderem dank der Behandlung mit Stammzellen. Über fünf Jahre nach der Therapie berichtete er, dass er weiterhin unabhängiger werde und schneller gehen könne. "Ich hätte nie gedacht, dass ich mich so erholen würde“, zieht er heute Bilanz. "Ich kann mich selbst ernähren. Ich kann herumlaufen. Ich kann alltäglichen unabhängigen Aktivitäten nachgehen.“

Wie wirken die Stammzellen im geschädigten Rückenmark?

Auf diese Frage gibt es noch keine abschließende Antwort. Obwohl bekannt ist, dass sich Stammzellen zu Entzündungsherden bewegen, in diesem Fall zum Ort der Rückenmarksverletzung, ist noch nicht vollständig geklärt, wie die Zellen mit dem Rückenmark interagieren, räumt Bydon ein. Deshalb suchen er und seine Kollegen auch weiterhin nach Hinweisen darauf, was genau geschieht und welche Möglichkeiten sich daraus für Regeneration und Heilung ergeben. "Rückenmarksverletzungen sind eine komplexe Erkrankung. Zukünftige Forschungen könnten zeigen, ob Stammzellen in Kombination mit anderen Therapien Teil eines neuen Behandlungsparadigmas sein könnten, um die Ergebnisse für Patienten zu verbessern.“, so seine Perspektive. Aber er weist darauf hin, dass die Ergebnisse seiner Studie auch kritisch betrachtet werden müssten. Es handele sich um eine klinische Phase-1-Studie, also eine erste klinische Studie mit einer geringen Stichprobe. Deshalb werden derzeit weitere Untersuchungen bei einer größeren Gruppe von Teilnehmern durchgeführt, um Risiken und Vorteile weiter zu bewerten.

Die Studie wurde im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht.

krm

0 Kommentare

Mehr zum Thema