Gletscherlagune Joekulsarlon im Vatnajoekull-Nationalpark, Hornarfjoerdur, Island
So wie hier in Island könnte es vor etwa einer Million Jahren in großen Teilen Europas ausgesehen haben. Vorher auf dem Kontinent ansässige Frühmenschen dürften deshalb geflohen oder ausgestorben sein. Bildrechte: IMAGO/Zoonar

Geschichte der Menschheit Sorgte eine extreme Abkühlung für die Entvölkerung Europas?

11. August 2023, 17:07 Uhr

Es gibt deutlich ältere und jüngere menschliche Ausgrabungsstücke in Europa, aber keine aus der Zeit vor einer Million Jahren. Ist das Zufall? Wahrscheinlich nicht. Europa war wohl aus klimatischen Gründen unbewohnbar.

Vor 1,5 und 1,4 Milionen Jahren gab es Menschen in Europa, das weiß man von fossilen Funden aus Italien bzw. Spanien. Vielleicht war es der Homo erectus, aber das lässt sich nicht genau nachweisen. Vor knapp 900.000 Jahren gab es ebenfalls Menschen in Europa, Homo antecessor genannt. Auch das weiß man aus Funden in Spanien. Aber was war dazwischen?

Die gewaltige zeitliche Lücke, die da klafft, wurde bislang meist gefüllt mit Vermutungen, dass sich der Mensch auf dem europäischen Kontinent irgendwie weiterentwickelt habe. Die vorherrschende Theorie war, dass die Menschen in der Lage waren, mehrere verschiedene Klimazyklen zu überleben und sich an die zunehmend raueren Bedingungen vor 900.000 Jahren anzupassen.

Aber diese Geschichte der Menschheit auf dem europäischen Kontinent muss jetzt vermutlich neu geschrieben werden. Wenn das stimmt, was eine Forschungsgruppe unter Leitung des University College London herausgefunden hat, dann kann und wird es zum Beispiel nie fossile Funde in Europa geben, die auf ansässige Menschen vor genau einer Million Jahren schließen lassen, weil der Kontinent damals schlicht und ergreifend unbewohnbar war. "Unsere Entdeckung stellt die Vorstellung einer kontinuierlichen frühen menschlichen Besiedlung Europas in Frage", sagt Paläoklimatologe Chronis Tzedakis, der Hauptautor der Studie, die im renommierten Magazin "Science" veröffentlicht wurde.

Gewaltige Abkühlung im frühen Pleistozän

Wichtigster Untersuchungsgegenstand in der Forschungsarbeit war ein Tiefseesedimentkern, der vor der Küste Portugals geborgen wurde. Bei dessen Untersuchung wurden abrupte Klimaveränderungen vor etwa 1,1 Millionen Jahren festgestellt, die in einer extremen eiszeitlichen Abkühlung gipfelten. Dadurch sanken die Meeresoberflächentemperaturen vor dem heutigen Portugal auf unter 6 °C und es breiteten sich Halbwüsten auf dem angrenzenden Land aus.

"Eine Abkühlung dieses Ausmaßes hätte kleine Jäger- und Sammlergruppen unter erheblichen Stress gesetzt", sagt Mitautor Nick Ashton vom British Museum, "zumal diese frühen Menschen möglicherweise keine Anpassungsmöglichkeiten wie ausreichende Fettisolierung, Mittel zur Herstellung von Feuer, effektive Kleidung oder Unterkünfte hatten."

Welche Auswirkungen so eine Eiszeit auf die Besiedlung des europäischen Kontinents gehabt haben dürfte, wurde von einem Supercomputer namens "Aleph" simuliert. Der steht am "IBS Center for Climate Physics" im südkoreanischen Pusan, dessen Präsident der deutsche Forscher Axel Timmermann ist. "Die Ergebnisse zeigen, dass vor 1,1 Millionen Jahren das Klima rund um das Mittelmeer zu lebensfeindlich für den frühen Menschen wurde", fasst Timmermann die Erkenntnisse der Studie zusammen.

Stattdessen muss laut der Forschungsgruppe nun davon ausgegangen werden, dass Europa erst vor etwa 900.000 Jahren von widerstandsfähigeren Menschen wiederbesiedelt wurde, die über evolutionäre oder verhaltensmäßige Veränderungen verfügten, um unter den immer intensiver werdenden eiszeitlichen Bedingungen überleben zu können.

Klima auch für Kreuzung zwischen Neandertalern und Denisova-Menschen verantwortlich?

Eine zweite Studie, die ebenfalls in "Science" veröffentlicht wurde, behandelt zwar einen deutlich späteren Zeitraum in der eurasischen Menschheitsentwicklung, zeigt aber sonst einige Parallelen. Wieder geht es um klimatische Veränderungen auf dem Kontinent, und wieder haben Axel Timmermann und Supercomputer Aleph entscheidend dabei geholfen.

Die Studie handelt von den Denisova-Menschen und den Neandertalern. Dass sich diese beiden Frühmenschenarten nicht nur geografisch, sondern auch biologisch gekreuzt haben, weiß man seit 2018. Damals konnte ein 90.000 Jahre alter Knochen genetisch zweifelsfrei einer weiblichen Person zugeordnet werden, deren Vater ein Denisova-Mensch und deren Mutter eine Neandertalerin war.

Dass es irgendwann eine Begegnung und "Vermischung" beider Arten gegeben hat, ist also schon einige Jahre klar. Aber all das könnte schon viel eher stattgefunden haben als bislang vermutet, und zwar aus klimatischen Gründen. Eine "vom Klima inszenierte frühmenschliche Liebesgeschichte" könnte man es nennen, was da vielleicht schon vor bis zu 320.000 Jahren passierte, sagt Studienhauptautor Jiaoyang Ruan vom IBS Center for Climate Physics in Südkorea.

Überlappungen der Lebensräume wegen Veränderungen des Klimas

Neandertaler und Denisova-Menschen hatten sehr unterschiedliche Umweltvorlieben, heißt es in der Forschungsarbeit. Denisova-Menschen waren viel stärker an kalte Umgebungen in borealen Wäldern und sogar der Tundra angepasst. Neandertaler hingegen bevorzugten gemäßigte Wälder und Grasland. Die Lebensräume beider Gruppen waren also normalerweise klar geografisch voneinander getrennt: Neandertaler lebten typischerweise eher im Südwesten Eurasiens, Denisova-Menschen im Nordosten.

In Simulationen mit Supercomputer Aleph fanden die Wissenschaftler jedoch heraus, dass sich die Lebensräume der Homininen in warmen Zwischeneiszeiten, als die Erdumlaufbahn um die Sonne elliptischer war und der Sommer auf der Nordhalbkugel näher an der Sonne lag, geografisch zu überlappen begannen.

Denisova-Menschen hätten so zum Beispiel bis nach Nord- und Mitteleuropa kommen können, ohne ihren bevorzugten Lebensraum zu verlassen. Auf einem recht breiten Streifen von Ost nach West könnten sie dabei auf die Neandertaler getroffen sein. Und Gelegenheit macht eben Liebe, oder wie Axel Timmermann sachlicher formuliert: "Wenn Neandertaler und Denisova-Menschen einen gemeinsamen Lebensraum teilten, gab es mehr Begegnungen und Interaktionen zwischen den Gruppen, was die Wahrscheinlichkeit der Kreuzung erhöht hätte."

Illustration der Lebensräume von Neandertalern (rötliche Punkte) und Denisova-Menschen (grünliche Punkte). In Überlappungsgebieten, die von Nordeuropa bis Zentralasien reichen, könnte es zur Kreuzung beider Homininen-Arten gekommen sein.
Illustration der Lebensräume von Neandertalern (rötliche Punkte) und Denisova-Menschen (grünliche Punkte). In Überlappungsgebieten, die von Nordeuropa bis Zentralasien reichen, könnte es zur Kreuzung beider Homininen-Arten gekommen sein. Bildrechte: Institute for Basic Science

Bislang waren Kreuzungen zwischen beiden Homininen-Arten erst für den Zeitraum von vor 120.000 bis 78.000 Jahren bekannt. Laut der neuen Studie könnte das aber auch schon in zwei früheren Warmzeiten vor 210.000 Jahren und vor 320.000 Jahren passiert sein.

(rr)

Ein Neadndertaler mit Fellbekleidung. In der einen Hand trägt er einen Speer, mit der anderen Hand hält er die Hand seiner Tochter, die auf seinen Schultern sitzt und sich an seinem Hals festhält. Das Kind blickt nach hinten in die Ferne, der Blick des Vaters ist auf den Boden gerichtet. mit Video
Die Überreste von 13 Neandertalern wurden in Sibirien in den Höhlen von Chagyrskaya und Okladnikov gefunden. Die Genomsequenzierung offenbarte das Verwandtschaftsverhältnis der Individuen. Unter ihne waren auch ein Vater und seine Tochter. Bildrechte: © Tom Bjorklund

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