Brückenprofessorin Anna Kühne
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Öffentliche Gesundheit Lehre aus Covid-Pandemie: Gesundheitsamt und Uniklinikum Dresden arbeiten enger zusammen

09. Mai 2024, 15:59 Uhr

Forschung und Praxis besser vernetzen, Maßnahmen auf solidere Basis stellen und in Nachwuchs investieren: Dresden zieht mit der deutschlandweit ersten Brückenprofessur für Öffentliche Gesundheit Lehren aus der Pandemie. Potenzielle neue Krankheiten bleiben aber nicht die alleinige Herausforderung. Auch Hitze in aufgeheizten Städten wird immer mehr zum Risikofaktor. MDR WISSEN sprach mit Brückenprofessorin Anna Kühne, warum diese Professur gebraucht wird und was hier konkret passieren soll.

Frau Kühne. Sie sind die neue Brückenprofessorin für öffentliche Gesundheit. Was werden sie überbrücken?

Wir schlagen die Brücke zwischen Hochschulmedizin und öffentlichem Gesundheitsdienst – sowohl der Stadt Dresden als auch des Landes Sachsen. Ganz konkret ist die Professur an der Universität aber auch zu einem Viertel direkt an das Dresdner Gesundheitsamt angegliedert. Das ist in Deutschland bislang einmalig und bietet enorme Möglichkeiten. Wir wollen gemeinsam forschen und unsere Ergebnisse gleich praktisch umsetzen. Ziel ist es, Maßnahmen des Gesundheitsamts wissenschaftlich zu begleiten und zu verbessern. Gleichzeitig investieren wir in Lehre und Ausbildung, da wir unbedingt Nachwuchs brauchen.

Müssen wir beim Infektionsschutz besser werden?

Ja und Nein. Das Gesundheitsamt macht wahnsinnig gute Arbeit. Im Kern geht es ja darum, Infektionskrankheiten früh zu erkennen und eine Verbreitung zu verhindern. Dafür werden Krankheiten beim Gesundheitsamt gemeldet, welches dann die Ansteckungsgefahr ermittelt und Maßnahmen ergreift. Wenn Kinder zum Beispiel in der Kita an Brechdurchfall erkranken, berät das Gesundheitsamt, ob und wie lange diese zu Hause bleiben müssen oder ob bei der Hygiene nachgebessert werden muss. Anderes Beispiel: Bei Verdacht auf Hirnhautentzündung managt die Behörde die Kontaktkette. Kontaktpersonen müssen hier mit Medikamenten versorgt werden, um eine Ansteckung zu verhindern. Diese Art von Ermittlungen machen die Gesundheitsämter tausendfach, für Covid und für viele andere Erkrankungen.

Es läuft also richtig gut – zur Pandemie gab es auch viel Kritik!

Es wurden große Schritte gemacht, Strukturen aufgebaut und viel Personal eingestellt. Die Digitalisierung hat einen riesigen Schub erfahren. Doch wir müssen besser darin werden, Daten zum Infektionsschutz zusammenzufügen und wissenschaftlich auszuwerten. Die Gesundheitsämter leisten eine große Arbeit, mit einer wissenschaftlichen Begleitung ist jedoch vieles mehr möglich. Um hier wirklich fit zu werden, wollen wir Uni und öffentlichen Gesundheitsdienst vernetzen. Wir brauchen aber auch eine Förderung der Gesundheitsämter durch den Bund, nur so können wir die wissenschaftlichen Kapazitäten ausbauen.

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Die Daten sind bislang nicht zusammengelaufen?

Die Daten laufen in den Gesundheitsämtern ein und auch dort zusammen. Allerdings fehlten Infrastruktur und wissenschaftliche Anbindung, um schnell auswerten und über Maßnahmen entscheiden zu können. Das müssen wir ändern. Der öffentliche Gesundheitsdienst hat sehr viele, sehr wertvolle Daten, die wir noch viel zu wenig nutzen.

Die Daten besser nutzen und auswerten für bessere Maßnahmen – ist das die Lehre aus der Covid-Pandemie?

Eine der Lehren aus der Pandemie ist, dass wir ein stärkeres Netzwerk zwischen öffentlichem Gesundheitsdienst auf allen Ebenen und Universitäten herstellen müssen. Zum einen, wie eben ausgeführt, diese Datenauswertung zu gewährleisten. Andererseits brauchen wir Leitlinien, die wir jetzt entwickeln wollen.

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Sie möchten also alles stärker auf eine wissenschaftliche Grundlage stellen?

Ganz genau. So können wir am besten sehen, welche Gesundheitsmaßnahmen in welchem Rahmen und in welchem Umfang sich am besten eignen, um Ausbrüche von Krankheitserregern einzudämmen. Wie wichtig sinnvolle Maßnahmen sind, haben wir ja alle selbst während der Pandemie erlebt.

Während der Covid-Pandemie wurde viel über Zoonosen geredet. Müssen wir mit einer neuen Pandemie rechnen?

Durch die zunehmende Globalisierung müssen wir damit rechnen, dass es mehr Austausch zwischen Menschen und Tieren gibt. Hinzu kommen noch ganz andere Herausforderungen, wie die weltweite Zunahme von Antibiotikaresistenzen. Beides kann dazu führen, dass neue, gefährliche Varianten von auch schon bestehenden Viren entstehen. Ja, es ist denkbar, dass es in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten noch einmal zu einer Pandemie oder zu größeren Epidemien kommt. Es gibt auf jeden Fall Erreger, die sich über die Jahrzehnte entweder verändert haben und jetzt gefährlicher sind, oder Erreger, die ganz neu entstanden sind. Covid-19 ist hier ein Beispiel. Um dem zu begegnen, braucht man eben ein gutes infektionsepidemiologisches Überwachungssystem in den Gesundheitsämtern, das gut mit Landes- und Bundesebene vernetzt ist.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Tiermedizin-Behörden?

Die Zusammenarbeit mit den veterinärmedizinischen Behörden läuft auf allen Ebenen. Wichtig ist es, Strukturen zu halten, auch außerhalb von großen Ausbrüchen. Aus dem Krisenmanagement der Covid-Pandemie müssen wir unsere Lehren ziehen. Was hat gut funktioniert? Wie rüsten wir uns für die nächste Pandemie und andere Ausbrüche von Erregern? Das passiert in den Behörden gerade sehr viel, wir als Wissenschaft unterstützen hier.

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Die Pandemie ist vorbei. Was sind aktuell die größten Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit?

Die größte Herausforderung ist der Fachkräftemangel. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist ja ein riesiges, multidisziplinäres Feld. Es geht um viel mehr als Infektionsschutz. Es geht um Schuleingangsuntersuchungen, zahnärztliche Vorsorge, Schwangerenberatung, den sozialpsychiatrischen Dienst, Gesundheitsförderung und Gesundheitsplanung. Wir brauchen junge engagierte Menschen, die Lust haben, Verantwortung zu übernehmen. Sie zu finden, wird uns in den nächsten Jahren sehr beschäftigen.  

Die nationale Hitzestrategie warnt vor dem Risiko durch Hitze. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr für die Bevölkerung ein?

Hitze ist ein riesiges Thema, mit dem sich auch das Dresdner Gesundheitsamt und andere Ressorts der Stadt beschäftigen. Dabei geht es um Klimafolgenanpassung insgesamt, inklusive Hochwasser und andere besondere Klimaereignisse. Hier wird ressortübergreifend gearbeitet, Umwelt, Stadtentwicklung und Grünflächen müssen ja mitgedacht werden. Gesundheitsversorgung wird nicht nur in einer Institution gelöst, es braucht gemeinsame Strategien. Wie können wir die Folgen des Klimawandels abmindern? Womit müssen wir rechnen? Welche Maßnahmen helfen? Auch hier gibt es bereits Ansätze zur gemeinsamen Begleitforschung.  

Können Sie konkrete Beispiele nennen?

Das Hitzehandbuch ist ein sehr gutes praktisches Beispiel. Es liefert praktische Tipps, wie sich beispielsweise die Wohnung kühl halten lässt. Exemplarisch für Gorbitz finden Bürgerinnen und Bürger konkrete Informationen, wo sie ihre Wasserflasche füllen und kühle Orte finden können. Doch neben den Handlungsempfehlungen sind auch hier strukturelle Maßnahmen wichtig, wie die Gestaltung von Plätzen und Wohnquartieren und das Pflanzen von Bäumen.

Dresden hat erstes Hitze-Handbuch Deutschlands vorgelegt. 2 min
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Sie sprachen über gesundheitliche Aufklärung bei Hitze. Doch es gibt auch Bluthochdruck, Alkoholismus, Aids oder schlechte Ernährung. Muss Gesundheitsvorsorge besser werden?

Es gibt viele Angebote der Prävention und Gesundheitsförderung. Neben Verhaltensempfehlungen geht es auch - wie bei Hitze - um strukturelle Maßnahmen. Wir dürfen nicht vergessen: Menschen in Armut und mit niedrigem sozialem Status haben ein viel höheres Risiko zu erkranken. Ihre Gesundheit ist im Durchschnitt viel schlechter. Sie sterben im Schnitt mehr als fünf Jahre früher als mit Menschen mit viel Geld. Um die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern, muss man auch Armut verringern, sowie den Zugang zu Bildung und die soziale Mobilität verbessern.

Was ist Ihre Vision für eine gute öffentliche Gesundheit?

Gesundheit ist mehr als die Summe aus Prävention, Gesundheitsförderung und Gesundheitsversorgung. Wir brauchen ein Mitdenken aus allen Politikbereichen. Viele Ämter machen sich gerade auf den Weg, Gesundheitsplanung und sogenannte Verhältnisprävention anzugehen, um bessere Verhältnisse insgesamt zu ermöglichen - auch das begleiten wir wissenschaftlich. Ich wünsche mir, dass wir die öffentliche Gesundheit durch gemeinsame Forschung stärker machen und auf wissenschaftliche solide Füße stellen.

8 Kommentare

kleiner.klaus77 vor 12 Stunden

Also die Erfahrung habe ich auch gemacht, denn mein örtliches Gesundheitsamt hat auch nur vor sich hingewurschtelt! Z.B als inzidenzzahlen wichtig waren hat sie die Anzahl der Neuinfizierten immer unterschiedlich gemeldet!

MDR-Team vor 3 Tagen

Hallo Dermbacherin,
derart pauschalisiert ist ihre Aussage falsch. Die Corona-Pandemie dauerte etwas mehr als drei Jahre. Dabei gab es Phasen, in denen die Kontaktnachverfolgung relativ gut klappte aber auch Phasen, in denen viele Gesundheitsämter überlastet waren und das System der Kontakt-Nachverfolgung in Deutschland weitgehend zusammengebrochen ist. Dies war vor allem während der vierten Wellen Ende 2021 der Fall. Anfang 2022 haben Bund und Länder beim Corona-Gipfel dann beschlossen, die allgemeine Kontaktnachverfolgung weitgehend aufzugeben. Die Gesundheitsämter sollten die Kontakte nur noch prioritär nachvollziehen. Die Bürger wurden dazu aufgerufen, eigenverantwortlich ihre Kontaktpersonen zu informieren und die verfügbaren elektronischen Hilfsmittel zur Kontaktnachvollziehung zu nutzen.
Freundliche Grüße vom MDR-WISSEN-Team

Dermbacher vor 4 Tagen

Würden Sie sich einmal mit einem Infektionsepidemiologen unterhalten, dann würden sie wissen, dass während der Corona-Pandemie in Deutschland die Kontaktnachverfolgung nicht möglich war

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