Werkzeuggürtel
Die Arbeit mit Werkzeugen und das Verstehen komplizierter Sätze beansprucht dieselbe Hirnregion. Bildrechte: colourbox.com

Werkzeuge und Sprache Warum gute Handwerker komplexe Sätze verstehen können

13. November 2021, 15:00 Uhr

Unsere Sprache und wie sie entstanden ist, gilt als hoch komplex. Umso überraschender ist ein Zusammenhang, den Forschende jetzt gefunden haben, denn der scheint eigentlich ganz einfach zu sein. Sie haben herausgefunden, dass die motorische Arbeit mit Werkzeugen unsere Sprachfähigkeiten – genauer gesagt das Bilden und Verstehen komplizierter Satzkonstruktionen – verbessert. Und anders herum funktioniert das offenbar ganz genauso. Aber wie kann das sein?

Es ist eine der am schwierigsten zu lernenden Sprachfähigkeiten, die Syntax komplexer Sätze zu verstehen – also den Aufbau und die Gliederung. Was beeinflusst also, ob wir das gut können oder ob wir bei komplizierten Satzkonstruktionen eher aussteigen? Forschende sind schon länger davon ausgegangen, dass für so eine komplexe Sache wie die Sprache ganze Gehirn-Netzwerke mobilisiert werden müssen. Bei den Forschungen dazu wurde 2019 ein interessantes Phänomen entdeckt: Es schien einen Zusammenhang zwischen besonders guter Werkzeugnutzung und guten syntaktischen Fähigkeiten zu geben.

Dieselben neuronalen Muster in den Basalganglien

Ein französisch-schwedisches Forschungsteam hat sich nun genau angeschaut, ob es da tatsächlich einen direkten Zusammenhang gibt und wie der entsteht. Sie konnten nachweisen, dass beide Fähigkeiten auf denselben neurologischen Prozessen beruhen, die sich auch in derselben Region unseres Gehirns befinden. Die Erkenntnisse hat das Team im Fachmagazin Science publiziert.

Die Forschung legte bereits nahe, dass Hirnareale, die bestimmte sprachliche Fähigkeiten wie die Verarbeitung von Wortbedeutungen steuern, auch an der Steuerung der Feinmotorik beteiligt sind, schreibt das Forschungsteam. Bisher haben die Bildgebungsverfahren aber keine Beweise für solche Verbindungen im Gehirn offenbart. Trotzdem habe viel für diesen Zusammenhang gesprochen: Die Paläo-Neurobiologie habe etwa gezeigt, dass die Gehirnregionen, die mit Sprache verbunden sind, sich bei unseren Vorfahren ausgerechnet dann besonders stark entwickelt hatten, wenn es einen "technologischen Boom" gegeben hatte – also dann, wenn Werkzeuge sich immer weiter verbreiteten.

Syntaxübungen und Arbeit mit der Zange im MRT

Bereits in einer früheren Untersuchung konnte ein Teil des französisch-schwedischen Forschungsteams zeigen, dass Menschen, die im Umgang mit Werkzeugen besonders geübt sind, im Allgemeinen auch besser mit den Feinheiten der schwedischen Syntax umgehen konnten. Also machten sie an dieser Stelle weiter: Das Forschungsteam entwickelte eine Reihe von Experimenten zur Verhaltensmessung, die sich auf bildgebende Verfahren stützten.

Symbolfoto eines MRT
Auf MRT-Bildern können Forscher die beanspruchte Hirnregion sehen. Bildrechte: imago images/Panthermedia

Genauer gesagt, schoben die Forschenden ihre Probandinnen und Probanden in einen Magnetresonanztomographen – kurz MRT. Dort sollten sie zum einen ein motorisches Training mit einer 30 Zentimeter langen Zange absolvieren und zum anderen Syntaxübungen in französischer Sprache. So konnte das Team die bei den Aufgaben aktiven Gehirnregionen beobachten und abgleichen, welche Gehirnnetzwerke bei beidem aktiv sind. Fündig geworden sind sie einer Hirnregion, die als Basalganglien bezeichnet wird.

Fähigkeiten beeinflussen sich gegenseitig

Nach dieser Entdeckungen ist den Forschenden eine Idee gekommen: Wenn diese beiden Fähigkeitstypen dieselben Gehirnressourcen verwenden, wäre es dann möglich, die eine Fähigkeit zu trainieren, um die andere zu verbessern? Verbessert also das motorische Training mit der mechanischen Zange das Verständnis von komplexen Satzkonstruktionen? Und tatsächlich: In einem zweiten Schritt konnten die Forschenden zeigen, dass das offenbar wirklich passiert.

Dieses Mal mussten die Probandinnen und Probanden jeweils 30 Minuten vor und nach dem motorischen Training mit der Zange eine Syntax-Verständnisaufgabe lösen. Nach der Arbeit mit der Zange sei dabei eine Leistungssteigerung bei den Syntax-Übungen festgestellt worden. Und auch umgekehrt funktioniere das, so das Forschungsteam: Trainierten die Probandinnen und Probanden ihre Fähigkeiten, komplexe Satzstrukturen zu verstehen, verbesserte sich auch die anschließende Arbeit mit dem Werkzeug.

Neue Möglichkeiten für die Sprachtherapie

Dieser Effekt bietet natürlich ganz neue Möglichkeiten: Das Forschungsteam entwickelt bereits Strategien, wie er therapeutisch genutzt werden könne, sagt Studienautor Claudio Brozzoli.

Wir erarbeiten derzeit Protokolle, die zur Unterstützung der Rehabilitation und Wiederherstellung der Sprachfähigkeiten von Patienten mit relativ erhaltenen motorischen Fähigkeiten eingesetzt werden könnten.

Claudio Brozzoli, INSERM (Institut national de la santé et de la recherche médicale)

Brozzoli glaubt, dass es auch bei unseren Vorfahren so gewesen sein könnte, dass die Fähigkeit, Werkzeuge zu benutzen, unser Gehirn grundlegend verändert haben könnte. Und sie "stellte kognitive Anforderungen, die möglicherweise zur Entstehung bestimmter Funktionen wie der Syntax geführt haben", schlussfolgert der Wissenschaftler. Nun könne man diesen Zusammenhang hoffentlich in der Rehabilitation von Patientinnen und Patienten nutzen, die einen Teil ihrer Sprachkenntnisse verloren haben.

(K)ein Test

Ob Sie damit auch herausbekommen, ob die Tischlerin oder der Klempner, die Sie gerade beauftragt haben, wirklich gut sind, darüber gibt die Studie keine Auskunft. Sie könnten es aber natürlich testen. Denken Sie sich einfach einen schön komplexen Satz aus. Wie zum Beispiel den hier: Wussten Sie, dass die Syntax nicht nur die in einer Sprache übliche Verbindung von Wörtern zu Wortgruppen, die korrekte Verknüpfung sprachlicher Einheiten im Satz bedeutet, sondern auch die Gesamtheit der Regeln, die innerhalb einer Programmiersprache zur exakten Formulierung eines Programms erforderlich sind?

(kie)

2 Kommentare

part am 13.11.2021

Nun gibt es ja bestellte oder unbestellte Handwerker, die warten mit vielfachen Satzkonstruktionen auf, aber ohne ein Messinstrument oder eine Zange zu benutzen. Allein der Gedanke daran mag wohl schon den Kostenvoranschlag plus auszuwechselnder Baugruppen in die Höhe treiben. Dabei geht es aber auch nicht nur um das Verstehen von komplexen Texten, sondern auch um das Gestalten, worin einige Berufsgruppen besonders erfinderisch sind, ohne je eine Zange oder Ähnliches je besessen zu haben, oder wer würde Politikern bis hin zu Immobilienmaklern handwerkliche Fähigkeiten zutrauen?

Anni22 am 13.11.2021

Dann sollte man Deutschkurse mit handwerklicher Arbeit verknüpfen.