Teasergrafik Altpapier vom 17. November 2020: Porträt Autor Christian Bartels
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Das Altpapier am 17. November 2020 Hinterm Hintergrund geht's weiter

17. November 2020, 10:45 Uhr

Hat das gute alte Hintergrundgespräch noch eine Zukunft? Jedenfalls macht die Bundesregierung prima Öffentlichkeitsarbeit. Das ältere Versprechen, auf Uploadfilter zu verzichten, wird sie allerdings kaum einhalten. Außerdem: frische medienpolitische Kuriosa aus Ir- und dem Saarland und scharfe Kritik an der "Tagesschau". Ein Altpapier von Christian Bartels.

Sind Hintergrundgespräche Öffentlichkeitsarbeit?

Wie schreibt die FAZ-Medienseite heute leicht genervt in ihrer Kurzmeldungs-Spalte?

"Weil ein Journalist des 'Tagesspiegels' partout herausfinden will, welche Kollegen 2016 an Hintergrundgesprächen des Bundeskanzleramts teilgenommen haben, wann genau diese stattfanden, wo man sich traf und um was es ging, könnte die Verabredung zu solchen Treffen schwieriger werden ..."

Parbleu, wer will denn das gute alte Hintergrundgespräch ruinieren? Regelmäßigere Leser dieser Kolumne ahnen: Das war wieder Jost Müller-Neuhof, der mit langem Atem seit Jahren (vgl. etwa dieses Altpapier aus dem Jahr 2019 oder dieses von 2018 mit weiter zurück führenden Links) genau daran arbeitet. Insofern stand die Exklusivmeldung vom jüngsten Berliner Verwaltungsgerichts-Urteil in so einer Sache im Tagesspiegel. Dort stellte Müller-Neuhof auch die Positionen gegenüber:

"Die Vertreter der Bundesregierung hatten in der Verhandlung zuvor ihre Ablehnung bekräftigt. Eine Stattgabe der Klage hätte das Ende solcher Gespräche zur Folge, die für die politische Willensbildung der Regierung jedoch unverzichtbar seien. Der Kanzlerin würde damit jegliche Möglichkeit genommen, bei der Amtsausübung vertrauliche Beziehungen zu Dritten zu unterhalten. Der Tagesspiegel verwies dagegen auf den Gleichbehandlungsgrundsatz der Verfassung, wonach Behörden verpflichtet seien, Medien bei der Vergabe amtlicher Informationen gleich zu behandeln ..."

Heute führt die Sache, die demnächst in die nächste Instanz gehen könnte, zur ungewöhnlichen Konstellation, dass ein rechtspolitischer Korrespondent einen anderen interviewt. Auf Fragen des Kollegen Christian Rath erläutert Müller-Neuhof in der taz seine Position. Er sagt z.B.:

"Was zwischen Staat und Medien im Hintergrund abläuft, gehört in den Vordergrund."

Dass man sich mit solchen Positionen nicht viele Freunde macht, weder in Regierungskreisen, noch unter Kollegen, liegt auf der Hand. Wobei guter Journalismus auch keineswegs das Ziel hat, überall (und besonders in Regierungskreisen) Freunde zu sammeln. Dieser Aspekt könnte, zumal im deutschen Hauptstadtjournalismus, in den vergangenen Jahren arg in den Hintergrund gerückt sein. Insofern gut, dass Jost Müller-Neuhof unbeirrt weitermacht. Was er in der taz noch sagt:

"Solche Hintergrundrunden sind Teil der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit. Im Prinzip sind es Pressekonferenzen."

Frische Meinungen zur "Besondere Helden"-Kampagne

Staatliche Öffentlichkeitsarbeit ... da ist die aktuelle Groko-Bundesregierung zweifellos bestens aufgestellt, nicht nur dank der guten Kontakte zum Fernsehen, in dem gut gecoachte Entscheidungsträger ja laufend auftreten. Außerdem gehört die "Besondere Helden"-Kampagne dazu, um die es gestern hier ging. Sie bleibt aufmersamkeitsstark im Fokus.

"Die Botschaft der Spots ist klar: Corona ist scheiße, aber nicht so scheiße wie das, was die Kriegsgenerationen durchgemacht haben",

schreibt Michalis Pantelouris in seiner uebermedien.de-Kolumne "Fußnoten" (und weist in einer Fußnoten unten drunter darauf hin, dass er mit einem der Eigentümer der beauftragten Werbeagentur, Joko Winterscheidt, "an anderer Stelle zusammenarbeitet"). Vor allem macht Pantelouris, was uebermedien.de sehr zuverlässig und regelmäßig macht: Springer kritisieren, und zwar, weil viele Springer-Mitarbeiter wegen der Kampagne machen, was Springer-Mitarbeiter zuverlässig und regelmäßig machen: kritisieren, was die Bundesregierung macht. Solch berechnete Aufregung zu erzeugen, ist ein wesentlicher Teil des Erfolgsrezepts der Kampagne, wie Klaus Raab gestern hier schrieb.

Es gibt es aber auch völlig andere Kritik an den Spots. In seinem salomonischen FAZ-Kommentar "Humorlockdown" zitiert Micha Hanfeld "einen Kommentator des kritischen Magazins 'Panorama'vom NDR". "Appell aus der Wohlstandsblase" heißt diese ebenfalls ausführliche Kampagnen-Kritik. Huch, Andrej Reisin vom "Tagesschau"-"Faktenfinder", dem niemand vorwerfen könnte, ideologisch nicht maximal gefestigt zu sein, in einem Boot mit Springer-Chefredakteuren wie Johannes Boie?

Das – so ambivalent zu schillern, dass sich auch die Zielgruppen interessieren, die bei den reflexhaft immerzu wogenden Battles abschalten, interessieren – dürfte der andere Teil des Erfolgsrezepts sein, mit dem Jokos und Klaas' Agentur das Bundespresseamt beim Pitch überzeugte. Etwas, das sowohl Reisin als auch viele Springer-Redakteure kritisieren, kann nicht ganz schlecht sein. (Und wer sonst noch zum Pitch eingeladen war und wer warum nicht, wird Jost Müller-Neuhof sicher bald in Erfahrung geklagt haben ...)

Sneak Preview: die kommende Upload-Filter-Debatte

Wer so exzellente Öffentlichkeitsarbeit leistet wie die aktuelle Bundesregierung, muss auch ein paar Politikfelder haben, auf denen er sich mit mittelguten oder noch bescheideneren Leistungen begnügt. Die Außen- und Europapolitik könnte dazu gehören, oder die Digital- und Netzpolitik.

Einen Vorgeschmack auf künftige Debatten gab Stefan Krempl für heise.de anhand einer Konferenz mit Experten mehrerer Bundestagsfraktionen zur  Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie. Gleich fällt der entspannte Tonfall auf, in dem Martin Rabanus von der SPD ("Die Angst, dass das Zensurmonster möglichst viel wegzensiert, ist Quatsch") und Ansgar Heveling von der CDU sich unterhielten. Einig war man sich offenrbar darin, dass das Versprechen, "Upload-Filter nach Möglichkeit zu verhindern", im Frühjar 2019 bloß in einer "hysterischen Situation" (Rabanus) bzw. einem "multiplen Druckumfeld" (Heveling) gegeben worden war, und dass es sowieso nicht eingehalten werden könne. "Es wird am Ende nur über Upload-Filter gehen", sagte der Jurist Axel Metzger.

Gespannt sein darf die Nische auf neue Diskussionen über die "'Bagatellschranke', mit der Inhalte-Schnipsel wie Meme in sozialen Medien lizenzfrei und vergütungspflichtig werden sollen". Sind 1000 Zeichen je Text zu viel? Ältere Mitbürger könnten sich ans Leistungsschutzrecht erinnern, das einst eine schwarz-gelber Bundesregierung kurz vor ihrer Abwahl in Gesetzesform goss – und das auch deswegen deswegen folgenfrei verpuffte, weil sich niemand mehr die Mühe gemacht hatte, zu definieren, was genau "Snippets" waren.

Wie gut, dass die breitere Öffentlichkeit vor lauter Corona- sowie gewiss auch Biden- und vielleicht noch Brexit-Diskussionen von all dem kaum etwas mitbekommen wird.

Irland wieder, das Saarland wieder (Medien-Föderalismus)

Föderalismus ist in vielen Bereichen sinnvoll. Auch in der Pandemie-Bekämpfung? Darüber lässt sich spannend diskutieren. Nicht sinnvoll ist er in der Medienpolitik, wenn es darum geht, immer größere, globale Konzerne regulieren zu wollen. Dennoch läuft das, was in Deutschland und in der EU an Medienpolitik getrieben wird, weiterhin hardcore-föderalistisch.

Immerhin herrscht insofern Gerechtigkeit, als dass Irland außer kalifornischen Datenkraken auch chinesische begünstigt. Zumindest freut Irlands Finanzminister sich über inzwischen 1.100 Arbeitsplätze, die Tiktok in Dublin geschaffen hat. Allerdings wolle der irische Datenschutz, der sich ja schon um Google, Facebook und Twitter so wenig wie möglich kümmert (und wegen des Herkunftsland-Prinzips daher zunehmend Ärger aus der ganzen Rest-EU bekommt), offenbar nicht auch noch für Tiktok zuständig werden, berichtet netzpolitik.org. Streit gebe es überdies im noch ziemlich unbekannten EU-föderalistischen Gremium "European Data Protection Board" ("Europäischer Datenschutzausschuss"/ EDPB):

"Verärgerung in Deutschland gibt es ... auch in einem irischen Verfahren gegen Twitter. Vor wenigen Tagen nutzte der Ausschuss aller Datenschutzbehörden erstmals ein neues Verfahren zu Streitbeilegung, um über eine Strafe wegen einem Datenleck bei Twitter zu entscheiden. Der Ausschuss stimmte mit Zweidrittelmehrheit für einen Vorschlag aus Irland, gegen die Stimmen deutscher Behörden. Welche Strafe Twitter nun erhalten soll, bleibt unklar. ... Im Verfahren habe die Behörde in Dublin zahlreiche Einwände aus Deutschland als 'nicht maßgeblich und begründet zurückgewiesen', klagt die national zuständige Hamburgische Datenschutzbehörde. In Hamburg wird nun laut über rechtliche Schritte gegen die Entscheidung des Europäischen Datenschutzausschusses im irischen Verfahren nachgedacht."

Immerhin ist deutscherseits Hamburg zuständig, und nicht das Saarland. Das Saarland ist Irland sozusagen im binnen-deutschen Medien-Föderalismus (bloß ohne dass Saarbrücken arbeitsplatzmäßig profitiert). Dass an der Saar "eklatant gegen das Gebot der Staatsferne" und damit gegen das Grundgesetz verstoßenwerde, urteilt nun auch der renommierte Medienrechtler Dieter Dörr in einem in Grünen-Auftrag erstellten Gutachten. Dabei geht es um die Besetzung des Chefposten der Landesmedienanstalt Saar (und nicht um den des Saarländischen Rundfunks, der gerade auch neu besetzt wird). Dörr schlägt vor, das Bundesverfassungsgericht einzuschalten. Und die SZ, die drüber berichtet, ergänzt gelassen, dass es im schwarzen Bayern und dem roten Rheinland-Pfalz ja auch trotz offiziell hinreichend unabhängiger Wahl-Gremien gelingt, verdiente Parteipolitiker auf den Chefposten der lokalen Medienanstalten zu bringen.

Heftige Kritik an der ARD-"Tagesschau"

Die 20.00 Uhr-"Tagesschau" vom vergangenen Sonntag eine bemerkenswerte Ausgabe, nicht allein, weil sie so ausführlich Eigenwerbung für die ARD-"Themenwoche: Wie wollen wir leben?" machte, dass man sich fragen konnte, ob das eher die Einschaltquoten der "Themenwoche"-Sendungen erhöht oder den Eindruck, dass die ARD wirklich verdammt viel Eigenwerbung in den eigenen Programmen betreibt ...

Anschließend folgte in derselben Sendung dann noch ein Nachbericht zum Fußball-Länderspiel im, was die Fernsehrechte angeht, sündhaft teuren UEFA-Wettbewerb namens "Nations League", der Holger Gertz erzürnte. Der keineswegs sehr scharfe Öffentlich-Rechtlichen-Kritiker (der ja häufig die auf die Sonntags-"Tagesschau" folgenden "Tatort"-Krimis mit viel Grundwohlwollen bespricht) schimpft heute auf der SZ-Medienseite darüber, wie ausführlich der "Tagesschau"-Bericht auf Leon Goretzkas Spielmacher-Qualitäten und wie wenig er auf die "unter Gesichtspunkten der grassierenden Corona-Pandemie irren Begleitumstände" des Spiels einging:

"Die Umstände, unter denen das Spiel stattfand, waren nachrichtlich relevant. Kein Wort davon am Sonntag in der Hauptnachrichtensendung des Deutschen Fernsehens. Wie wollen wir also leben? Mal entsprechend hoch eingehängt: Der BBC geht es gerade an den Kragen. Und weil öffentlich-rechtliches Fernsehen nicht mehr selbstverständlich ist, sollten diejenigen, die darin noch wirken dürfen, ihren Job machen, oder?"

Wobei man entschuldigend ergänzen könnte, dass der Fußball-Bericht ja auch bloß eine Art Eigenwerbung war, wie sie doch längst immerzu üblich ist. Zwar hatte die am Sonntag überflüssigerweise zusammengefasste Partie am Samstag das ZDF übertragen, doch die nächste zeigt unser Erstes – heute abend von 20.15 bis 23.30 Uhr (oder bis Mitternacht, wenn man den "Sportschau Club" dazu zählt) ...

Einen Kodex zur Kenntlichmachung und Begrenzung von Eigenwerbung in den eigenen Nachrichtensendungen könnten die Öffentlich-Rechtlichen ganz gut gebrauchen.


Altpapierkorb ("ARD-Personalities", Qualitätsmanagement, Ordnungskräfte-Bildaufnahmen, ZITIS, Lorenz Caffier, Dieter Nuhr & Alice Hasters)

+++ Der ARD ist nicht nur "wichtig, ARD-Personalities über alle Mediengattungen und Plattformen hinweg als ARD Köpfe und Stimmen zu positionieren" (wie eine Pressemitteilung wegen des neuen WDR-Spotify-Podcasts mit Sandra Maischberger schwadrojubiliert), sondern die Qualität ist es auch! Deshalb hat unser MDR "die neue Position eines Qualitätsmanagers" geschaffen (Medienkorrespondenz).

+++ In einem neuen französischen Gesetzesvorhaben ist ein "Verbot des Verbreitens von Bildaufnahmen von öffentlich intervenierenden, uniformierten Ordnungskräften" enthalten. Darüber wird heftig diskutiert, berichtet Rudolf Balmer in der taz.

+++ Die recht geheimnisumwitterte Bundesbehörde ZITIS/ "Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich" hat Jannis Brühl für die Süddeutsche besucht.

+++ Taz-Reporterin Christina Schmidt will sich im Gespräch mit Deutschlandfunks "@mediasres" nicht lange darüber aufregen, dass Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier die Antwort auf die Frage, die sie ihm monatelang vergeblich gestellt hatte, dann dem Spiegel gab, sondern behält das große Ganze ihrer "Nordkreuz"-Recherchen im Blick.

+++ Wer sich über irgendwas öffentlich aufregt, muss vielleicht nicht unbedingt immer das ganze Buch gelesen oder den Film komplett gesehen haben, aber etwas tiefer hinein geschaut sollte man schon haben. Das bewies Dieter Nuhr gerade anhand des Buchs "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten", das in den USA doch kein "Riesenrenner" war und nicht einmal aus dem Amerikanischen übersetzt, sondern von Geschenkpapier-Autorin Alice Hasters geschrieben wurde (Berliner Zeitung).

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.

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