Teasergrafik Altpapier vom 12. August 2021: Porträt Autorin Nora Frerichmann
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Das Altpapier am 12. August 2021 Scheitern an eigenen Regeln

12. August 2021, 14:18 Uhr

Facebook, TikTok & Co. halten sich nicht an die eigenen Standards, wenn es um antisemitische Hetze geht. Wann und wie sich das ändern könnte. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist außerdem weiteres Tauziehen um den Rundfunkbeitrag zu erwarten, zeigt ein Blick in den Entwurf des Koalitionsvertrags für Sachsen-Anhalt. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Frisurenwettbewerb der glatzköpfigen Tech-Konzerne

Ist es nicht verantwortungsvoll, unser aller Facebook?

Die unterste Schlagzeile ist die aktuellste. Sie bezieht sich auf eine mutmaßlich aus Russland orchestrierte Kampagne der Influencer Agentur Fazze, bei der vertrauenswürdige Online-Accounts mit großer Reichweite Desinformation zu Corona-Impfstoffen teilen sollten (mehr dazu bei Spiegel und Zeit). Facebook bezeichnet das in seinem neuesten Bericht über sogenanntes Coordinated Inauthentic Behaviour als "disinformation laundromat“ also als Waschmaschine für Desinformation. Nun seien in dem Zusammenhang 65 Konten auf Facebook selbst und 243 Konten bei der Tochterplattform Instagram gesperrt worden, hieß es aus Menlo Park.

Auch wenn sich der Social-Media-Riese mit solchen Meldungen immer wieder bemüht, sich verantwortungsvoll für die Meinungsbildungsprozesse auf seinen Plattformen zu zeigen und den Eindruck zu erwecken, man habe alles im Griff, zeigt sich aktuell auch mal wieder sehr deutlich die andere Seite der Facebook-Medaille.

Einen Aspekt, den Facebook und auch andere Plattformanbieter in ihren durch die eigene PR-Waschmaschinen gedrehten Berichten nicht aufführen, hat kürzlich das Center for Countering Digital Hate (CCDH) in London und Washington untersucht. Wenn es um Meldungen antisemitischer Hassposts und Hetze geht, reagieren die Plattformen kaum, ergibt ein aktueller Report des Centers. Bei Heise waren die Ergebnisse vergangene Woche schon Thema. Nun haben auch die Tagesschau und das Dlf-Medienmagazin "@mediasres“ den Report aufgegriffen.

Grundlage der Untersuchung waren 714 antisemitische Posts auf Facebook, Twitter, TikTok, Instagram und YouTube – keine grenzwertigen, diskutablen Inhalte, sondern klar hetzerische Beiträge zum Holocaust, übler Verunglimpfung und extremer Stereotypisierung, die gegen die eigenen Richtlinien der Plattformen verstoßen. Das CCDH meldete diese Posts mit den Reporting-Tools der jeweiligen Plattform und wertete aus, was im Zeitraum der darauffolgenden zwei Monate geschah.

Ergebnis: Nur 16 Prozent der gemeldeten Posts wurden in den zwei Monaten geahndet: sieben Prozent der Beiträge wurden gelöscht, bei 8,8 Prozent wurde der Account zusammen mit dem Post gelöscht und in 0,1 Prozent der Fälle blieb der Beitrag online und wurde als falsch gekennzeichnet. 84 Prozent der Beiträge blieben hingegen online, heißt es in dem Report. Diese Inhalte wurden im untersuchten Zeitraum 7,3 Millionen Mal abgerufen. Dem CEO des Centers, Imran Ahmed merkt man den Sarkasmus angesichts dieses Ergebnisses an. Bei "@mediasres“ sagte er:

"Wenn man wissen möchte, welches Unternehmen am besten mit diesen Inhalten umgeht, landet man bei einem Frisurenwettbewerb von fünf glatzköpfigen Männern. Alle haben schlecht abgeschnitten, aber am schlimmsten war Facebook.

Facebook reagierte auf 10,9 Prozent der gemeldeten Posts und ist damit das Schlusslicht. Youtube wurde mit 21,2 Prozent am häufigsten tätig. Instagram, TikTok und Twitter erlauben hingegen, dass antisemitische Posts unter Hashtags wie #holohoax, #fakejews, #jewishlies oder #killthejews erscheinen können. Bei der Tagesschau heißt es:

"Nur dort, wo es strenge Gesetze gegen antisemitische Hassbotschaften wie in Deutschland gebe, würden diese Einträge gelöscht. In den USA passiere das aber genau nicht, da ein Telekommunikationsgesetz aus dem Jahr 1996 die Silicon Valley Konzerne schütze, sagt der CCDH-Forscher. Damals gab es die großen Social-Media-Plattformen noch nicht. ‚Das Gesetz spricht die Unternehmen von jeglicher Verantwortung für die Inhalte Dritter frei. Ich glaube, hier werden wir bald Änderungen sehen‘, sagt Ahmed. Solange müssten die Plattformen keinerlei Konsequenzen fürchten.“

Im Anhang des Reports sind außerdem die eigenen Standards der Plattformen gegen Hate Speech und auch speziell antisemitischen Hass zusammengefasst. Und wenn wir uns an den vergangenen Oktober erinnern, ist das Ergebnis umso erstaunlicher. Bei Heise schrieb Stefan Krempl dazu:

"Dass gerade Facebook im Kern am schlechtesten abschneidet, überrascht. Konzernchef Mark Zuckerberg (…) hatte im Oktober nach langem Überlegen angekündigt, Holocaust-Leugnern auf dem Netzwerk keine Plattform mehr bieten zu wollen. Er verwies dabei auf Daten, die eine Zunahme antisemitischer Gewalt zeigten. Zuvor hatte Facebook bereits antisemitische Stereotype untersagt, die Juden kollektive Macht andichten und sie als Weltherrscher darstellen.“

Krempl hat außerdem die Reaktionen der Plattformen gebündelt. So kritisiert Facebook etwa, die Untersuchung berücksichtige nicht, dass 97 Prozent der gelöschten Hassposts auf der eigenen Plattform automatisiert gefunden und gelöscht würden, bevor Nutzerinnen und Nutzer sie wahrnehmen und melden können.

Dennoch bleiben tausende Hassnachrichten sichtbar. Ahmed verweist im erwähnten Tagesschau-Artikel außerdem auf die Auswirkungen des Online-Hasses in der Offline-Welt. Nicht nur  Juden seien hier Opfer von Attacken. Auch People of Colour oder Muslime würden angegriffen, erklärte er und nannte als Beispiel den Völkermord an den muslimischen Rohinga in Myanmar, der in sozialen Medien angestachelt wurde oder die Erstürmung des Kapitols in Washington im Januar durch Trump-Anhänger.

An welchen Stellen Facebook darüber hinaus zu wenig tut, wenn es um die Präsenz von rechtem Hass und Hetze auf der Plattform geht, haben BR, NDR und WDR kürzlich mit der Recherche #Hassmaschine gezeigt (siehe Altpapier).

Anstehendes Tauziehen um den Rundfunkbeitrag

Aber zurück nach Deutschland, genauer, nach Sachsen-Anhalt. Eine Woche nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Rundfunkbeitrag (siehe Altpapier Donnerstag, Freitag, Montag und Dienstag) zeigt sich, dass der nächste Anlauf zur Festsetzung des Betrags wohl nicht viel einfacher werden dürfte, als der zuletzt gescheiterte, den Karlsruhe nun zu Ende führen musste.

"Auch die neue Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt dringt auf Reformen bei Struktur, Auftrag und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stehe und falle nicht nur mit seinen Inhalten, sondern auch mit der Höhe des Rundfunkbeitrags“,

heißt es bei Redaktions Netzwerk Deutschland (via epd) mit Blick auf den Entwurf für einen schwarz-rot-gelben Koalitionsvertrag. Ab Seite 139 sind dort die Positionen und Pläne für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zusammengefasst. In dem Papier ist nicht mehr, wie im vorherigen, von "Beitragsstabilität“ die Rede.

"Ein sparsamer Mitteleinsatz, wie von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) gefordert, und Reformen beim Auftrag und in der Struktur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind hierfür die wichtigsten Voraussetzungen. Ziele dieses Prozesses sind, seine Funktionsfähigkeit und Akzeptanz in einem dynamischen Medienumfeld zu sichern und zugleich spürbare Effekte bei der Berechnung der künftigen Höhe des Rundfunkbeitrags zu ermöglichen.“

Wie diese "spürbaren Effekte“ genau aussehen sollen, steht dort nicht. Es scheint aber so, als sei nun klar, dass die Höhe des Beitrags an den Auftrag gekoppelt ist und ein einzelnes Bundesland nicht mal eben allein das dreistufige Verfahren zur Festsetzung des Beitrags sprengen kann. Kurze Erinnerung: Der Rundfunkbeitrag wird durch ein komplexes Verfahren bestimmt, in dem die Politik einen eingeschränkten Spielraum hat, damit über diesen Weg kein Druck auf die inhaltliche Gestaltung des Programms ausgeübt werden kann. Wenn es um den übergeordneten Programmauftrag der Öffentlich-Rechtlichen geht, haben die Parlamente aber die Möglichkeit, Anforderungen zu stellen, die weniger Geld voraussetzen.

Ein Indexmodell, mit dem der Beitrag an eine Inflationsrate gekoppelt würde und so nicht immer wieder auf‘s Neue von den Ländern festgesetzt werden müsste, "steht für uns nicht zur Diskussion und ist abzulehnen“, heißt es weiter. Außerdem wollen die Koalitionspartner ihre Entscheidung über die Empfehlung der KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten) zur Höhe des Beitrags laut Entwurf "im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 2021 in der Verantwortungsgemeinschaft mit den anderen Ländern treffen, gegebenenfalls auch im Hinblick auf eine Abweichung von der Empfehlung der KEF.“

Und was bedeutet das jetzt? Claudia Tieschky erklärt auf der Medienseite der Süddeutschen, warum sie eine weitere Blockade im nun wieder von vorne beginnenden Verfahren um den Runfunkbeitrag für möglich hält:

"Das klingt so, als bliebe Sachsen-Anhalt sich medienpolitisch treu - und keineswegs danach, als werde die zweite Runde für die Beitragserhöhung im Magdeburger Landtag einfacher als die erste - in die Richtung gingen auch bereits Haseloffs Worte nach dem Urteil: Er könne nicht garantieren, dass nicht noch mal eine Blockade komme, meinte er mit Blick auf den Umstand, dass die Landtage nach dem jetzigen Verfahren zwar über die Beitragserhöhung abstimmen, aber verfassungsrechtlich extrem wenig Spielraum für ein Nein haben.“

Beschlossen ist das alles noch nicht endgültig: Für den Koalitionsvertrag müssen die Parteimitglieder aber erst noch ihr Go geben. Bei der CDU und SPD sollen laut MDR noch diese Woche Mitgliederentscheide beginnen. Die FDP wolle bei einem Parteitag entscheiden, bevor Reiner Haseloff (CDU) am 16. September dann als Ministerpräsident wiedergewählt werden soll.

Altpapierkorb (Auslieferung von Assange, aktivistischer Journalismus, polnisches Mediengesetz verabschiedet, Georg Thiel)

+++ Nach einer Anhörung am Mittwoch in London ist nun klar: Die Berufung der USA gegen die Entscheidung, den Wikileaks-Gründer Julian Assange nicht in die USA auszuliefern, wird doch in allen fünf Punkten zugelassen, wie Lisa Hegemann bei der Zeit berichtet. Das betreffe auch "den zentralen Grund, warum Assange nicht ausgeliefert wurde: die Einschätzung des Psychiaters, Assange sei suizidgefährdet.“

+++ In der taz hält Frederic Valin ein Plädoyer für mehr aktivistischen Journalismus und führt Argumente auf, was in der Berichterstattung zur Corona-Pandemie aus diesem Blickwinkel hätte anders laufen sollen.

+++ Nachdem es erst so aussah, als würde das polnische Parlament die Abstimmung über das umstrittene Mediengesetz verschieben (Zeit), ist es laut Handelsblatt gestern doch noch mit einer knappen Mehrheit verabschiedet worden. Dort heißt es auch: "Gegner der Maßnahme sehen in ihr einen Versuch, gegen den regierungskritischen Sender TVN24 vorzugehen, der dem US-Konzern Discovery gehört. Die Vorlage geht nun an die zweite Kammer, dem Senat.“

+++ Fünf TV-Sender müssen nach Berichten über die Brände in der Türkei Strafen zahlen. Sie hätten Angst und Panik mit ihren Beiträgen verbreitet und seien beleidigend gegenüber der Regierung gewesen, berichtet die FAZ (via dpa) mit Verweis auf die Rundfunkbehörde des Landes (Rtük).

+++ Wer ist eigentlich dieser Typ, der jetzt seit Monaten wegen Rundfunkbeitragsschulden in Haft sitzt, obwohl er eigentlich recht einfach raus könnte? Simon Langemann hat Georg Thiel in der JVA Münster getroffen und versucht, das herauszufinden. Das Ergebnis steht in der Zeit (€).

+++ Zum Schluss noch zwei kulinarisch-mediale Themen: Wurstige Medien-Diskussionen seziert und glossiert Boris Rosenkranz bei Übermedien. +++ Und für die FAZ hat Andrea Diener sich die neue Netflix-Kochshow von Paris Hilton angeschaut (€, Blendle): "Im besten Fall schaut man "Cooking With Paris“ als Entspannungsvideo mit Comedy-Elementen. Zwar nicht das Essen, aber der ganze Rest fällt in die im Internet beliebte Kategorie "wholesome‘“, urteilt sie und geht darauf ein, was hinter der sorgsam aufgebauten Medienpersona der Millionenerbin steht.

Neues Altpapier gibt‘s wieder am Freitag.

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