Das Altpapier am 18. Juli 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Das Altpapier am 18. Juli 2022 Ein Imagefilm ist unter den "besten Dokuserien"

18. Juli 2022, 08:35 Uhr

Eine vom DFB mitfinanzierter Reihe wird in der ARD-Mediathek als Doku angepriesen. Die Kritik, die es dafür gibt, ist angebracht. Und: In die Diskussion über Nachrichtenüberfluss schaltet sich ein Hörer ein – und wünscht sich nicht weniger, sondern nachhaltigere Nachrichten. Ein Altpapier von Klaus Raab.

"Mann, ist das doof!"

Die arme Caren Miosga. Vor 15 Jahren fing sie als "Tagesthemen"-Moderatorin an. Und nun, bei ihrer für Samstag vorgesehenen Jubiläumssendung, fiel sie mit einer Corona-Infektion aus, wie allerhand Medien meldeten (exemplarisch ausgewählt: dwdl.de). Hören Sie hierzu die Meinung von Caren Miosga vom Norddeutschen Rundfunk: "Mann, ist das doof!"

Ja, bitter. Aber dafür, dass das 15-Jährige eh kein Jubiläum ist, zu dem sich irgendein Dorfbürgermeister sehen lassen würde, ist die Aufmerksamkeit so gering dann auch wieder nicht. Die "Süddeutsche Zeitung" hat Miosga zum Beispiel für die Wochenendausgabe sehr ausführlich interviewt. Das Interview ist, online zumindest, mit dem Zitat "Ich kriege Ausschlag bei Ausdrücken wie 'die Kuh vom Eis holen'" überschrieben. Und wir hätten da auch noch eine kleine Aufmerksamkeit: Zum Jubiläum haben wir einige weitere Journalismusphrasen der Marke "die Kuh vom Eis holen" in diesem Text versteckt. (Und ja, klar verkaufen wir damit unsere Seele an die Aufmerksamkeitsökonomie. Bleibt zu hoffen, dass wir’s nur ausnahmsweise tun.)

Nicht nachhaltig: die Frauenfußballbegeisterung

Einschaltquoten, ja Gottchen: Man darf sie nicht überschätzen. Aber 5,76 Millionen beim Europameisterschaftsspiel Deutschlands gegen Finnland, obwohl der Gruppensieg der deutschen Frauen vorher schon festgestanden hatte, und vor allem 8,02 Millionen beim Spiel gegen Spanien vergangene Woche – das war schon bemerkenswert. "Ein Wert, der 'Tatort'-Dimension hat", kommentiert Joachim Huber im "Tagesspiegel":

"In den Zahlen liegt ein Triumph – der Triumph des linearen Fernsehens. Film hin, 'Tagesschau' her, Serie bei Netflix, Drama bei Amazon, kaum erfassen die Kameras ein exklusives Live-Event, weiß das Publikum, was es auf seiner Fernbedienung einzustellen hat".

Aber er findet auch ein Haar in der Suppe: "Es hat schon etwas Scheinheiliges, wie die Moderatoren und Verantwortlichen der öffentlich-rechtlichen Sender die Großartigkeit des Fußballs der Frauen beschwören", denn "im Rest des Fernsehjahres wird dieser Sport so attraktiv gehalten wie eine Doku über dänische Madonnenmalerei", schreibt er. Treffer, versenkt, wie man beim "Schiffe-versenken" sagen würde. (Siehe zur Frauenfußball-EM in den Medien auch das Altpapier "Hört ihr ihn auch nicht, den Boom?" vom 6. Juli.) Denn es sieht völlig anders aus, wenn es um Männerfußball geht, der von Liga eins bis drei regelmäßig Platz im ARD- und ZDF-Sportprogramm hat. Spielen Männer, herrscht stets reges Treiben auf der Pressetribüne, damit man(n) auf dem Sofa zu Hause zum Fussi die Seele baumeln lassen kann.

Im "Spiegel" schreibt Udo Ludwig über Equal-Pay-Forderungen im Fußball:

"Profisport wie der Fußball ist Unterhaltung und Marktwirtschaft in Reinkultur. (…) Auch der Frauenfußball wird seit Jahren kommerziell betrieben. Er unterliegt damit ebenfalls den Gesetzen der Unterhaltungsindustrie: Verteilt wird, was der Markt hergibt. (…) Für die Vergütung zählt allein, wie attraktiv Zuschauer und Zuschauerinnen die Show finden – wem sie ihre Aufmerksamkeit schenken."

Allerdings muss man dann auch fragen, wie Zuschauerinnen und Zuschauer ihre Aufmerksamkeit Shows schenken könnten, die gar nicht zu sehen sind.

Eine andere "Spiegel"-Redakteurin, Valerie Höhne, hat kürzlich kritisiert, dass sie nach jedem Sieg einer Männernationalmannschaft bei einem Turnier mehrere Eilmeldungen auf dem Handy habe, nach Siegen der Frauen aber keine einzige. Nach dem Spiel der Frauen gegen Finnland habe sich das nun geändert, schreibt sie. Die Kritik aber, dass die bei Turnieren aufkommende mediale Begeisterung für Frauenfußball nicht nachhaltig ist, sondern wieder so schnell verglüht "wie eine Silvesterrakete" (Joachim Huber): Bei der bleibt es. Bis sie widerlegt ist.

Zu den "besten Dokuserien" der ARD gehört: ein Imagefilm

Immerhin, könnte man sagen: Das Eichhörnchen nährt sich mühsam, aber es nährt sich. Denn nach Serien über Juventus Turin, Manchester City, Borussia Dortmund, Bayern München und andere sehr berühmte Männerfußballteams, die bei internationalen Streamingdiensten zu sehen sind, wird zur laufenden Europameisterschaft auch die "weltweit erste serielle Frauen-Dokumentation" gezeigt. Zumindest wird die dreiteilige Reihe "Born for this – mehr als Fußball" in der ARD-Mediathek so angepriesen. Im Vergleich mit den Vorreitern entdeckt Frederik von Castell bei "Übermedien" auch eine ähnliche Herangehensweise:

"Hochglanz-Ästhetik, Showdown-orientierter Aufbau, viel dramatische und heroisierende Musik, zwischendrin mehr oder weniger deepe Interviews mit den Spielerinnen und Betreuer:innen".

Und gewiss ist das ein Schritt, den Frauenfußball präsenter zu machen, wenn auch nicht gleich so präsent wie den Männerwahnsinn. Zumal die Serie offenbar angenommen wird: "Natürlich findet so ein Imagefilm sein Publikum. 1,68 Mio Menschen haben die erste Folge am Dienstag ab 23:15 Uhr im Ersten gesehen. Das ist viel. Und schafft eine Daseinsberechtigung", schreibt von Castell, aber…

"Aber nicht in der ARD. Auch nicht als Lizenzeinkauf. Aber vor allem nicht ohne jede Transparenz – gerade beim DFB, der doch mindestens so häufig als Partner des Ersten (Länderspiele, DFB-Pokal) daherkommt, wie als Gegenstand kritischer Berichterstattung. Was kommt denn da als nächstes? Eine Doku über Philipp Amthor, in Auftrag gegeben von der CDU?"

Denn "Born for this" ist, ganz offensichtlich, keine Dokuserie, auch wenn sie in der ARD-Mediathek tatsächlich unter "Unsere besten Dokuserien" steht und sich Zuschauer sehr schwer damit tun dürften, herauszufinden, wer in der Produktion die Hosen anhatte. Sondern eben tatsächlich: ein Imagefilm. Oliver Bierhoff vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) sagte darüber, es gebe ja jetzt "jetzt ne dolle Doku, die wir übrigens auch finanziert haben". Und auf den Seiten des DFB steht Ähnliches: "Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) dreht zusammen mit der Filmproduktionsgesellschaft Warner Bros. ITVP Deutschland seit mehr als einem Jahr die erste serielle Frauenfußball-Doku über eine Nationalmannschaft fürs TV weltweit."

Solche engen Kooperationen sind in diesem Markt zwar auch nicht neu. Der FC Bayern München vermeldete vergangenes Jahr zum Beispiel, dass er die "Dokumentation" über den Verein "gemeinsam mit W&B Television für Amazon Prime Video" produziert habe. Von uns gab’s auch damals schon einen kleinen Anpfiff für die Reihe. Der Unterschied war nur, dass die Bayern-Imagedoku wenigstens nicht in der ARD lief. Anders eben als "Born for this" – eine angekaufte Reihe, in der man immer wieder über die Logos von Adidas und VW stolpert; von zwei Unternehmen, die Teile der Produktionskosten übernommen haben sollen, wie Frederik von Castell seinem Artikel zufolge beim DFB recherchiert hat.

ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky wird in einer Pressemitteilung zitiert: "Kooperationen bei solchen Projekten wie auch im gesamten Sport sind zur Finanzierung erforderlich". Mehr Transparenz scheint ARD-seitig aber bislang nicht drin zu sein; im 120-sekündigen Anspann jedenfalls gibt es keine Klarheit darüber, in wessen Auftrag und mit wessen Geld diese Reihe produziert wurde. Sehr offen wird dafür, wie gesagt, die Einschätzung der ARD kommuniziert, es sei eine ihrer "besten Dokuserien". Eine Debatte innerhalb der ARD wäre angebracht: darüber, ob man das wirklich in Ordnung findet.

Nachhaltige Nachrichten

Worüber hat sich der RTL-Moderator Daniel Fischer in den Medien zuletzt geärgert? Das wollte der "Tagesspiegel" für seine Wochenendrubrik von ihm wissen. Fischer antwortet: über Jahrestagsjournalismus, etwa zur Flutkatastrophe im Ahrtal. Wobei, eigentlich hat er sich nicht darüber geärgert, dass anlässlich des ersten Jahrestags berichtet wurde. Sondern über das Ungleichgewichtheit und die Ritualisiertheit; darüber, dass sonst nicht ausreichend berichtet werde, nun aber mit dieser sonderbaren Wucht, die aus medialen Konventionen erwachsen kann:

"Es war richtig zu berichten, wie die Situation jetzt vor Ort ist, aber brauchen wir dafür immer erst den Jahrestag zum Anlass? Plötzlich berichten alle und als Nutzer wirst du erschlagen von diesem Thema. (…) Nach meinem Empfinden wäre es viel wichtiger, gerade für das Ahrtal, regelmäßig über die Probleme und Herausforderungen vor Ort zu berichten."

so Fischer. Er ist an diesem Wochenende nicht der einzige gewesen, der das so oder so ähnlich formuliert hat. Am Samstag sprach DLF-Medienredakteur Christoph Sterz mit einem Hörer, Klaus Jans, sowie senderinternen und -externen Fachleuten über die Frage, ob Nachrichten nicht nachhaltiger sein könnten. Das ist es, was Jans sich wünschte: dass man nach der Meldung, dass es in Brandenburg Waldbrände gebe, auch im selben Programm erfahre, wie es weiter- oder ausgegangen sei – und nicht erst zum Jahrestag.

Es gab in den vergangenen Tagen und Wochen vermehrt Berichterstattung über Nachrichtenkonsum. Dem Reuters Institute Digital-Report zufolge nimmt das Interesse daran ab (Altpapier). In der "Washington Post" schrieb Amanda Ripley einen unter Journalistinnen und Journalisten viel beachteten Text darüber, dass sie keine Nachrichten mehr lese, und fragte sich, ob sie das Problem sei oder das Produkt. Was der Hörer des Deutschlandfunks vorschlägt, ist dagegen: mehr Nachrichten. Nur eben richtig. (Und wer weiß, vielleicht sind die genannten Bedürfnisse nach mehr und nach weniger Nachrichten enger miteinander verwandt, als man zunächst denken würde.)

Seitens der Nachrichtenfachleute gab es eine gewisse Skepsis: Wenn es in einer Redaktion eine Vereinbarung gebe, dass man jeder veröffentlichten Agenturnachricht noch einmal hinterher recherchieren müssen, könnte das dazu führen, dass nicht zwingende Meldungen in der Praxis lieber gar nicht erst gebracht würden. Ein valider Punkt.

Allerdings rannte Klaus Jans offene Türen mit der Idee ein, ein regelmäßiges Format aufzusetzen, in dem es Follow-ups zu veröffentlichten Nachrichten gebe. Man vereinbarte, sich in einem Jahr wieder zu sprechen. Zum Jahrestag also, wie der Hörer sagte.


Altpapierkorb (RBB, ZDF-Fernsehrat, Twitter, Ahrtal-Radios, Nord-Stream-1-Berichterstattung)

+++ Nachdem Wolf-Dieter Wolf, der Vorsitzende des RBB-Verwaltungsrats, zuletzt noch nicht bereit zu sein schien, "seine Ämter bis zum Abschluss der Prüfung ruhen" zu lassen, tut er das nun doch. Das berichtet der "Tagesspiegel", der an den Vorgängen im Rundfunk Berlin-Brandenburg dran bleibt. Es geht um Vorwürfe gegen Wolf, aber auch gegen Intendantin Patricia Schlesinger (Altpapier). "Einige davon betreffen den Bau des Digitalen Medienhauses des RBB. Wolf wurde vorgeworfen, dass bei der Beauftragung von Beratern persönliche Kontakte eine Rolle gespielt haben sollen", so der "Tagesspiegel". Für Wolf sei "die Luft zuletzt immer dünner geworden".

+++ Ein Amt ruhen zu lassen, bis die Prüfung der Vorwürfe abgeschlossen ist, bedeutet zunächst einmal nur, dass geprüft wird. Dass diese Prüfung allerdings "lückenlos" sein müsse, ist die nun erhobene Forderung des RBB-Rundfunkrats. Darüber berichten auch meedia.de oder faz.net.

+++ Wie es in einem Rundfunkrat zugeht (der beim ZDF Fernsehrat heißt und nicht mit dem Verwaltungsrat zu verwechseln ist), darüber hat Bendix Lippe in einem Kommentar bei dwdl.de geschrieben, nun, da er als jüngstes Mitglied ausscheidet: "Der Einfluss, den Fernsehräte auf das Programm nehmen können, ist wichtig: Wir sollen die demokratische Kontrolle eines Rundfunks sein, der uns allen gehört. (…) Gleichzeitig bin ich besorgt über die Zukunft des Gremiums und des Senders. Vieles muss sich ändern, damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk in 20 oder 30 Jahren überhaupt noch existiert. Für mich besteht kein Zweifel: Nur, wenn junge Menschen in diesen Prozess eingebunden werden, kann das funktionieren."

+++ Über den vorerst abgeblasenen Twitterkauf durch Elon Musk schreibt eine der neuen Kolumnistinnen der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", Berit Glanz: "Dass Musk Twitter nun nicht mehr kaufen will, ist nach der ersten Erleichterung für die Nutzer vermutlich doch nicht so bedeutsam. Wichtiger ist das bei vielen geweckte Bewusstsein, dass die eigene Zeit auf der Plattform für deren Erfolg gewichtig ist."

+++ Bei "@mediasres" vom Deutschlandfunks ging es darum, wie sich ein Jahr nach der Flut die lokalen Radiosender neu aufgestellt haben.

+++ Mehr von den Nachrichten: Stefan Niggemeier kritisiert im "Übermedien"-Newsletter "seltsame Medieneffekte", wenn es um Nord Stream 1 geht: "Am Montag machten alle großen Nachrichtensendungen mit Nord Stream 1 auf. Einen im eigentlichen Sinne nachrichtlichen Grund gab es nicht dafür, das Thema an diesem Tag als wichtigste Meldung zu behandeln. Denn dass der Gashahn zur Wartung zugedreht werden würde, stand ja vorher schon fest und war auch ausführlich berichtet worden. (…) Dass das Thema wichtig ist, steht außer Frage. Aber es zu diesem Stichtag in dieser Form noch einmal zu behandeln, hatte vor allem einen Nervenkitzel-Effekt: Uuuuh, jetzt geht's also los. Schwierig."

+++ Die rote Laterne hat hier heute die Liste der sprachlichen Albernheiten, die in dieser Kolumne versteckt sind: "Bleibt zu hoffen", "ein Haar in der Suppe finden", "Es herrscht reges Treiben", "man(n)", "Seele baumeln lassen", "Mühsam nährt sich das Eichhörnchen", "Die Hosen anhaben", "offene Türen einrennen", "die Luft wird dünner" und "die rote Laterne haben". Außerdem gibt es womöglich weitere, die selbstverständlich ebenfalls alle beabsichtigt waren.

Neues Altpapier gibt es am Dienstag.

0 Kommentare

Mehr vom Altpapier

Kontakt