Kolumne: Das Altpapier am 20. August 2024: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens 6 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Russische Medien preisen Sahra Wagenknecht. "Die Partei" gewinnt vor Gericht gegen den MDR. Die ARD- Aktion "#KINDERstören" löst teilweise plumpe Reaktionen aus.

Di 20.08.2024 13:28Uhr 06:00 min

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Kolumne: Das Altpapier am 20. August 2024 Die historischen Vorarbeiten für den AfD-Erfolg

20. August 2024, 12:43 Uhr

Russische Medien preisen Sahra Wagenknecht. "Die Partei" gewinnt vor Gericht gegen den MDR. Die ARD- Aktion "#KINDERstören" löst teilweise plumpe Reaktionen aus. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Deutscher Medienstar in Russland gefeiert

Angesichts dessen, dass es keine zwei Wochen mehr hin ist, bis in Sachsen und Thüringen gewählt wird, blicken wir heute zu einem wesentlichen Teil auf Beiträge, die sich auf die Wahlen beziehen oder aus diesem Anlass entstanden sind.

Yelizaveta Landenberger zum Beispiel hat sich fürs FAZ-Feuilleton angeschaut, wie russische Medien über Politiker des BSW berichten, das nach Lage der Dinge in Thüringen mitregieren oder eine AfD-Minderheitsregierung tolerieren könnte (siehe dazu diesen "Kontraste"-Beitrag von vergangenem Donnerstag).

Unter der Überschrift "Russlands Propaganda liebt Sahra Wagenknecht" schreibt Landenberger:

"Die wichtigste russische Nachrichtenagentur Tass berichtet ständig über Wagenknecht. Die Schlagzeilen lauten: 'Bundestagsabgeordnete (Wagenknecht) nennt Entscheidung der Scholz-Partei für die US-Raketenstationierung fatal', 'Bundestag fordert Deutschland auf, Geld für Infrastruktur und nicht für die Ukraine auszugeben', "Die deutsche Politikerin Wagenknecht sagte, selbst die Generäle der ukrainischen Streitkräfte glaubten nicht an einen Sieg Kiews' – und so weiter. Auch die Zeitung 'Kommersant' nannte Wagenknecht den 'neuen Star der deutschen Politik' deren Beliebtheitswerte die des Bundeskanzlers überstiegen. Russische Medien bauen von Wagenknecht das Image einer vernünftigen Stimme des Volkes gegen den Kanzler auf, der Deutschland an die USA verkauft habe (…) Auch andere Politiker von Wagenknechts Partei BSW werden gerne von russischen Medien zitiert, etwa die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen."

Natürlich ist es wichtig, das aufzugreifen, aber es wäre auch ganz nice, wenn in den letzten Tagen vor den Wahlen noch mal jemand ausführlich darüber reflektierte, dass auch die deutschen Medien Sahra Wagenknecht lieben, wenn auch auf andere Weise als die russischen. Um es zu präzisieren: Das BSW ist "de facto eine Schöpfung der Medien" (Altpapier) bzw. eine Partei, "der schon Zeitungsseite um Zeitungsseite gewidmet wurde, bevor sie überhaupt gegründet worden war" (Klaus Raab in einem weiteren Altpapier). Ihre bisherigen Umfrage-Erfolge wurden letztlich herbei geschrieben und herbei gesendet.

Werbespot der "Partei" in Sachsen keine Aufforderung zu einer Straftat

Am Freitag kursierte noch die Meldung, dass der MDR (siehe zum Beispiel dwdl.de) einen Wahlwerbespot der Partei "Die Partei" abgelehnt habe. Am selben Tag entschied allerdings das Verwaltungsgericht, dass der Sender diesen ausstrahlen müsse.

"Beck aktuell", ein Portal des Sachbuchverlags C.H. Beck, ging am Montag auf die Entscheidung ein. Das Portal beschreibt erst einmal ausführlich den Spot selbst:

"In dem als 'Hörspiel' verfassten Radiospot zur sächsischen Landtagswahl hört ein Paar im Radio, dass die neue sächsische Regierung vereidigt worden ist. Der Mann reagiert mit den Worten: 'De AfD ham'se vereidischt. Die Faschisden sind wieder anner Macht.' Daraufhin sucht das Paar in dem Spot nach einer Waffe und erschießt zunächst zwei Bekannte, die AfD wählen. Dann schießt der Mann auf weitere, nicht näher bezeichnete und ihm offensichtlich auch nicht bekannte Personen mit den Worten, dass es bei 50% Zustimmung für die AfD schon die richtigen treffen werde. Dem stimmt die Ehefrau mit 'Nunu!' zu. Der Spot endet mit den Worten: 'Bevor es zu spät ist: Wählen Sie die PARTEI.'"

Das Verwaltungsgericht, so "Beck aktuell" weiter, sehe darin

"keinen evidenten und ins Gewicht fallenden Verstoß gegen allgemeine Normen des Strafrechts – nur dann aber könnte eine Rundfunkanstalt die Ausstrahlung verweigern (…) Für ein strafbares öffentliches Auffordern zu einer Straftat (§ 111 Abs. 1 StGB) – hier: das Erschießen von AfD-Wählern – fehlt es den Richtern und Richterinnen an der erforderlichen Ernstlichkeit: Das Geschehen sei satirisch stark überzeichnet. Fest macht das VG das insbesondere an der deutlichen Überreaktion der Protagonisten auf die Nachricht der Vereidigung der neuen Regierung, den geäußerten Beleidigungen und dem starken Dialekt der Sprecher".

Dass ein Verwaltungsgericht mehr Satire-Kompetenz hat als ein öffentlich-rechtlicher Sender, ist bezeichnend.

Als Rechtsextreme sich noch gern interviewen ließen

Am späten Sonntagabend strahlte das ZDF die "Spiegel TV"-Dokumentation "Im Osten ganz rechts – Von den Skinheads zur AfD" aus. Deren Titel gibt, so banal das klingen mag, den Inhalt des Films relativ gut wieder. Die Dokumentation geht auf die Wurzeln des AfD-Erfolgs ein: Sie rekapituliert die Geschichte des Neonazismus und des Rechtsextremismus in der DDR und im Nach-Wende-Ostdeutschland, zeigt auf, wie rechtsextreme Strategen aus dem Westen ab 1990 den Lauf der Dinge beeinflussten, und ruft kaum noch präsente rassistische Tötungstaten in Erinnerung. Das reichhaltige Archivmaterial aus relativ glorreichen "Spiegel TV"-Magazin-Tagen erinnert auch an Zeiten, als die Bereitschaft rechtsextremer Politiker und Normalbürger, sich von etablierten Medien interviewen oder bei Veranstaltungen filmen zu lassen, wesentlich größer war als heute.

Eine besonders wichtige Passage kommt gleich zu Beginn des Films (Time Code: 2:25), als der Leipziger Sozialpsychologe Oliver Decker - in dieser Kolumne bisher einmal namentlich erwähnt, aber als Mitautor von Studien auch mal implizit vorkommend (hier und hier) - Folgendes sagt:

"Wir sehen, dass es einen relativ stabilen Anteil in der Bevölkerung gibt, die die rechtsextremen Ideologien teilen. Das sind immer um die 30 Prozent. Momentan gelingt es der AfD, einer extrem rechten und in Teilen neonazistischen Partei, sehr gut, diese Stimmen für sich zu mobilisieren. Dabei profitiert sie aber sehr deutlich von den Vorarbeiten (von) NPD und DVU, die unmittelbar in den 90er Jahren ansetzt."

Mit anderen Worten: In der Debatte über Rechtsextremismus sollten wir mehr über die Einstellung von Wählern reden und nicht nur über deren Abstimmungsverhalten.

Ein Kommentar, den man sich von einem deutschen Medium wünschte

Wie man über Rechtsextremismus und die Lügen, auf denen er basiert, schreiben sollte, zeigt eindrucksvoll die im Sudan geborene Autorin Nesrine Malik im "Guardian".

Welchen Anteil die britischen Medien an den rassistischen Krawallen der vergangenen Wochen haben, war hier vor rund zwei Wochen bereits anhand eines "Guardian"-Kommentars ein Thema. In einem weiteren dortigen Meinungsbeitrag kritisiert Malik die Medien in diesem Zusammenhang nun ebenfalls - vor allem aber die Reaktionen des britischen Regierungschefs Keir Starmer. Ihr Kommentar ist auch bemerkenswert, weil es nicht vorstellbar ist, dass in einem vergleichbaren deutschen Medium etwas Vergleichbares erscheint - ein Grund dafür, dass ich den Text im Folgenden recht ausführlich zitiere. Malik schreibt in Richtung Starmer:

"Die einzigen Antworten, die wir erhalten haben, behandeln das Problem als eines der Sicherheit, einer lästigen Minderheit, die das Land 'nicht repräsentiert', und die durch ein hartes Vorgehen der Sicherheitskräfte und Gefängnisstrafen ausgemerzt werden soll."

Aber:

"Diese Minderheit spiegelt die jahrzehntelange rassistische, islamfeindliche und einwanderungsfeindliche Rhetorik und Politik wider, die von Teilen der rechten Medien, der konservativen Partei und der Labour-Partei selbst verbreitet wurde, und stützt sich darauf. Diese Jahre werden nicht durch ein polizeiliches Durchgreifen beiseite gewischt werden können. Und, was noch wichtiger ist, ihr Erbe wird nicht abgebaut werden, ohne dass ihre Narrative aufgegriffen und konfrontiert werden."

Die Frage "Was sollte Keir Starmer jetzt tun?" stehe "seit dem Ausbruch der Gewalt" auf der Agenda, schreibt Malik. Und weiter:

"Die Dinge, die er sagen sollte, liegen auf der Hand, aber er wird sie nicht sagen. Was er sagen sollte, ist, dass die Einwanderung nicht 'außer Kontrolle' ist. Dass wir tatsächlich die Kontrolle über unsere Grenzen haben (…) Dass wir in der Tat viele (Migranten) einladen, um Lücken in unserem Gesundheits- und Pflegesektor zu füllen, und dass diejenigen, die als Studenten oder zur Arbeit im privaten Sektor kommen, hohe Gebühren für die Aufenthaltsgenehmigung zahlen."

Die zentrale Passage lautet:

"Er wird dies nicht sagen, denn es ist wichtig, die Illusion aufrechtzuerhalten, dass die Einwanderung etwas ist, das eine Regierung vollständig 'kontrollieren' kann und das nicht der wirtschaftlichen Dynamik und den Bedürfnissen der öffentlichen Infrastruktur unterworfen ist. Wenn diese Illusion zerstört wird, ist es für eine Regierung schwierig, sich selbst als 'Lösung' für das Problem eines Landes darzustellen (…)"

Was Starmer, so Malik auch, sagen sollte:

"Dass die Menschen mit Lügen gefüttert wurden. Dass er uns endlich die Wahrheit sagen wird. Dass die Einwanderung nicht für die Wohnungskrise (…) verantwortlich ist. Dass Asylbewerber, die in einem Hotel untergebracht sind, nicht der Grund dafür sind, dass Ihre Straßen leer stehen, Ihre Industrien eingemottet sind, Ihre öffentlichen Räume verbrannt sind, Ihre Gemeinden bankrott sind."

Forderungen und Beschreibungen, die natürlich auch auf Deutschland zutreffen, die man, wie gesagt, hier in einem reichweitenstarken Medium aber eher nicht lesen wird. Die Formulierung "öffentliche Räume verbrannt" lautet, das nur zum vielleicht besseren Verständnis, im Original "public spaces scorched". Das bezieht sich auf die Redensart von der "verbrannten Erde" ("scorched earth").

Malik kritisiert dann auch noch "an almost total failure by the media and politicians to humanise asylum seekers, makes pointing out their needs and real numbers forbidden". Eine Humanisierung des deutschen Journalismus im hier beschriebenen Sinne wäre wünschenswert, aber Ansätze dafür sind derzeit kaum zu erkennen.

Aktivismus-Keule gegen Kebekus

Unter dem Motto "#KINDERstören" stand Sonntag vor dem "Tatort" eine unerwartete Aktion im Ersten Programm der ARD.

"Für das wichtige Thema Kinderrechte kaperte Comedienne Carolin Kebekus (…) den prominentesten Sendeplatz im Ersten",

Thore Rausch ("Süddeutsche Zeitung") gefiel die rund 15-minütige Sendung überhaupt nicht:

"Kebekus argumentiert in der Sendung, die Lobby für Kinder sei eben zu klein, und das mag sein, doch im öffentlich-rechtlichen Auftrag der ARD ist von Lobbyarbeit eigentlich keine Rede. So bleibt #KINDERstören unterm Strich Aktivismus. Beim Privatsender Pro Sieben nutzten Joko und Klaas in den vergangenen Jahren in ähnlichem Format Sendezeit, um etwa über Obdachlosigkeit, Rechtsextremismus oder Seenotrettung zu sprechen. Offen bleibt, ob sich das Konzept einfach so ins öffentlich-rechtliche Fernsehen übertragen lässt – und wo die Grenze im Einsatz für die gute Sache liegt."

Ich fand die Sendung eigentlich eher mittelgut, aber dass sie jemanden dazu bringt, auf so altväterliche Weise die Aktivismus-Keule auszupacken und auf kleinkrämerischste Art über vermeintliche Regelverletzungen zu sinnieren, ist ein Indiz dafür, dass "#KINDERstören" besser gelungen ist, als ich zunächst dachte.

Substanzieller als der SZ-Artikel ist die Rezension von Katrin Hörnlein bei Zeit Online:

"Was Kebekus in ihren Moderationen ansprach und was den Kindern in den Einspielfilmen in den Mund gelegt wurde, ist wichtig und hätte längst viel größer und breiter in der Öffentlichkeit diskutiert werden sollen: Kinderarmut; fehlende Kitaplätze, von frühkindlicher Bildung ganz zu schweigen."

Und, ganz generell:

"Wenn die ARD um 20.15 Uhr ihr Programm unterbricht, um 15 Minuten lang auf die Rechte und Probleme von Kindern in Deutschland aufmerksam zu machen, kann man das durchaus sensationell nennen."

Hörnlein kritisiert die Überraschungs-Sendung aber auch stark:

"Gar nicht witzig ist, dass Kinder in Deutschland noch im Jahr 2024 vor Fernsehkameras gezerrt werden, um sich für Erwachsene zum Affen zu machen, wenn es doch eigentlich darum gehen soll, ihre Rechte zu stärken. Augenscheinlich hat der ausführende WDR viel Zeit und Geld investiert, um die verschiedenen Einspieler in Kooperation mit der ARD-Programmdirektion und der Kölner Produktionsfirma bildundtonfabrik zu verwirklichen. Die darin auftretenden Kinder waren jedoch nicht in die Inszenierung eingebunden, wie der WDR auf Nachfrage von ZEIT ONLINE bestätigte. Wie Marionetten vor falscher Kulisse wirkten sie mit ihren Texten, die von erwachsenen Gagschreibern geskriptet wurden."

Diese Kritik geht insofern in die falsche Richtung, als sie außer Acht lässt, dass es sich beim Verfassen von Texten für TV-Produktionen und deren "Inszenierung" um handwerkliche professionelle Tätigkeiten handelt, zu denen Kinder gar nicht in der Lage sein können. Der Text erweckt den Eindruck, als könnten Kinder einschätzen, wie ein Beitrag funktioniert, der bei einem Krimi-Publikum in allerkürzester Zeit die Aufmerksamkeit für ein Thema wecken soll, das es gar nicht erwartet.

Eine plumpere Form dieser Kritik findet sich in den "Badischen Neuesten Nachrichten":

"Professionelle Kostümbildner haben die Kinder (…) zu Miniatur-Ausgaben bekannter Moderatoren und Tatort-Kommissare dressiert."

Ach herrje, in einer Produktion für die Prime Time bzw. "den prominentesten Sendeplatz im Ersten" (um die ARD-PR noch einmal aufzugreifen) waren "professionelle Kostümbildner" am Werk!

"Ich weiß, wie reformbedürftig dieser ganze Apparat ist, aber …"

2019 hat die Regisseurin Julia von Heinz ("Und morgen die ganze Welt") in einer branchenweit viel Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Rede etwas formuliert, was wir hier damals im Altpapier "solidarische Fundamentalkritik am öffentlich-rechtlichen System" genannt haben.

"Wie können wir sehenden Auges ein demokratisches Instrument, (…) das wir heute nötiger brauchen denn je, sterben lassen?",

sagte sie damals. Beinahe ein halbes Jahrzehnt später hat sie für die SZ-Serie "Rettet die Öffentlich-Rechtlichen" nun einen Beitrag geschrieben, dessen Tonalität von der des relativ berühmtem Vortrags etwas abweicht.

Teil ihres Beitrags ist ein ausführlicher historischer Rückblick:

"Der Neue Deutsche Film der 1970er-Jahre ist nicht denkbar ohne Margarethe von Trotta, Helma Sanders-Brahms und Ulrike Ottinger (…) Und keine von ihnen hätte ohne das öffentlich-rechtliche Fernsehen ihr Œuvre erschaffen können. Margarethe von Trottas erste Regiearbeit (in Ko-Regie mit Volker Schlöndorf) 'Die verlorene Ehre der Katharina Blum' von 1975 entstand als Koproduktion mit dem WDR. Dessen Spielfilmredaktion unter Günther Rohrbach ist hervorzuheben, wenn man über die internationale Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens für den deutschen Kinofilm schreibt."

Wie sieht es nun in der Gegenwart aus? Basierend auf den Erfahrungen, die Regisseurinnen und Regisseure mit Senderleuten machen, schreibt von Heinz:

"Natürlich gab und gibt es in den Redaktionen viele, die nicht in der Lage sind, Projekte freundlich abzusagen, die heraushängen lassen, wie abhängig wir Kreative von ihnen sind oder die sogar versuchen, ein Projekt inhaltlich oder formal zu beeinflussen, damit es zugänglicher wird. Aber es gibt auch viele, die das Kino genauso lieben wie wir. Die Großes erreichen wollen, Mut haben und wahnsinnige Risiken eingehen möchten. Sie werden immer weniger, ihre Etats schmelzen, und die Unterschriften, die sie vor einer Projektfreigabe im eigenen Haus einholen müssen, werden immer mehr."

Weil "immer mehr" Personen darüber entscheiden dürfen und sollen, ob ein Projekt zustande kommt, wächst natürlich auch der Druck auf die Redakteure. Das könnte eine Erklärung für deren teilweise unfreundliches Verhalten sein, das von Heinz vorher erwähnt.

Und dennoch:

"Wenn wir bei den A-Festivals und bei den Oscars weiter eine Rolle spielen möchten, brauchen wir die öffentlich-rechtlichen Sender (…) Wir als Filmschaffende sollten jetzt Wut und Enttäuschung, zu der die Zusammenarbeit oftmals Anlass gibt, hinter uns lassen und auf diese gemeinsame Erfolgsgeschichte schauen."

Die Kernbotschaft des Textes an die Kolleginnen und Kollegen aus der Filmbranche lautet also: Nicht aufgeben, den Widrigkeiten trotzen! Warum fordert von Heinz das?

"Ich weiß, wie reformbedürftig dieser ganze Apparat ist, wie schwer er sich gerade gegen die Kritik behaupten kann, dass sein Publikum wegaltert und kein neues hinzukommt. Aber wenn wir ihn einmal aufgegeben haben, ist er für immer weg."


Altpapierkorb (Stimmungsmache gegen Bürgergeld-Bezieher, Werbegelder für rechte Influencer, Dokumentarfilm über chinesischen Überwachungsstaat)

+++ Dass die von der "Bild"-Zeitung neulich zum Thema "Bürgergeld" rausgehauene Schlagzeile "Jeder 10. Empfänger arbeitet schwarz" aus mehreren Gründen, sagen wir mal: bemerkenswert ist - das dröselt Moritz Tschermak für den "Bildblog" auf. Ein Aspekt seines Beitrags: "'Bild' (hat) bei der Wahl der Titelzeile einen auffällig speziellen Schwerpunkt gesetzt." Eigentlich geht es in dem dazugehörigen Artikel nämlich um die 'Schwarzarbeits-Nation Deutschland!', und darin wird ein bei der Zeitung sehr beliebter Ökonom mit folgender Schätzung zitiert: "Schwarzarbeiter gibt es 12 bis 15 Millionen in Deutschland. Schwarzarbeitende Bürgergeld-Bezieher nur etwa 400 000 bis 500 000'." Tschermaks Fazit: "Die 'Bild'-Redaktion hat sich für ihre Schlagzeile auf der Titelseite also die 3,3 Prozent an Schwarzarbeitern herausgepickt, gegen die sich am einfachsten Stimmung machen lässt. Und bei '12 bis 15 Millionen' von Professor Schneider geschätzten Schwarzarbeitern und 47,1 Millionen Erwerbspersonen in Deutschland lässt sie dafür sogar die Schlagzeile 'Mehr als jeder Vierte arbeitet schwarz' liegen. Klar, wer will schon gegen einen großen Teil der eigenen Leserschaft schießen?"

+++ Das Y-Kollektiv und Correctiv haben recherchiert, wer mit Werbegeldern rechte Influencer auf YouTube unterstützt. Zumindest in dem Correctiv-Beitrag eine zentrale Rolle spielt der "rechtsextreme Medienunternehmer" Erik Ahrens, der auch beim Geheimtreffen in Potsdam aufgetreten war. Das Y-Kollektiv hat die Recherchen für die Dokumentation "Jung, viral, rechtsradikal?" verwendet, die in der kommenden Nacht um 1.15 Uhr (!) im WDR Fernsehen läuft (siehe digitalfernsehen.de). Aber für Nicht-Nachteulen gibt es ja die ARD-Mediathek.

+++ Fünf Stunden früher als "Jung, viral, rechtsradikal?" im linearen Fernsehen: Jialing Zhangs Dokumentarfilm "Was China der Welt nicht zeigt - Total Trust", zu sehen bei Arte. Eine Rezension des Films ist heute unter der Überschrift "Wie sich Menschen gegen den chinesischen Überwachungsstaat wehren" Aufmacher der FAZ-Medienseite. Ole Kaiser lobt: "Es ist nicht das Was, das den Zuschauer über gut 90 Minuten an den Bildschirm fesselt. Dass China ein Überwachungsstaat ist, dessen Bewohner über Abermillionen Kameras im öffentlichen und privaten Raum permanent durchleuchtet werden, in dem es ein Sozialpunktesystem gibt, das über Freiheiten des Individuums entscheidet, in dem es keine ernsthaften Ansätze einer Veränderung zum Besseren gibt, all das ist bekannt. Es ist das Wie dieses Films, das den Zuschauer ergreift, ihn ungläubig und schockiert zurücklässt, dass diese Dokumentation so packend macht. Denn es gibt sie, die Keime des Widerstands, Menschen, die für die Freiheit alles riskieren. Und es gibt die, die das System stützen. Denunzianten, Hörige, die sich selbst und andere einsperren, um nicht eingesperrt zu werden. Um diese Keime und deren Widersacher geht es bei 'Total Trust.'"

Das Altpapier am Mittwoch schreibt Johanna Bernklau.

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