Schweres Eisenbahngeschütz Dora vor Sewastopol 1942
Das schwere Eisenbahngeschütz "Dora" in der Schlacht um die Krim-Festung Sewastopol im Juni 1942. Bildrechte: IMAGO / United Archives International

Krim-Feldzug Sewastopol 1942 - Kampf um die stärkste Festung der Welt

05. Juli 2022, 13:00 Uhr

Mit tagelangem Trommelfeuer aus schwersten Geschützen und Dauerbombardements eröffnet die Wehrmacht Anfang Juni 1942 die finale Schlacht um Sewastopol. Einen Monat lang wird erbittert um die stärkste Festung der Welt auf der Halbinsel Krim gekämpft. Erst am 4. Juli hat das Blutvergießen ein Ende. Zehntausende Menschen auf beiden Seiten sterben. Am Ende bewundern selbst die Sieger den "Heroismus" der sowjetischen Verteidiger.

Sewastopol 1942 - das sind: Zahlreiche Sperrforts und Panzerbatterien mit Geschützkalibern von bis zu 30,5 Zentimetern, meterdicke Panzerkuppeln, fünf Meter dicke Betonwände, 30 Meter tiefe Bunkeranlagen. Jedes Festungsbauwerk mit eigenem Kraftwerk, Wasserversorgung, Lazarett. Mehrere Verteidigungslinien mit Geschütz- und Granatwerferständen, zahllosen MG-Nestern, Minenfeldern und Stacheldrahtverhauen. Gehalten von einer ganzen Armee von 106.000 Soldaten, die über 600 Geschütze und 2.000 Granatwerfer verfügen.

Bedrohung für deutsche Sommeroffensive

Gegenangriff sowjetischer Marineinfanterie vor Sewastopol im April 1942
Gegenangriff sowjetischer Marineinfanterie vor Sewastopol im April 1942. Bildrechte: IMAGO / agefotostock

Kurz gesagt: Sewastopol - das ist die stärkste See- und Landfestung der Welt. Und Sewastopol ist eine - zumindest potentielle - Bedrohung für die deutsche Sommeroffensive 1942, die zur Wolga und in den Kaukasus führen soll. Dass man die Festung und ihre Verteidiger nicht unterschätzen darf, haben die deutschen Angreifer zuvor mehrfach erfahren. Im November 1941 scheitert ihr erster Versuch, den befestigten Seehafen im Süden der Halbinsel Krim einzunehmen. Eine zweite Offensive im Dezember mündet in einem sowjetischen Gegenschlag. Bei weiteren Gegenangriffen der Roten Armee zwischen März und Mai wird die Wehrmacht sogar an einigen Abschnitten zurückgeworfen.

Manstein plädiert für Einnahme Sewastopols

Generalfeldmarschall Erich von Manstein
Der Oberbefehlshaber der 11. Armee, Generaloberst Erich von Manstein, soll Sewastopol einnehmen. Bildrechte: IMAGO / AGB Photo

In der deutschen Generalität wird im Frühjahr 1942 trotzdem diskutiert, ob eine Einnahme von Sewastopol nötig ist. Schließlich erfordert eine solche Operation enorme personelle und technische Ressourcen. Zudem besteht die Gefahr, dass das Unternehmen nicht bis zum Beginn der geplanten Sommeroffensive abgeschlossen ist. Obendrein ist die Bedrohung, die von Sewastopol ausgeht, seit der Vernichtung dreier sowjetischer Armeen auf der Krim-Halbinsel Kertsch im Mai 1942 deutlich gesunken.

Der für den Krim-Feldzug verantwortliche Oberbefehlshaber der 11. Armee, Generaloberst Erich von Manstein, hält die Einnahme von Sewastopol dennoch für richtig. Er argumentiert, dass andernfalls drei bis vier deutsche Divisionen dauerhaft auf der Krim gebunden wären. Doch dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, Adolf Hitler, ist nicht nur aus operativen Gründen an einer Eroberung der legendären Festung gelegen. Der "Führer" braucht nach Monaten der Defensive auch einen symbolträchtigen Erfolg.

200.000 Soldaten für 35 Kilometer Front

Zweiter Weltkrieg - Russische Front: Rumänische Schützen in einem flachen Graben bei Sebastopol.
Rumänische Soldaten beobachten vor Sewastopol das Kampfgeschehen. Bildrechte: IMAGO / Photo12

Und so erteilt Hitler Manstein den Befehl, Sewastopol einzunehmen. Dem Oberbefehlshaber der 11. Armee stehen dafür siebeneinhalb deutsche und anderthalb rumänische Divisionen zur Verfügung. Das sind zusammen etwa 200.000 Mann, die der General an der nur 35 Kilometer langen Front vor Sewastopol zusammenzieht.

Zur Luftunterstützung kommen neun Gruppen des VIII. Fliegerkorps mit etwa 400 Kampf- und Sturzkampfflugzeugen hinzu. Zudem wird eines der größten Artillerie-Aufgebote des Zweiten Weltkrieges in Stellung gebracht. Allein 24 Werferbatterien mit 576 Rohren sowie 17 Flakbatterien der Luftwaffe werden vor Sewastopol konzentriert.

600 schwere und schwerste Geschütze

Bis dahin einzigartig ist die Konzentration von rund 600 Rohren überwiegend schwerer und schwerster Artillerie. Darunter sind die größten Landgeschütze, die die Wehrmacht zu bieten hat. Dazu gehören die "Gamma"- und "Karl"-Mörser der Kaliber 42 cm und 60 cm, die Granaten von ein und zwei Tonnen verschießen.

Schweres Eisenbahngeschütz der Wehrmacht
Das schwere Eisenbahngeschütz "Dora" ist die größte Kanone der Welt. Bildrechte: IMAGO / United Archives

Auch das 80 cm-Eisenbahngeschütz "Dora" wird vor Sewastopol in Stellung gebracht. Die größte Kanone der Welt verschießt aus ihrem 32,5 Meter langen Rohr 4,8 Tonnen schwere Sprenggranaten bis zu 47 Kilometer oder 7,1 Tonnen schwere Panzergranaten bis zu 38 Kilometer weit. 60 Spezialwaggons sind nötig, um das Riesengeschütz zerlegt zum Einsatzort zu bringen, wo es zusammengebaut und auf zwei Doppelschienen gesetzt wird. 4.120 Mann werden für Betrieb und Schutz der Superkanone benötigt.

Fünf Tage Bomben und Granaten

Sturzkampfbomber Stuka Junkers Ju87 beim Bomebabwurf
Ein Sturzkampfbomber Stuka Junkers Ju87 beim Bomenbabwurf. Bildrechte: IMAGO / United Archives

Ab Ende Mai wird der Artillerie- und Luftwaffeneinsatz gegen die Forts, die Stadt und den Hafen der See- und Landfestung intensiviert. Doch die eigentliche Schlacht um Sewastopol beginnt am 2. Juni 1942 mit einem fünftägigen Dauerbeschuss und Dauerdombardement. Ziel ist es, Festung und Verteidiger durch stetige massierte Luft-, Artillerie- und Infanterieangriffe zu zermürben und sturmreif zu schießen.

Doch trotz der verheerenden Zerstörungen vor allem im Stadtgebiet hält die Abwehrfront der Verteidiger. Nur mühsam können sich die angreifenden deutschen und rumänischen Verbände ab dem 7. Juni vorankämpfen. Ihre Verluste sind enorm. Auch der Munitionsverbrauch ist gigantisch. Im Laufe der Schlacht wird er sich auf 50.000 Tonnen summieren.

Tagelanger Kampf um Küstenbatterie

Zweiter Weltkrieg: Ein Flammenwerfer gegen eine sowjetische Festung
Wie hier gehen auch bei Sewastopol Sturmpioniere mit Flammenwerfern gegen Bunker vor. Bildrechte: IMAGO / KHARBINE-TAPABOR

Der Schwerpunkt der Infanterieangriffe liegt zunächst im Norden, wo die schweren Forts nördlich der Sewernaja-Bucht ausgeschaltet werden sollen. Nach tagelangem Beschuss und Stuka-Angriffen treten am 17. Juni Infanteristen und Pioniere zum Sturm auf die mächtige Küstenbatterie "Maxim Gorki I" an, deren Geschütze zuvor durch Artillerie- und Bombentreffer ausgeschaltet wurden.

Die Soldaten gehen mit geballten Ladungen, Benzin und Flammöl gegen die Türme und einzelnen Abteilungen der Anlage vor. Als die Deutschen nach tagelangen Kämpfen schließlich vor den Panzertüren der Zentrale des Forts stehen und zur Übergabe auffordern, sprengen sich die letzten 22 Verteidiger in die Luft. Am Ende sind knapp 1.000 Rotarmisten des Forts gefallen, nur 40 Schwerverwundete überleben.

Äußere Verteidigung nach drei Wochen gesprengt

Zerstörte Geschützkasematte der Küstenbatterie Maxim Gorki II in Sewastopol in schwarzweiß
Zerstörte Geschützkasematte der Küstenbatterie "Maxim Gorki II". Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Bis zum 17. Juni abends werden auch die Forts "GPU", "Molotow" und "Tscheka" eingenommen. In den kommenden zehn Tagen werden zudem die nördlichen Forts "Lenin", "Stalin", "Molotow" und "Sibirien" sukzessive ausgeschaltet. Am 27. Juni abends erreichen die Angreifer schließlich das Nordufer der Sewernaja-Bucht im Norden der Stadt Sewastopol. Im Südosten der Festung dringen sie zur selben Zeit bis zum Fuß der stark befestigten Sapun-Höhen vor. Damit haben die deutsch-rumänischen Truppen den äußeren Verteidigungsring der Festung gesprengt. Statt in der Folge die schwer zu nehmenden Sapun-Höhen frontal anzugreifen - was eine zeitraubende Kräfteumgruppierung erfordert hätte - entscheidet sich Manstein für eine andere Lösung.

Angriff mit 100 Sturmbooten

Der Generaloberst lässt in der Nacht vom 28. auf den 29. Juni Infanteristen in 100 Sturmbooten über die Sewernaja-Bucht setzen. Die Männer nehmen das befestigte südliche Steilufer im ersten Anlauf und rollen die Sapun-Höhen von Norden her auf. Gleichzeitig täuschen im Südosten der Front drei deutsche Divisionen mit massiver Artillerie- und Luftwaffenunterstützung einen breiten Angriff auf die Höhen vor. Dabei gelingt an einer Stelle ebenfalls ein Durchbruch, der es ermöglicht, die sowjetischen Stellungen nach Norden, Süden und Westen aufzurollen. Somit ist auch die rückwärtige Verteidigungslinie von Sewastopol gefallen. Die Schlacht ist damit grundsätzlich entschieden.

Sewastopol ein Trümmerfeld

Ruinen von Sewastopol im Juli 1942
Die Ruinen von Sewastopol nach der Einnahme durch deutsche Truppen am 1. Juli 1942. Bildrechte: IMAGO / United Archives International

Am 1. Juli morgens stehen die deutschen und rumänischen Truppen östlich oberhalb des Stadtgebiets von Sewastopol. Noch einmal geht ein furchtbarer Artillerie- und Bombenregen auf die geschundene Stadt und ihre Bewohner nieder. Er verwandelt den einst prächtigen Seehafen und Hauptstützpunkt der Schwarzmeerflotte endgültig in eine Trümmerwüste. Nur neun Gebäude bleiben unbeschädigt. Die anschließende Besetzung von Stadt und Hafen Sewastopol stößt auf vergleichsweise geringen Widerstand. Das sowjetische Oberkommando, die Stawka, hatte zuvor die Evakuierung vor allem der Kommandeure sowie der Spitzenfunktionäre von Partei und Verwaltung eingeleitet.

Ein Feldmarschall und Zehntausende Tote

Hitler gratuliert Manstein zur Einnahme von Sewastopol 1942
Hitler ernennt Manstein nach der Einnahme von Sewastopol zum Generalfeldmarschall. Bildrechte: IMAGO / Photo12

Nach der Einnahme von Stadt und Hafen Sewastopol am 1. Juli 1942 ernennt Hitler den verantwortlichen Feldherrn, Erich von Manstein, zum Generalfeldmarschall. Damit hat der NS-Diktator nach der Eroberung der Festung Tobruk durch Generalfeldmarschall Erwin Rommel den zweiten großen Propagandaerfolg in zehn Tagen zu vermelden. Ein Erfolg, der Zehntausende Menschenleben fordert: Mansteins 11. Armee erleidet in den Kämpfen um Sewastopol Gesamtverluste von mindestens 25.000 Mann, darunter knapp 5.800 Tote und Vermisste. Mehr als 10.000 sowjetische Soldaten fallen im Kampf um die Festung, 95.000 gehen in Gefangenschaft. Zudem werden Tausende von Zivilisten im Zuge der Schlacht um Sewastopol getötet.

Kämpfe auf Chersones gehen weiter

Gänzlich vorbei sind die Kämpfe am 1. Juli allerdings noch nicht. Bis zum Abschluss der Kämpfe am 4. Juli 1942 spielen sich vor allem am Kap Chersones ganz im Westen dramatische Szenen ab. Unter dem Schutz des stärksten aller Sewastopoler Forts, der Küstenbatterie "Maxim Gorki II", kämpfen dort Reste der Küstenarmee und der Arbeiterformationen der Stadt - unter ihnen zahlreiche Frauen - um Zeitgewinn. Doch ihre Hoffnung auf Evakuierung erfüllt sich nicht.

Die Verteidigung von Sewastopol Gemälde von Alexander Deineka
Die Verteidigung von Sewastopol, Gemälde von Alexander Deineka, 1942. Bildrechte: IMAGO / Photo12

"Ganze Halbinsel war Feuer und Rauch"

Ein Staffelkapitän eines deutschen Stuka-Geschwaders beschreibt Tage später tief bewegt, was er dabei erlebt: "Sie wurden noch und noch bombardiert. Ein giftiger Explosionspilz neben dem anderen schoss zwischen den Felsennestern hoch, die ganze Halbinsel war Feuer und Rauch […]. Man kann über solche Haltung immer wieder stauen. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes unglaublich. So haben sie auf der ganzen Linie die ganze Zeit Sewastopol verteidigt und deshalb war das eine arg harte Nuss. Das ganze Land musste mit Bomben buchstäblich umgepflügt werden, ehe sie ein Stück zurückwichen."

Deutsche bewundern "Heroismus" der Verteidiger

Person von hinten vor einer Wand mit einer Namensliste der Verteidiger von Sewastopol
Liste mit 23.000 Namen von Verteidigern von Sewastopol im historischen Gedenkkomplex der Küstenartilleriebatterie "Maxim Gorki II". Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Mit seiner Meinung ist der Luftwaffen-Hauptmann nicht allein. Zahlreiche deutsche Frontsoldaten berichten mit großem Respekt von der Tapferkeit und Opferbereitschaft der sowjetischen Verteidiger. Selbst im deutschen Rundfunk wird unter Berufung auf zahllose Frontsoldaten vom "Heroismus" des sowjetischen Gegners gesprochen. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels fühlt sich schließlich bemüßigt, dagegen vorzugehen, weil er fürchtet, dass die "Einstellung des deutschen Volkes gegen den Bolschewismus" darunter leiden könnte.

Rückeroberung im Frühjahr 1944

T-34-Panzer in Sewastopol auf der Krim 1944
Am 9. Mai 1944 erobert die Rote Armee das schwer zerstörte Sewastopol zurück. Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Es wird dem NS-Einpeitscher nichts nützen. Um die Jahreswende 1942/43 wendet sich der von Hitler und seinem Regime entfesselte Krieg endgültig in die Gegenrichtung. Da helfen auch Goebbels Propaganda-Aufrufe zum "Totalen Krieg" nichts. Am 9. Mai 1944 erobert die Rote Armee nach einmonatigen schwersten Kämpfen Sewastopol zurück - jene Stadt, über die der sowjetische Schriftsteller Ilja Ehrenburg auf dem Höhepunkt der grausamen Schlacht des Sommers 1942 geschrieben hat: "Sewastopol ist nicht nur eine Stadt. Es ist Russlands Ruhm, der Stolz der Sowjetunion."

Literaturhinweise

  • Hartmann, Christian: Unternehmen Barbarossa. Der deutsche Krieg im Osten 1941-1945, München 2011.
  • Manstein, Erich von: Verlorene Siege. Erinnerungen 1939-1944, 13./14. Auflage, Bonn 1993, S. 261-289.
  • Wegner, Bernd: Der Krieg gegen die Sowjetunion. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 6, Der Globale Krieg - Die Ausweitung zum Weltkrieg und der Wechsel der Initiative 1941 bis 1943. Hrsg. Vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Stuttgart 1990.