Zusammen gegen Rechts Mehrere Tausend Menschen protestieren am Sonntag unter anderem in Dresden, gegen die AfD und für die Demokratie.
Für den Politikwissenschaftler Thomas Kliche ist klar: Nur demonstrieren reicht nicht. Bildrechte: IMAGO / Sylvio Dittrich

Politikwissenschaftler im Interview Kampf gegen Rechts: "Auf die Straße gehen reicht nicht"

23. Januar 2024, 08:41 Uhr

Hundertausende demonstrieren dieser Tage gegen die AfD und Rechtsextremismus. Für den Magdeburger Politologen Thomas Kliche ein starkes Signal, aus dem "neue soziale Bewegungen" entstehen könnten. Allerdings fehle der Bewegung noch ein einheitliches Ziel. Ein Interview.

Was passiert gerade auf den Straßen? Warum macht gerade jetzt die Zivilgesellschaft mobil?

Es ist erst einmal nicht die ganze Zivilgesellschaft, sondern Leute, die kapiert haben, dass da die skrupellose Demontage von Demokratie und Menschenrechten durch Rechtsextreme droht und dass die auch schon bis in die CDU ihre Fangarme ausstrecken. Also es ist die Einsicht, wie ernst diese Rechtsextremen ihre völlig aberwitzigen Pläne meinen und dass es ohne Auseinandersetzungen nicht abgehen wird. Diese Sache muss ausgekämpft werden. Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit verschwindet nicht von allein wieder. Das ist die große Einsicht dieses Wochenendes, und die hat die Menschen auf die Straße gebracht.

Thomas Kliche
Politikwissenschaftler Thomas Kliche. Bildrechte: IMAGO/Funke Foto Services

Thomas Kliche ist Professor für Bildungsmanagement und Politologe an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Sein Schwerpunkt ist die Politische Psychologie.

Hat es diesen Weckruf gebraucht?

Offenbar. Wir haben ja eine Konsum-Demokratie, eine Schönwetterdemokratie, frei nach dem Motto: "Ich gehe ab und zu vielleicht mal wählen, vielleicht auch nicht. Ich will mein Leben genießen. Politik und Moral sind mir egal." Diese Haltung haben wir ja auch in liberal-ökonomischen Milieus sehr stark. Wer streitet sich schon gern mit Neonazis? Niemand.

Selbst Fußballvereine, die katholische Kirche und Stadtverbände fordern die Gesellschaft jetzt auf, die Demokratie zu verteidigen. Ist das eine neue Form des Widerstandes?

Die Botschaft ist erst einmal klar: Wir wollen keine Ausgrenzungspolitik. Wir tun jetzt mehr für unseren Standpunkt. Aber ich glaube, im Hintergrund des Widerstands steht ein Gefühl einer großen Verunsicherung. Heute wäre politische Führung wichtiger denn je, aber dafür braucht man einen Entwurf. Wie will man eigentlich die künftige Gesellschaft haben? Und wie will man dahin kommen? Und da hat sich die Ampel doch so hoffnungslos zerstritten und blamiert. Und das dürfen wir nicht vergessen: Auch die Mehrheiten in diesem Land haben keine klare Haltung dazu. Also es gibt keinen mitreißenden, längerfristigen Entwurf. Es gibt keine überzeugenden Problemlösungen.

Und bisher haben alle in den vergangenen 20 Jahren "Konfliktvermeidung" und "Kopf in den Sand stecken" gespielt. Das ist aber auch ein widersprüchlicher Auftrag an die Ampel. Sie solle das Schiff sturmfest machen, aber dabei bitte nichts verändern. Aber das funktioniert nun nicht mehr.

Was jetzt entsteht, das kann der Beginn neuer sozialer Bewegungen werden, weil viele Menschen sagen, so geht es nicht weiter. Doch die Frage, die sich dabei auch stellt, ist: Wofür ist man dann aber? Widerstand reicht nicht, um eine längerfristige Bewegung auf die Beine zu stellen.

Gibt es bei der Bewegung Unterschiede zwischen Ost und West?

Zivilgesellschaft ist im Westen weitaus stärker. Das hat was damit zu tun, dass Vereine, Verbände fast doppelt so viele Mitgliedschaften pro hunderttausend Einwohner haben. Das heißt, sie haben in Westdeutschland stärkere Tradition, Präsenz, Vielfalt von Zivilgesellschaft. Sie haben eine viel stärkere Rolle der Kirchengemeinde. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel sind gerade mal noch 17 Prozent in irgendeiner Konfession. Aber in Baden-Württemberg und Bayern sind Kirchen hingegen traditionell ein Ermutiger und Anlaufpunkt für Engagement. Das fehlt im Osten. Und hinzu kommen zwei unglückselige Erben des DDR-Verständnisses. Damals funktionierte das Gesellschaftsverständnis danach, dass der Staat für alles Wichtige zuständig ist, nicht man selbst. Und zum anderen ist da noch die missglückte Wiedervereinigung. Massenmigration und Massenarbeitlosigkeit haben das Vertrauen in die Politik und Gesellschaft über Generationen hinweg zerstört.

Verschiedene Protestschilder bei Demo gegen Rechts in Halle 4 min
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In vielen deutschen Städten finden zur Zeit Demos statt. Lange waren viele nicht mehr so unzufrieden wie jetzt und wollen sich politisch engagieren und zeigen, was ihnen nicht passt. Wie das geht, klären wir hier.

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Hinzu kommt, dass in westlichen Metropolen mehr jüngere Menschen leben, das begünstigt Demos. Die Bedrohung durch sozialen Abstieg und Armut in den älteren Generationen tragen außerdem dazu bei, dass der Wunsch nach persönlicher Entwicklung und Selbstentfaltung schwächer ist. Doch das ist wichtig für nicht-konventionelles oder politisches Engagement.

Wie wichtig ist es, auf solche Demonstrationen zu gehen? Können AfD-Wähler so wirklich umgestimmt werden?

Manche Gruppierungen sind durch Argumente und Erfahrung einfach nicht erreichbar. Sie finden es sogar gut, wenn bestimmte Dinge schieflaufen und wenn sie dadurch Macht haben. Also ändern wird das politisch unmittelbar nichts. Demonstrationen haben aber psychische Effekte. Man macht deutlich, da ist eine große Gruppe, alle haben die gleich Überzeugung und wollen sich engagieren. Das ist Signal für Stärke. Und Menschen motivieren sich gegenseitig. Deshalb gehen sie zum Beispiel auch ins Stadion. Eine Demo ist sozusagen ein politischer Fanblock.

Auch für diese Woche sind wieder zahlreiche Demos angekündigt. Ist das nur ein Strohfeuer oder wird es bleiben?

Die Frage ist eher, was danach kommt. Leider reicht es nicht aus, auf die Straße zu gehen. Die Menschen, die sich am Protest beteiligen, müssen sich überlegen, was sie danach machen wollen. Denn es wird nicht ausreichen, sich auf politische Reaktionen zu stützen. Sie müssen sich überlegen, welche Handlungsformen für sie noch in Frage kommen? Will man vielleicht in eine Partei eintreten oder Mitglied einer Gewerkschaft werden, sich in einem Verband vernetzen, um einen größeren öffentlichen Auftritt zu bekommen. Erst dann haben wir den Beginn einer neuen sozialen Bewegung.

Das Interview mit Thomas Kliche führte Annett Mautner von MDR KULTUR.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR – Das Radio | 22. Januar 2024 | 09:46 Uhr

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