Haft nach Unfall als Paketfahrer Wie ein Mann mit Mafia-Verbindungen der Polizei ins Netz ging

07. November 2023, 06:00 Uhr

Blechschaden mit Folgen: In Duisburg verursacht ein Italiener mit Mafia-Verbindungen einen Verkehrsunfall. Dabei stellt sich heraus: Der Mann wird per Haftbefehl gesucht. Und das nicht zum ersten Mal.

Kleiner Schaden, große Wirkung – so könnte man einen Verkehrsunfall beschreiben, der sich am 27. Oktober im Duisburger Stadtteil Baerl ereignete. Ein DHL-Fahrer war mit seinem Dienstfahrzeug rückwärts gegen das Auto einer älteren Dame gestoßen. Zur Unfallstelle gerufen, stellten die Beamten des Polizeipräsidiums Duisburg die Personalien der beiden fest und entdeckten, dass gegen den DHL-Fahrer ein europäischer Haftbefehl vorlag.

Nach Informationen von MDR und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) war der Fahrer Antonio S., 44 Jahre alt, gebürtiger Italiener aus dem kalabrischen Dorf San Luca. Seine Spitznamen: "U Meccanicu" (der Mechaniker) und "TT" (italienisch ausgesprochen: "Titi") – wohl wegen seiner Begeisterung für Audi-Fahrzeuge. Italienische Ermittler rechnen S. dem Clan Pelle zu, Spitzname "Vanchelli", einem einflussreichen Clan der kalabrischen Mafia 'Ndrangheta aus San Luca. S. ist der Neffe eines hochrangigen Clan-Mitglieds, das in Italien eine Haftstrafe von mehr als zwanzig Jahren absitzen muss, unter anderem wegen Mitgliedschaft in der Mafia. S. selbst wurde bislang nicht wegen Mafia-Mitgliedschaft verurteilt.

Ein Leben zwischen Deutschland und Italien

Deutschland und insbesondere Nordrhein-Westfalen sind so etwas wie eine zweite Heimat für S. Schon Mitte der 1990er-Jahre soll er als Jugendlicher nach Moers im Ruhrgebiet  gezogen sein. Später arbeitete er im Restaurant "Da Bruno" in Duisburg, auch an jenem Abend, als sich dort die sogenannten Duisburger Mafiamorde ereigneten. Am 15. August 2007 wurden dort gegen halb drei Uhr morgens sechs Männer erschossen. Es war der Höhepunkt einer Fehde unter Familienclans aus San Luca, darunter dem Pelle "Vanchelli"-Clan. Clans aus San Luca sind in Deutschland stark verwurzelt, unter anderem auch in Thüringen und Sachsen. Auch nach den Mafiamorden führten Spuren nach Erfurt. S. entkam damals dem Blutbad nur knapp, weil er das "Da Bruno" kurz vorher verlassen hatte. So steht es im italienischen Urteil zu den Duisburger Mafiamorden.

Schon mehrfach hatte sich S. in Deutschland vor italienischen Fahndern versteckt. Schon viermal wurde er hierzulande aufgegriffen und nach Italien ausgeliefert, das erste Mal im Jahr 2012. Immer wieder kam er in Italien unter Auflagen frei, um wenig später unterzutauchen. So geschah es auch diesmal. Bereits im Mai 2019 hatten Beamte des Bundeskriminalamtes S. in Deutschland festgenommen. Wenige Monate später war er nach Italien ausgeliefert worden. Gegen S. lag auch damals ein Haftbefehl vor. Italienische Ermittler warfen ihm im Zusammenhang mit dem Verfahren "Pollino" vor, mehrere Pakete Kokain verkauft zu haben. Bei dem Verfahren ging es um die illegalen Geschäfte mutmaßlicher 'Ndrangheta-Mitglieder und deren Partner in Italien, Deutschland und den Niederlanden. In der Folge wurde S. zu fünf Jahren Haft verurteilt. Statt ins Gefängnis kam er in Hausarrest, später unter Auflagen frei: Er musste sich fortan täglich bei den Carabinieri in San Luca vorstellen. Ende 2022, kurz nachdem sein Urteil in zweiter Instanz bestätigt wurde, war S. verschwunden – bis zu jenem Unfall mit seinem Paketauto in Duisburg.

Erste Hinweise kamen über Facebook

Besonders vorsichtig ging S. diesmal nicht vor. Fahnder konnten auf seinem Facebook-Profil tiefe Einblicke in seinen Alltag gewinnen: S. beim Pizzabacken, S. in gelb-roter DHL-Uniform bei einer Großdemo von Post-Mitarbeitern vor dem Brandenburger Tor, S. mit Standortmarkierung beim SV Bayer Uerdingen 08 e.V. in Krefeld. Auch bei jener Polizeikontrolle nach dem Verkehrsunfall in Duisburg versteckte sich S. nicht. Er zeigte den Beamten seinen echten Ausweis. Offenbar war er nicht davon ausgegangen, dass auch deutsche Ermittler nach ihm suchten.

Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hat MDR und F.A.Z. den Vorfall bestätigt. S. sitzt seit dem Verkehrsunfall in Haft. Seine vierte Auslieferung dürfte unmittelbar bevorstehen.

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 25. Oktober 2023 | 19:00 Uhr

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