Politiker Björn Höcke (AfD) steht im Thüringer Landtag nach seinem Wahlergebnis als Spitzenkandidat der AFD im Wahlkampf für die Landtagswahl in Thüringen.
Niemand will mit der AfD Koalitionsgespräche führen. Bildrechte: picture alliance / Panama Pictures | Dwi Anoraganingrum

Demokratieforscher Warum die AfD beim Regieren nicht "zum Zuge" kommt

14. September 2024, 05:00 Uhr

Die AfD ist nicht die erste Partei, die in einer Wahl die meisten Stimmen geholt hat und dennoch in der Opposition landet. Doch die Partei und viele Wähler fühlen sich übergangen, finden es "undemokratisch", dass die anderen Parteien nicht mit der AfD koalieren wollen. Wolfgang Schroeder vom Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung erklärt, warum er das anders sieht und dass es die AfD selbst in der Hand hätte, etwas an ihrer Position zu ändern.

Elisabeth Winkler
Bildrechte: MDR/Elisabeth Winkler

Die AfD hat bei den Landtagswahlen in Thüringen die meisten Stimmen, in Sachsen die zweitmeisten, in beiden Fällen aber über 30 Prozent erhalten. Ergibt sich daraus, dass sie jetzt mitregieren sollte?

Eine Regierungsführung ist nur möglich, wenn man eine Mehrheit hat. Und die lässt sich hier nur über Koalitionsbildung herbeiführen. Und da niemand mit der AfD koalieren will, findet sie im demokratischen Prozedere der Entwicklung einer Regierung keinen Platz.


Und das ist auch vollkommen normal für das bundesdeutsche System. In einem nicht unerheblichen Teil der Wahlen findet sich die relative Mehrheitspartei am Ende in der Opposition wieder. Bei der Bundestagswahl 1976 hatte Helmut Kohl ein Wahlergebnis von 48 Prozent erreicht, und ihm war trotzdem keine Regierungsbeteiligung möglich.

Wenn man in der eigenen programmatisch personellen Aufstellung so unverträglich ist, dass sich keine Partner finden, dann kann man auch 48 Prozent haben und wird nicht zum Zuge kommen.

Prof. Dr. Wolfgang Schroeder Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung

Wer keinen Partner findet, kommt nicht zum Zuge

Dass niemand mit der AfD koalieren will, trotz ihrer über 30 Prozent in Sachsen und Thüringen, ist das nicht undemokratisch?

Das ist in keiner Weise undemokratisch, sondern es ist zutiefst demokratisch. Denn Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Akteure einander anerkennen und sich positiv aufeinander beziehen, um durch Beteiligung und Kompromissfähigkeit zu einer gemeinsamen Gestaltungsfähigkeit zu kommen. Und dafür braucht man Partner. Und wenn man in der eigenen, programmatisch personellen Aufstellung so unverträglich ist, dass sich keine Partner finden, dann kann man auch 48 Prozent haben und wird nicht zum Zuge kommen.

Die AfD hat ja noch nicht mal ein Drittel der Stimmen und muss eben, um mehrheitsfähig zu sein, Koalitionspartner finden. Wenn sie die findet, dann kann sie auch eine Regierung bilden. Und solange sie die nicht findet, ist sie Teil der Opposition und damit auch Teil des wettbewerblichen Systems, das diese Demokratie prägt.

Wolfgang Schröder
Wolfgang Schroeder, Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung Bildrechte: David Ausserhofer

Prof. Dr. Wolfgang Schroeder
Prof. Dr. Wolfgang Schroeder ist seit seit 2016 WZB-Fellow am Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung in Berlin. Er forscht unter anderem zum politischen System, Staat und Verbänden, Parteien und Rechtspopulismus.

Von 2009 bis 2014 war Schroeder Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg. Zuvor hielt er eine Professur an der Universität Kassel zum politischen System der BRD.

Die AfD wird also nicht benachteiligt?

Die Beteiligung im parlamentarischen Prozess wird der AfD – solange sie nicht verboten ist – nicht in Abrede gestellt. Und die AfD wird ja auch in der öffentlichen Kommunikation so stark berücksichtigt wie eigentlich keine andere Partei. Sofern gibt's hier, soweit ich das aus einer empirischen Perspektive sehe, keine Benachteiligung, sondern aufgrund ihrer Aufmerksamkeitsstrategie eher eine Privilegierung der AfD. Es wird über keine andere Partei so intensiv gesprochen.

Auch wenn die AfD weit von einer absoluten Mehrheit weit entfernt war, über 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben sie gewählt, viele haben kein Verständnis dafür, dass die anderen Parteien nicht mit ihr koalieren möchten.

Nun es war ihr gutes Recht, sie zu wählen und das gute Recht der anderen Parteien, sie nicht kompatibel für die weitere Gestaltung des Gemeinwesens anzusehen und infolgedessen eine Politik der Brandmauer zu praktizieren.

AfDler wollen Mehrheit dominieren: "Tyrannei der Minderheit"

Aber welche Auswirkungen wird das auf die AfD-Wählerinnen und -Wähler und ihre Ansichten zur Demokratie haben?

Die müssen sich fragen, ob sie auf der Höhe der Zeit sind, was ihr Demokratieverständnis betrifft. Demokratie heißt ja nicht "Ich will", sondern Demokratie heißt auch, was andere wollen, müssen und dürfen ist auch zu berücksichtigen. Und wenn man diese wechselseitige Perspektive außer Acht lässt, dann hat das sehr wenig mit Demokratie zu tun, sondern man könnte fast von der Tyrannei der Minderheit sprechen.

Man hat den Eindruck bei den AfDlern – die ja eine Minderheit sind – dass sie für sich in Anspruch nehmen, dass sie die Mehrheit dominieren können. Aber wir haben ja ein Verhältnis von 70 zu 30 etwa. Und im Verhältnis von 70 und 30 muss sich die 30er-Gruppe fragen, was sie tun kann, um in diesem System anzukommen, mitzumachen und anerkannt zu werden. Und das ist eigentlich relativ einfach: Sie muss ihr eigenes Auftreten, ihre eigene Programmatik, ihre eigene personelle Konstellation überdenken. Und dann kann man ja von einem auf den anderen Tag auch wieder ganz anders wahrgenommen werden und sich selbst ins Spiel bringen.

Schauen wir zu viel auf die AfD-Wähler und Wählerinnen und zu wenig auf die anderen 70 Prozent?

Absolut. Die Tyrannei der Minderheit, die seitens der AfD diese Gesellschaft seit nunmehr zehn Jahren prägt, die ist nicht gut für diese Gesellschaft, weil durch diese Konzentration auf die Abwehr des Extremismus wesentliche Zukunftsfragen zu wenig gewichtet sind, die anderen Parteien mit ihren Bemühungen, die Wirklichkeit zu erfassen, und zu verändern, zu wenig beachtet werden. Also die Dominanz der AfD im öffentlichen Raum, das ist schon eine Schieflage, die wir da haben.

Auch im Kreise der europäischen rechtsextremen Schwesterparteien will man mit der AfD nicht zusammenarbeiten, weil sie in ihren Positionen zu extrem, zu sprunghaft, zu wenig durchschaubar, zu wenig berechenbar ist.

Prof. Dr. Wolfgang Schroeder Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung

Zu extrem, sprunghaft, undurchschaubar: AfD stößt auch bei europäischen rechtsextremen Schwesterparteien an

Sie haben vorhin gesagt, wenn die AfD ihre eigene Programmatik, ihr eigenes Verhalten überdenken würde, anpassen würde, dann würde man vielleicht auch mit ihr zusammenarbeiten. Wie wahrscheinlich ist das denn, dass das passiert?

Gegenwärtig gibt es keine Hinweise darauf, dass sie das macht. Wir haben ja eher die Situation, dass mit Thüringen die radikalste Variante der AfD das bislang beste Landtagswahlergebnis erzielt hat. So ist es wahrscheinlicher, dass sich die anderen Partei-Verbände an der thüringischen AfD orientieren als umgekehrt dass die Thüringer AfD sich an moderateren Landesverbänden orientiert.

In der Demokratie ist es ist ja ein System von Trial-and-Error. Also man kann ja irren und kann Irrtümer bearbeiten, verändern und neue Positionen aufbauen. Diese merkwürdige Position, die die AfD jetzt in unserem Parteiensystem hat, die hat sie ja auch im Kreise der europäischen rechtsextremen Schwesterparteien. Auch dort ist sie ausgeschlossen worden. Auch dort will man mit ihr nicht zusammenarbeiten, weil sie in ihren Positionen zu extrem, zu sprunghaft, zu wenig durchschaubar, zu wenig berechenbar ist.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 01. September 2024 | 18:00 Uhr

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