Interview nach den Landtagswahlen AfD in der Regierung: "Politik der tausend Schritte zur Abschaffung der Demokratie"
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12. September 2024, 13:57 Uhr
Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hat die AfD viele Stimmen geholt. In Thüringen ist sie stärkste Kraft geworden, in Sachsen ist sie knapp auf Platz zwei gelandet. Welchen Einfluss die Partei in der Regierung etwa auf Justiz, Bildung und Behörden nehmen könnte, erklärt der Politikwissenschaftler und Gründer des Informationsportals "Frag den Staat", Arne Semsrott, im Interview mit MDR AKTUELL.
MDR AKTUELL: Herr Semsrott, was würde die AfD machen, wenn sie an einer Regierung beteiligt wäre?
Arne Semsrott: Eine Politik der tausend Schritte zur Abschaffung der Demokratie. Man hat ja vielleicht ein Szenario Kopf, dass die AfD an die Macht kommt und weg ist die Demokratie und Millionen Menschen werden deportiert. Ich glaube, das ist nicht realistisch. Was viel wahrscheinlicher ist, ist eine Politik, bei der das Wasser Grad für Grad heißer wird. Wo es nicht mit einem Schlag heiß wird, sondern eben Grad für Grad – in allen politischen Bereichen.
Wenn die AfD, sagen wir, das Innenministerium zum Beispiel verantworten würde, könnte sie die Polizei anweisen, bestimmte Bevölkerungsgruppen intensiver zu kontrollieren. Sie könnte das Landesamt für Verfassungsschutz anweisen, beispielsweise das Bündnis 90/Die Grünen als linksextremistischen Verdachtsfall zu überprüfen wegen deren Verbindungen zu Aktivisten von der Letzten Generation.
Würde die AfD aber tatsächlich gleich damit beginnen, an diesen Eckpfeilern der Demokratie zu sägen, also etwa bei der Polizei, bei Richtern oder Journalisten?
Sie würde versuchen, die Institutionen für sich zu gewinnen. Natürlich kann auch eine AfD nicht einfach an der Macht sagen "Wir machen das jetzt so" und dann wird es umgesetzt. Sondern wir haben in Deutschland fünf Millionen Beamte, also Leute, die beim Staat arbeiten, die das umsetzen müssten. Und wenn die sagen "Nee, das machen wir nicht", dann passiert das auch nicht.
Deswegen geht es vor allem darum, dass die AfD Möglichkeiten nutzt, die jetzt schon angefangen sind. Also wenn wir uns zum Beispiel die Asyl- und Migrationspolitik anschauen: Der Bereich ist für die AfD besonders interessant. Noch striktere Maßnahmen, die sie durchsetzen würde, würden auf sehr fruchtbaren Boden fallen, weil jetzt schon die Ampelkoalition anfängt mit Abschiebungen zum Beispiel nach Afghanistan und Syrien. Ich hätte gedacht, das wäre erst unter der AfD passiert.
Die AfD nutzt also die Möglichkeiten der Demokratie, die Institutionen, um dann was zu machen? Also geht es darum, die Demokratie abzuschaffen oder sie in ihrem Sinne ganz anders zu gestalten?
Es geht der AfD vor allem darum, rechtsstaatliche Elemente zu entfernen. Dazu gehört zum Beispiel der Minderheitenschutz, der Schutz für besonders bedrohte Gruppen. Also wenn wir uns die Genderpolitik der Partei anschauen oder auch die Frauenpolitik, dann geht es darum, BürgerInnenrechten einzelner Gruppen zu entfernen und den Willen von den Anhängern der AfD gegenüber anderen durchzusetzen.
Es gibt diesen Slogan aus den USA, 'democracy dies in darkness' – also Demokratie, die stirbt im Stillen.
Diese schleichende Abschaffung sehen wir zum Beispiel auch in Polen, in Ungarn in den letzten Jahren. Es gibt ja auch diesen Slogan aus den USA, "democracy dies in darkness" – also die Demokratie, die stirbt im Stillen. Es sind eher einzelne Schritte, die letztlich in der Konsequenz, wenn es diese tausend Schritte dann gibt, dazu führen, dass die Demokratie am Schluss nicht mehr da ist.
Was wäre denn, wenn der nächste Justizminister auf Bundesebene von der AfD käme?
Es ist tatsächlich so, dass wir im Justizsystem noch am ehesten eine Situation haben, in der die Institutionen relativ unabhängig sind. Also es ist jetzt nicht so, dass ein Justizminister einfach so alle Richter an einem Gericht austauschen kann. Es sind eher subtilere Einflussmöglichkeiten, also eher auf die Richterwahlausschüsse, also die Prozesse zur Bestimmung der Richter oder Einfluss zu nehmen auf die Geschäftsverteilungspläne. Es geht also um die Frage, wer ist innerhalb von Gerichten für was zuständig. Es geht ihnen möglicherweise darum, die eigenen Leute in Schuss zu bringen.
Wenn in der Gesamtbevölkerung 20, 30 Prozent AfD wählen, dann ist das natürlich in allen Bereichen so. Und dann ist das auch im Justizsystem so. Also rechte Richter sind natürlich auch da ein Problem. Und natürlich ist das große Ziel am Schluss vor allem dann, ein Verfassungsgericht zum Beispiel unter Kontrolle zu bringen. Da geht es dann jetzt schon darum, dieses System so abzusichern, dass eine AfD das nicht machen kann.
In den letzten Monaten lag ein sehr großer Fokus darauf, Institutionen einzeln abzusichern. Und ich glaube, das ist wichtig, dass zu einer wehrhaften Demokratie natürlich auch dazugehört, dass man Institutionen so gestaltet, dass sie nicht von einem Tag auf den nächsten abgeschafft werden können.
Gleichzeitig muss man dabei aber auch sehen, dass man nicht auf Dauer eine Demokratie gegen eine Mehrheit verteidigen kann, die diese Demokratie abschaffen will. Man muss also schauen, dass die Gesellschaft an sich demokratisch und offen bleibt.
Man kann nicht auf Dauer eine Demokratie gegen eine Mehrheit verteidigen, die diese Demokratie abschaffen will.
Denn das ist immer noch die Voraussetzungen dafür, das zum Beispiel Recht frei gesprochen wird und dass zum Beispiel auch Urteile dann umgesetzt werden. Denn selbst wenn ein Gericht gegen eine AfD-Maßnahme handelt, heißt das nicht automatisch, dass es dann auch so umgesetzt wird. Wir brauchen gleichzeitig auch so viel Respekt und Akzeptanz für diese Institution, dass sie dann auch über diese normative Macht, die sie inne haben, wirken können.
Nehmen wir den Bildungsbereich, etwa wenn es um Lehrpläne zur Nazizeit geht oder wenn ich an Inklusion an Schulen und Studiengänge zum Gendern denke, die möglicherweise abgeschafft werden. Wie stark ist die AfD hier unterwegs und kann die Demokratie angreifen?
Die Reden, die Veröffentlichung, die sind alle da. Wir können uns einfach anschauen, was die AfD jetzt schon von sich gibt. Und das ist ein sehr klarer Anti-Gender-Kurs. Es ist zum Beispiel deren Ziel, Genderforschung komplett einzustellen und Genderverbote weitflächig einzusetzen. Man kann sich überlegen, dass Lehrpläne in dem Maße geändert werden, das beispielsweise –ich zitiere – "die Erfolge der deutschen Geschichte" mehr in den Vordergrund gestellt werden, also die Zeit des Nationalsozialismus gar nicht mehr vorkommt oder nur noch am Rande.
Oder dass die Arbeit von Gedenkstätten zu Konzentrationslagern nicht mehr weiter finanziert werden. Wir sehen ja, dass in Sachsen und Thüringen wieder große Kampagnen gefahren werden gegen die Leiter solcher Gedenkstätten. Und da geht es letztlich darum, den Plan der antidemokratischen Rechten des Geschichtsrevisionismus durchzusetzen, also eine andere Interpretation, eine ganz andere Lesart der Geschichte durchzusetzen, um Deutschland in einer anderen Weise, nämlich eben in einer antidemokratischen, rechten Weise dazustehen.
Diese 30 Prozent AfD-Wähler in Thüringen, in Sachsen, vermutlich ähnlich demnächst auch in Brandenburg bei der Landtagswahl: Geben Sie diese verloren? Oder gibt es einen Weg, die Leute in die Demokratie zurückzuholen?
Also ich glaube, wir müssen feststellen, dass die AfD inzwischen nicht mehr allein eine Protestpartei ist, sondern sie eine feste Stammwählerschaft hat. Die gehen auch so schnell erst mal nicht weg. Gleichzeitig will ich betonen, dass wir viel stärker auf die 70 Prozent schauen müssen und auf die Nichtwähler. Also wir haben eine noch größere Gruppe innerhalb der Gesellschaft, die sich offensichtlich nicht repräsentiert fühlt, die dann aber gar nicht zur Wahl geht. Das sind Millionen von Menschen in Deutschland.
Sie haben das mögliche Verbotsverfahren gegen die AfD angesprochen. Bei den Landtagswahlen war oft zu hören: "Solange diese Partei nicht verboten ist und auf meinem Stimmzettel steht, wo ist jetzt das Problem der Demokratie?"
Wir müssen eine klare Unterscheidung machen zwischen demokratisch gewählt und demokratisch. Nur, weil eine Partei auf dem Stimmzettel steht, heißt es natürlich nicht, dass sie demokratisch ist. Es gibt sehr, sehr klare Anzeichen dafür, dass die AfD im Kern eine antidemokratische Partei ist, also im Kern Unwertigkeitsideologien verfolgt, dass manche Bevölkerungsgruppen mehr Wert sind als andere.
Nur, weil eine Partei auf dem Stimmzettel steht, heißt es nicht, dass sie demokratisch ist. Es gibt sehr klare Anzeichen dafür, dass die AfD im Kern eine antidemokratische Partei ist.
Und im Kern steht Björn Höcke, der sagt, dass er seine Gegner "ausschwitzen" will. Und ich bin mir sehr sicher, dass ein Bundesverfassungsgericht, wenn man ihm denn endlich ein AfD-Verbotsverfahren vorlegen würde, dann letztlich auch zu dem Schluss kommen würde, dass die AfD verboten gehört.
Das ist ein Instrument, was im Grundgesetz vorgesehen ist von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes, weil denen schon klar war, dass wir die Demokratie gegen ihre Feinde schützen müssen. Und natürlich ist ein Parteienverbot ein extremes Mittel. Aber wir sind eben leider auch an einer extremen Zeit mit einem rechtsextremem Akteur.
Wie gefährdet ist also unsere Demokratie?
Die ist in Gefahr. Wir haben eine Partei, die angeführt wird von einem Faschisten in Thüringen, die die stärkste Kraft ist. Das bedeutet, dass wir jetzt Maßnahmen ergreifen müssen, um damit umzugehen. Das bedeutet ein AfD-Verbotsverfahren, das bedeutet ein Demokratiefördergesetz.
Und dazu gehört eben, zum Beispiel in ein Gesundheitssystem und auch in den Wohnungsbau zu investieren. Und wenn man das nicht macht, dann müssen wir leider erwarten, dass es in den nächsten Jahren noch schlimmer wird.
Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Fassung des Interviews haben wir Arne Semsrott mit den Worten zitiert, dass Herr Höcke sage, er wolle seine Gegner "Auschwitzen". Stattdessen hat Herr Semsrott "ausschwitzen" gesagt. Wir haben die entsprechende Passage geändert. Wir bedauern diesen Fehler und bitten darum, ihn zu entschuldigen. Wir werden das in unserer Redaktion auswerten.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 08. September 2024 | 06:00 Uhr
Anita L. vor 4 Wochen
Was ich über diese Gespräche und vor allem über die Veranlassung für diese Gespräche halte, behalte ich lieber für mich. Aber nein: Ich meinte mit der völkischen Partei keine der Ampel und auch nicht die CDU.
Fakt vor 4 Wochen
@KarlOtto:
Ich habe in seriösen Medien etliche Rezensionen zu Höckes Schmierschinken gelesen. Das reicht mir vollkommen, etliche Zitate lagen recht nahe an der Kotzgrenze.
Eulenspiegel1 vor 4 Wochen
Hallo pepe
Die AfD hat in den Braunkohlerevieren die meisten Simmen geholt
Darum kommt die Frage.
Wie will die AfD den dringend notwendigen Strukturwandel in den Braunkohlerevieren vorantreiben damit die Menschen dort wieder Land sehen. Schließlich ging es da um Landtagswahlen.