Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
Laut der Präsidentin des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) könnte eine Änderung des Grundgesetzes die deutsche Cybersicherheit voranbringen. Bildrechte: imago/CHROMORANGE

75 Jahre Grundgesetz BSI-Präsidentin fordert Grundgesetzänderung für Cyberabwehr

22. Mai 2024, 14:08 Uhr

Erst kürzlich hat das Bundeskriminalamt mitgeteilt, dass Deutschland immer öfter Ziel von Cyberangriffen aus dem Ausland ist. Um sich besser gegen solche Attacken zu wappnen oder zumindest im Krisenfall handlungsfähig zu bleiben, müssten etwa Bund und Länder in Fragen der Cybersicherheit stärker zusammenarbeiten. Doch das Grundgesetz verhindert das nach Ansicht der Präsidentin des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zum Teil. Cybersicherheitsexperten widersprechen ihr.

Ein großer Mann mit Locken und Brille steht vor einer Betonwand.
Bildrechte: MDR/Viktoria Schackow

  • Laut der BSI-Präsidentin könnte eine Änderung des Grundgesetzes die Zusammenarbeit verbessern sowie gemeinsame Übungen für den Ernstfall ermöglichen.
  • Anstatt das Grundgesetz zu ändern und damit die gesamte Verantwortung dem Bund zu übertragen, wäre es auch auf anderem Wege möglich, die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zu stärken.
  • Um einen besseren Überblick über die Cybersicherheitslage in Deutschland zu haben, könnten auch Behörden und Unternehmen verpflichtet werden, einschlägige Vorfälle zu melden.

Die IT-Sicherheitslage in Deutschland ist besorgniserregend – das sagt Claudia Plattner, Präsidentin des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), seit Monaten. Die Frage sei nicht, ob, sondern wann Deutschland großflächig und tiefgreifend von einem Cyberangriff getroffen wird.

Aktuell sei es nur schwer möglich, gemeinsam zu handeln, wenn zum Beispiel nach einem Cyberangriff in München und Hamburg gleichzeitig die Lichter ausgehen. Der Grund dafür liege auch im Grundgesetz.

Ein Gesamtüberblick und gemeinsame Übungen fehlen

BSI-Chefin Plattner zählt zwei Dinge auf, die die deutsche Cybersicherheit voranbringen könnten – die zwischen Bund, Ländern und Kommunen aber schwer umzusetzen sind: "Zu den Dingen, die wir gerne miteinander tun würden, gehört das Lagebild, dass Informationen fließen. Das dürfen sie aber eben nicht in der Form, wie wir uns das vorstellen. Wir haben außerdem noch das Thema für den Krisenfall miteinander üben, weil – wenn man eine Krise hat – dann hängt alles davon ab, wie gut man da ganz schnell koordiniert zusammenarbeitet. Das muss man aber üben. Da sagen uns dann auch die Verfassungsrechtler 'Hey, das gibt das Grundgesetz so nicht her!'"

Kein ausreichender Cyberüberblick und keine gemeinsamen Übungen. Und auch Technologien zwischen Bund, Ländern und Kommunen auszutauschen, sei schwierig, sagt Claudia Plattner. So habe das BSI eine Software entwickelt, um die Netze des Bundes zu schützen. Die dürfe man aber nicht an die Bundesländer weitergeben. Plattner möchte die rechtliche Lage klären, bevor es richtig groß knallt – je früher desto besser.

Stärkere Zusammenarbeit und keine Doppelzuständigkeiten

Das Grundgesetz dafür zu ändern, ließe sich zwar vertreten. Es sei aber unklug, alle Kompetenzen und die gesamte Verantwortung dem Bund zu übergeben, meint Dennis Kipker. Er ist Professor für IT-Sicherheitsrecht und Direktor des Cyber Intelligence Institute in Frankfurt am Main. Er würde eher die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern stärken, zum Beispiel in Artikel 73 des Grundgesetzes. "Da steht nämlich für bestimmte Bereiche drin, dass die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit in der Zusammenarbeit von Bund und Ländern auf bestimmte Bereiche übertragen werden kann, wie Kriminalpolizei (...). Da könnte man natürlich auch sagen 'Ja, Cybersecurity macht eben nicht an den Grenzen von Bundesländern halt' und dass man diese Kooperationsmöglichkeit verfassungsrechtlich noch stärker verankert."

Kipker sagt, wer das Grundgesetz ändern wolle, müsse gleichzeitig Doppelzuständigkeiten entwirren. Denn geht es zum Beispiel um die Cybersicherheit von Telekommunikations- oder Energieunternehmen, sei neben dem BSI auch die Bundesnetzagentur zuständig und bei Banken oder Finanzen gebe es noch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).

Pflicht zur Meldung von Vorfällen

Schon heute könnten Bund, Länder und Kommunen aber Informationen über Schwachstellen und Cyberangriffe austauschen, meint Kipker und widerspricht BSI-Präsidentin Plattner. Auch Sven Herpig hält den Informationsaustausch für unproblematisch. Er leitet bei der Stiftung Neue Verantwortung den Bereich Cybersicherheitspolitik und warnt vor einer vorschnellen Änderung des Grundgesetzes. "Der zweite Punkt, der in einer Debatte immer angesprochen wird, ist die Grundgesetzänderung für Gefahrenabwehr im Cyberraum durch Bundesbehörden, was das Innenministerium seit Jahren forciert. Da fehlt es aber an jeglichen Details. Gerade wenn es um Grundgesetzänderungen geht, brauchen wir hier eine ganz klare Kommunikation, wozu das gemacht werden soll und es müssen sich alle Parteien einig sein und die Mehrheit nicht durch irgendwelche Kuhhandel zustande kommt."

Für Herpig ließe sich ein besserer Überblick über die Cybersicherheitslage gewinnen, wenn viel mehr Behörden und Unternehmen dazu verpflichtet sind, ihre Vorfälle zu melden. Und zur Software-Weitergabe vom BSI an die Kommunen sagt Herpig: Das BSI könne seine Software jederzeit als Open Source zur Verfügung stellen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 22. Mai 2024 | 06:25 Uhr

8 Kommentare

Freies Moria vor 29 Wochen

Vergessen wir mal die Hilflosigkeit der BSI-Chefin im Tagesschau Interview durch die Forderung nach einer Potjemkinschen Fassade.
Nicht vergessen habe ich die Forderung von Kanzlerin Merkel: "Cybersicherheit ist wenn die Cybersicherheitsbranche mehr Umsatz macht"
Dumm nur, das Nordkorea, Russland und China sich über solche Cyberkompetenz die Hände reiben und sich in den Schlaf lachen.
Denen kann es nur recht sein, wenn bei uns Inkompetenz besser belohnt wird als Kompetenz - sieht man jeden Tag an den Nachrichten.

Freies Moria vor 29 Wochen

@steka: Anpassungen für die Aufnahme der neuen Bundesländer sind sicherlich sinnvoll, gern auch als neue Verfassung. Diese muss man aber gemeinsam diskutieren und ausarbeiten - dieser Punkt kam bei -allen- Grundgesetzänderungen seit der ersten Fassung ziemlich kurz.
Deshalb muss man zunächst mal zurückspulen, und verstehen was im Grundgesetz drinstand, und warum.
Aktuelles Beispiel Menschenrechte: Da geht es immer um Rechte von Nochnichtbürgern aber nie um die Rechte der Sindjetztschonbürger. So kann das einfach nicht funktionieren, mit einem solchen Diskussionsniveau ist jede Änderung garantiert fehlerbehaftet und verzerrend. Und das erleben wir dann tagtäglich im "neu ausgehandelten" Zusammenleben.
Stattdessen muss man sich erst einig werden was werden soll, dafür eine Verfassung bilden, und dann die Vorschrift mit Leben füllen.
So haben es die Väter des Grundgesetzes gemacht und bis zum Jahr 2000 hat das auch ziemlich gut gehalten - jedenfalls zehnmal besser als das Chaos seit 2001.

kleinerfrontkaempfer vor 29 Wochen

Cybersicherheit in ein Grundgesetz (Vorstufe einer Verfassung) einzuarbeiten entspricht der üblichen und gegenwärtigen Denk-und Handlungsweise der Politik.
Ein praktikables Gesetz/Verordnungen,Handlunsweisen/empfehlungen sollten eigentlich der Problematik ausreichend genüge tun.
Die Kleinstaaterei, der sogenannte Förderalismus steht nun im Wege. 16fache Bürokratie, 16facher Überbau, 16faches Kompetenzgerangel. Und dann noch die vielen bekannten (und unbekannten) bundeseigenen Behörden und Dienststellen. Allen soll möglichst per allgemeiner Verfügung und dehnbar wie Gesetzes"gummi" Handlungsvollmacht auf höchster Ebene erteilt werden.
Frau Plattner läßt mal einen Versuchsballon starten. Resonanz und Reaktion werden dann für spätere Vorhaben und Absichten dienlich sein.

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