Unter der Lupe Scholz und Macron
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Unter der Lupe – die politische Kolumne Neuer Schwung für das Weimarer Dreieck

17. März 2024, 05:00 Uhr

Bodentruppen oder Taurus-Lieferungen. Beides erhitzt die Gemüter. Beim Treffen der drei Regierungschefs aus Polen, Frankreich und Deutschland in Berlin war das offiziell kein Thema. Stattdessen waren alle Beteiligten schwer bemüht, den Eindruck von Streitigkeiten zu vermeiden. Im Gegenteil.

Der Kanzler achtet aufs Protokoll. Olaf Scholz zeigt, wo es langgeht, zumindest auf dem roten Teppich vor dem Kanzleramt. Fast freundschaftlich tippt er mal Donald Tusk, mal Emmanuel Macron auf den Arm. Laufen, umdrehen, stehen. Vieles wirkt in dieser Konstellation noch ungeübt. Die drei Regierungschefs müssen sich erst einfinden. Der Versuch aber lohnt sich. Das muss er auch. Das "Weimarer Dreieck" soll wiederbelebt werden. Das Gesprächsformat zwischen Ost- und Westeuropa braucht mehr denn je neue Impulse und eine gemeinsame Strategie. Olaf Scholz sollte dabei Führung zeigen, nach vorne gehen, Unstimmigkeiten ausräumen.

Rund 30 Jahre durch Höhen und Tiefen

Was einst Hans-Dietrich Genscher auf den Weg brachte, wirkt heute fast ein bisschen verloren. Genscher wollte die Achse Paris-Berlin bis nach Warschau erweitern, die deutsche Einheit als europäische Einheit denken und gestalten. 1991 wird der Gesprächskreis in Weimar gegründet, am 28. August, dem Geburtstag von Goethe, deutsches und europäisches Kulturerbe. Das Format hat nach seinem verheißungsvollen Anfang auch schwierige Zeiten erlebt. Von Balkonpolitik, schönen Bildern, wenig Taten war manches Mal die Rede.

Macron bei Merkel in Berlin
Frankreichs Präsident Macron und Ex-Bundeskanzlerin Merkel (Archivbild) Bildrechte: IMAGO / Political-Moments

Doch es war auch das "Weimarer Dreieck", in dem sich Altkanzlerin Angela Merkel und der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy für einen EU-Beitritt Polens stark gemacht haben. Kurz danach folgten mit Unterbrechung viele Jahre PIS-Regierung in Polen, schwierige Jahre mit den Kaczynskis. Polen schirmt sich in dieser Zeit weiter ab und verabschiedet sich von demokratischen Grundprinzipien in den Medien und der Justiz. Protektionismus statt mehr gemeinsames Europa. Das Gesprächsformat aber hat noch Kraft, wenn man es richtig anfasst.

Scholz gerät auch in eigenen Reihen unter Druck

Krieg und Krise haben vieles verändert in Europa. Die Sorgen sind wieder nationaler geworden. Jede Regierung versucht auf ihre Weise, die Folgen des Krieges abzufedern. Dabei läuft es gerade im Motorraum der Europäischen Union nicht wirklich rund. Frankreichs Präsident Macron prescht mit einem provokanten Vorschlag vor, schließt den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine nicht aus. Die Nato-Partner sind irritiert. Zu recht. Der deutsche Kanzler lehnt das per Videobotschaft ab. Kommunikationsprobleme zwischen Paris und Berlin.

Rolf Mützenich
Rolf Mützenich, SPD Bildrechte: picture alliance/dpa/Britta Pedersen

Scholz wiederum sitzt innenpolitisch zwischen den Stühlen. Sein NEIN zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine spaltet die Koalition. Es mag militärische Gründe dafür geben, es nicht zu tun, besonnen aufzutreten. Aber auch das kann und muss man besser kommunizieren. Es lässt den Kanzler einmal mehr zögerlich erscheinen. Druck kommt zunehmend auch aus den eigenen Reihen. Dass der sonst eher leise auftretende SPD-Fraktionschef so emotional im Plenum ausholt, ist eher selten. Rolf Mützenich spricht offen aus, was viele in der SPD-Fraktion denken - blanke Ablehnung dieses Krieges und weiterer militärischer Unterstützung. Den Konflikt einfrieren, wie Mützenich es fordert? Doch was heißt das?

In Europa Gemeinsamkeiten demonstrieren

Was nicht geht, ist schnell gesagt. Die Wirklichkeit aber verlangt in dieser Zeit jeden Tag unangenehme Entscheidungen, auch militärische. Das "Weimarer Dreieck" kann dabei helfen, eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur in Europa aufzubauen und den Gesprächsfaden aufzunehmen. Reden, wenn es geht und Putin will. Vor allem aber braucht es eine Demonstration der Gemeinsamkeiten, ohne Wenn und Aber. Das haben Scholz, Tusk und Macron offenbar verstanden. Der erste gemeinsame Auftritt war klar, deutlich und ohne viel Tamtam. Was strittig war, wurde öffentlich ausgeklammert.

Die Botschaft: weitere Unterstützung der Ukraine, auch militärische und mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen. Donald Tusk hat das auch mit Blick auf Amerika betont. Trump oder Biden, egal wer der nächste Präsident der Vereinigten Staaten wird, er wird von Europa mehr Eigenständigkeit, mehr militärische Unabhängigkeit einfordern. Dabei ist es gerade jetzt so wichtig, dass in Polen wieder einer an der Macht ist, der für Europa steht. Die Achse Paris-Berlin-Warschau ist eine große Chance, ein altes Gesprächsformat wiederzubeleben. Das wird von allen Beteiligten Disziplin und Kompromissbereitschaft verlangen. Scholz, Macron und Tusk sollten das "Weimarer Dreieck" nutzen, um eine gemeinsame Idee für ein stärkeres Europa zu entwickeln.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 15. März 2024 | 19:30 Uhr

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