West-Balkan-Route Faeser will irreguläre Migration beschränken

21. Oktober 2022, 07:50 Uhr

Über die westlichen Balkan Staaten sind bis September 2022 fast dreimal so viele Menschen in die Europäische Union geflüchtet als noch ein Jahr zuvor. Die Europäische Kommission spricht von 86.000 irregulären Grenzübertretungen. Die Innenministerin sieht die Staaten des Westbalkans und vor allem Serbien in der Pflicht, ihre Grenzen besser zu bewachen und Visaverfahren anzupassen, um Durchreisen zu verhindern. In Berlin erhöht die Ministerin den Druck.

Torben Lehning
Bildrechte: MDR/Tanja Schnitzler

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine treibt immer mehr Ukrainerinnen und Ukrainer in die Flucht. Allein bis August dieses Jahres floh bereits eine Millionen Menschen nach Deutschland. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geht davon aus, dass es bis Jahresende mehr Menschen sein werden als im Jahr 2015.

Die angespannte Situation

Die Solidarität in der EU und Deutschland ist groß. Nach Polen hat die Bundesregierung bisher das zweitgrößte Kontingent von Geflüchteten aufgenommen. Ukrainerinnen und Ukrainer müssen dank einer EU-Richtlinie, die temporären Schutz gewährleistet, keine Asylanträge stellen. Somit können sie, insofern vorhanden, direkt Wohnungen beziehen und ihre Kinder in Kitas und Schulen betreuen lassen.

Auch wenn die Asylbehörden damit nicht direkt für die ukrainischen Geflüchteten zuständig seien, kämen Sozialleistungsbehörden, Jobvermittlungen und NGOs an die Belastungsgrenze, erklärt Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM).

Steigende Zahlen auch aus anderen Herkunftsstaaten

Zusätzlich steigt jetzt auch die Zahl Geflüchteter aus anderen Herkunftsstaaten wieder stärker an. Bis Ende September stellten 135.000 Geflüchtete aus diesen Staaten Asylanträge in der Bundesrepublik. Die meisten von ihnen kommen aus Nord-Afrika, und dem Nahen Osten. Für Engler gibt es einen klaren Zusammenhang mit dem Ende der Pandemie. Über zwei Jahre lang, sei an den Grenzen kaum ein Durchkommen gewesen. Jetzt würden viele Geflüchtete über die Westbalkan-Route ihr Glück versuchen. Manche von ihnen kämen aus Tunesien, Marokko, um in der EU eine Arbeit zu finden, andere flüchteten aus Afghanistan oder Syrien und erreichten den Balkan über die Türkei. Das seien jedoch nur wenige, da die Grenzkontrollen sowohl in der Türkei als auch in Staaten wie Griechenland oder Kroatien sehr repressiv und teilweise gewalttätig seien, sagt Engler.

Weiter sei klar, dass viele der Geflüchteten immer wieder durch illegale Push Backs und Zurückweisungen an den Grenzen zurückgedrängt würden, eine Weile abwarten und es dann wieder mit einer Einreise versuchen, so der Migrationsforscher. Wie groß die Zahl der Geflüchteten in den Westbalkan-Staaten sei, könne also keiner genau sagen. Es sei jedoch offensichtlich, dass viele der Geflohenen mehrfach in den Statistiken der Grenzbeamten erfasst würden.

Der serbische Sonderfall

Schon seit Wochen fordert Bundesinnenministerin Nancy Faeser Serbien dazu auf, seine Visa-Praxis an die EU anzupassen. Dabei betont die Ministerin immer wieder die EU Beitritts-Ambitionen des Landes. Serbien würde Bürgerinnen und Bürger von Staaten einreisen lassen, die das Kosovo nicht anerkennen, das sei unakzeptabel. Tatsächlich dürfen in Serbien Menschen aus Indien, Kuba, Tunesien, Burundi und anderen Staaten ohne Visa einreisen. Der EU ist das ein Dorn im Auge. Steht sie doch unter enormen Druck. Staaten wie Österreich und Ungarn werfen der EU immer wieder vor, zu wenig gegen illegale Grenzübertritte zu tun.

Faeser erhöht den Druck

In Berlin traten am Donnerstag EU Kommission, Bundesinnenministerin Faeser mit europäischen Kolleginnen und Kollegen und ihren Amtskollegen aus den Westbalkan-Staaten zusammen. Ein Teil des Ergebnisses stand schon Ende der Konferenz fest, hatte Serbien doch bereits angekündigt, die Visa-Verfahren bis zum Jahresende europäisieren zu wollen.

Doch der Nachdruck der europäischen Institutionen dürfte in Berlin klargemacht worden sein. Weiter verkündigen Faeser und EU Kommissarin Johansson, dass die Kontrollen der europäischen Grenzschutzagentur Frontex im Westbalkan verstärkt werden sollen. Man wolle Menschen schützen, die vor Krieg und politischer Verfolgung fliehen, so Faeser. Gleichzeitig müsse man aber auch gegen irreguläre Migration vorgehen, so die Innenministerin.

Die Frage bleibt offen, wie stark damit auch die Migration von Geflüchteten aus Afghanistan und Syrien begrenzt wird, die durchaus eine Chance auf ein erfolgreiches Asylverfahren in der EU hätten.

Die Zahl der Geflüchteten in Deutschland insgesamt wird sich durch mehr Grenzkontrollen und ein neues Visarecht in Serbien sobald nicht merklich ändern. Der Großteil neuer Geflüchteter in Deutschland kommt nach wie vor aus der Ukraine.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL | 20. Oktober 2022 | 19:14 Uhr

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