Collage: Ein Mann sitzt im Symbol für Männer, eine Frau sitzt an einem Laptop im Symbol für Frauen-.
In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt verdienen Frauen fast überall schlechter als Männer. Bildrechte: imago images / Westend61 | Collage: Fabian Frenzel

Unterschiede beim Gehalt So groß ist der Gender Pay Gap in Mitteldeutschland

20. März 2024, 08:54 Uhr

Frauen verdienen in Deutschland um fast 18 Prozent schlechter als Männer – aber die regionalen Unterschiede sind gewaltig. In zwei mitteldeutschen Kreisen liegen die Frauen beim Gehaltsvergleich sogar vorne. Woran das liegt und wie groß der Gender Pay Gap in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist.

Porträt David Wünschel
Bildrechte: David Wünschel

Frauen verdienen in Deutschland immer noch deutlich weniger als Männer: Ihr Bruttolohn lag 2023 laut einer Auswertung des Statistischen Bundesamts bei durchschnittlich 20,84 Euro pro Stunde, bei Männern waren es 25,30 Euro. Ein Unterschied von 18 Prozent. So groß ist der Gender Pay Gap in Deutschland.

Eine kürzlich erschienene Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat die Lohnlücke für 400 deutsche Landkreise und kreisfreie Städte analysiert. "In Deutschland ist die Benachteiligung von Frauen nicht nur größer als in anderen europäischen Ländern, die regionalen Unterschiede sind auch stärker ausgeprägt", sagt Michaela Fuchs, wissenschaftliche Mitarbeiterin am halleschen Standort des IAB und Mitautorin der Studie.

Am größten ist der Gender Pay Gap demnach ganz im Süden Deutschlands: Im Bodenseekreis liegt der Bruttoverdienst von sozialversicherungspflichtig vollzeitbeschäftigten Frauen im Schnitt um 38,2 Prozent unter jenem der Männer. Unter den mitteldeutschen Kreisen ist die Lohnlücke im Wartburgkreis in Thüringen mit 15,6 Prozent am höchsten.

Nur in vier Kreisen liegen die Frauen vorne: in Frankfurt an der Oder, in Cottbus, in Stendal und in Dessau-Roßlau, wo Frauen 2,5 Prozent mehr verdienen als Männer – bundesweiter Spitzenwert.

An Dessau-Roßlau und dem Bodenseekreis lässt sich viel über die unterschiedlichen Chancen von Männern und Frauen am Arbeitsmarkt ablesen. In Dessau-Roßlau arbeitet laut der IAB-Studie mehr als jede dritte vollzeitbeschäftigte Frau in einem Krankenhaus, in der öffentlichen Verwaltung oder in der Pharmabranche. Fast jede vierte vollzeitbeschäftigte Frau hat einen akademischen Abschluss. Unter den Männern ist es nur jeder sechste. Viele von ihnen arbeiten im Schienenfahrzeugbau, die Deutsche Bahn hat in Dessau ein großes Ausbesserungswerk.

"Frauen bringen hier eigentlich viel mehr mit und müssten einen noch größeren Vorsprung auf die Männer haben", sagt Fuchs. "Aber sie können ihre Vorteile nicht so gut realisieren."

In industriell geprägten Regionen ist der Gender Pay Gap tendenziell größer

Im Bodenseekreis hingegen tummeln sich die Ingenieure. Hier sitzt die ZF Friedrichshafen, einer der größten Automobilzulieferer der Welt; auch Airbus hat einen Standort. Unter den Männern im Bodenseekreis arbeitet rund jeder dritte Vollzeitbeschäftigte im Maschinenbau, bei den Frauen ist es nur jede Zehnte. Die meisten Industrieunternehmen seien immer noch männlich geprägt, sagt Fuchs – und weil dort gute Gehälter gezahlt würden, sei der Gender Pay Gap in Regionen mit einer starken industriellen Basis wie im Bodenseekreis im Schnitt deutlich größer.

Die Daten der IAB-Studie

Das IAB ist die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit und berechnet den Gender Pay Gap auf Basis von Daten zu allen sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten. Dazu zählen auch Auszubildende und Praktikantinnen, nicht aber Beamte, Rentnerinnen und Selbstständige. Teilzeitangestellte berücksichtigt das IAB in seinen Berechnungen nicht, da der Arbeitsagentur keine Angaben zum Umfang der Teilzeitbeschäftigung vorliegen. Das durchschnittliche Tagesentgelt ergibt sich aus dem Gesamtbruttolohn inklusive aller Zuschläge, geteilt durch die Beschäftigungsdauer in Kalendertagen. Bei einer durchgängigen Beschäftigung und einem Bruttojahreslohn von 36.500 Euro beträgt das Tagesentgelt also 100 Euro. Löhne, die über der Beitragsbemessungsgrenze liegen, werden vom IAB mit statistischen Methoden geschätzt.

Zu den lokalen Besonderheiten kommen historisch bedingte Unterschiede zwischen den Bundesländern. Anders als im Westen galt in der DDR in vielen Familien das Doppelversorgermodell: Beide Elternteile gingen arbeiten, die Kinder kamen in Kitas oder Ganztagsschulen unter.

Noch heute besucht in den neuen Bundesländern mehr als jedes zweite Kind unter drei Jahren eine Kita, in den alten Bundesländern ist es laut einem Report der Bertelsmann-Stiftung nur jedes dritte. Die gesellschaftliche und soziale Prägung sei im Osten "viel förderlicher für Frauen, um auch mit mehreren Kindern viele Wochenstunden oder sogar in Vollzeit zu arbeiten", sagt Fuchs.

In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind Frauen am Arbeitsmarkt also weniger benachteiligt als in den alten Bundesländern. Mehr Geld verdienen sie trotzdem nicht: In Dessau-Roßlau beträgt das durchschnittliche Tagesentgelt einer vollzeitbeschäftigten Frau laut der IAB-Studie 110 Euro und damit sieben Euro weniger als im Bodenseekreis.

Die gewaltige Lohnlücke entsteht durch die Gehälter der Männer: In Dessau-Roßlau liegen ihre Tagesentgelte im Schnitt bei 108 Euro, im Bodenseekreis bei 172 Euro. Umgerechnet auf einen Bruttojahreslohn entspricht das einem Unterschied von mehr als 23.000 Euro.

Bei den Männern ist das Lohngefälle zwischen Ost und West riesig

Dass die Männer im Westen so viel mehr verdienen, liegt Michaela Fuchs zufolge unter anderem an der regionalen Wirtschaftsstruktur. Die meisten Großbetriebe sitzen in den alten Bundesländern. Dort gebe es viele Möglichkeiten zur Weiterentwicklung, bessere Karrierechancen und "gut bezahlte Jobs, auf denen meist Männer sitzen", sagt Fuchs. "Diese Gelegenheiten haben Männer in Ostdeutschland so nicht." Ein Blick auf die Karte der durchschnittlichen Tagesentgelte zeigt: Bei den Frauen ist das Lohngefälle zwischen Ost und West gering, bei den Männern ist es riesig.

Besonders wenig verdienen die Frauen den IAB-Zahlen zufolge im Saale-Orla-Kreis (85 Euro pro Tag) und in Sömmerda (88 Euro) in Thüringen, bei den Männern belegen der brandenburgische Elbe-Elster-Kreis (95 Euro) und der sächsische Erzgebirgskreis (96 Euro) die letzten Plätze.

Der bereinigte Gender Pay Gap liegt bei 6 Prozent

Rund zwei Drittel des Gender Pay Gaps lassen sich Statistikern zufolge damit begründen, dass Frauen öfter in Teilzeit und in schlecht bezahlten Berufen arbeiten. Das verbliebene Drittel bezeichnen Statistiker als bereinigten Gender Pay Gap. Er zeigt, wie groß die Lohnlücke selbst dann ist, wenn Frauen im gleichen Beruf arbeiten wie Männer und dieselbe Qualifikation und Erfahrung mitbringen.

Beim bereinigten Gender Pay Gap liegen die Kreise deutlich näher beieinander. Der Unterschied zwischen dem Bodenseekreis und Dessau-Roßlau schrumpft von 41 auf 10 Prozent – was unter anderem daran liegen dürfte, dass Männer häufiger Maschinenbau studieren und Frauen häufiger Medizin oder Pharmazie. Die Männer finden im Bodenseekreis gut bezahlte Jobs, die Frauen in Dessau-Roßlau.

Am höchsten ist die bereinigte Lohnlücke im bayerischen Freyung-Grafenau (26,6 Prozent), in den mitteldeutschen Bundesländern liegt Eichsfeld (17,2 Prozent) vorne; am niedrigsten ist sie in Suhl in Thüringen (5,5 Prozent). In keinem einzigen der 400 Kreise ist sie negativ – was darauf hindeutet, dass Frauen überall in Deutschland unter gleichen Umständen schlechter abschneiden als Männer. "Es gibt immer noch Normen, Werte und patriarchalische Strukturen, die diese Unterschiede bestimmen", sagt Fuchs.

Immerhin: Seit der ersten Messung im Jahr 2006 ist der bereinigte Gender Pay Gap laut Auswertungen des Statistischen Bundesamtes von 9 auf 6 Prozent gesunken, der unbereinigte Gender Pay Gap von 23 auf 18 Prozent. Vor allem beim bereinigten Gender Pay Gap unterscheiden sich die Angaben je nach Quelle, da das Statistische Bundesamt im Gegensatz zum IAB auch Teilzeitkräfte in seine Auswertungen einbezieht.

Damit die Lücke noch kleiner wird, sollten Frauen Fuchs zufolge häufiger überlegen, ob sie in ihrem Job genug verdienen. Wer unsicher ist, ob männliche Kollegen besser bezahlt werden, kann das über eine Auskunft nach dem Entgelttransparenzgesetz herausfinden.

MDR (David Wünschel)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 19. März 2024 | 11:00 Uhr

15 Kommentare

kleinerfrontkaempfer vor 5 Wochen

Gender Pay Gap, Eqal Payday, mal ehrlich geht es nicht noch exotischer.
Man könnte glatt "Schweinekram" auf den ersten Blick vermuten.
Der Begriff Gleiche Bezahlung ist bekannt, aber neudeutsch jetzt Eqal Pay sprachlich angebracht. Gibts das evtl auch auf bayrisch, schwäbisch oder sächsisch? Oder friesisch?
Das wäre doch mal ein eine echte Marke.

MDR-Team vor 5 Wochen

Hallo geradeaus,
in der Grafik steht ein Minus vor den 2,5 Prozent. Bedeutet, dass Frauen in dem genannten Kreis im Schnitt mehr verdienen. Es handelt sich um eine doppelte Verneinung sozusagen. Diese Krücke ist durch die Vereinheitlichung der Grafik entstanden. Denn in der Regel ist der Lohnunterschied zugunsten der Männer zu verzeichnen.

geradeaus vor 5 Wochen

Im 4. Absatz über der 1. Grafik steht: ...in Dessau-Roßlau, wo Frauen im Schnitt 2,5% mehr verdienen als Männer.
So wenn ich dann jedoch in der Grafik direkt darunter Dessau-Roßlau anklicke steht dort das Frauen 2,5% weniger als Männer verdienen.

Also wie nun ?

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