KZ Lichtenburg
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Zahlreiche Facetten Antisemitismus erkennen: KZ-Gedenkstätte Lichtenburg schult Polizisten

André Damm, MDR SACHSEN-ANHALT

15. Dezember 2023, 09:26 Uhr

In der KZ-Gedenkstätte Lichtenburg in Prettin im Landkreis Wittenberg werden Polizeibeamte über Formen des Antisemitismus geschult. Auch mehren sich die Anfragen von Besuchern, die nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober dieses Jahres nach Orientierung suchen. Denn fest steht auch: Antisemitische Vorfälle haben deutlich zugenommen.

MDR-Reporter André Damm
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Das Modell des früheren Konzentrationslagers ist in einem unschuldigen Weiß gehalten, verliert dadurch aber nichts an seinem Grauen. Es bildet einen Komplex ab, der an eine Fabrik erinnert: Arbeitsbereiche, Umkleiden, Schlafabteile und Sicherheitszonen lassen sich mit Knopfdruck anstrahlen. Auf der Lichtenburg, mitten in der Kleinstadt Prettin, erzählt Melanie Engler, sind bereits in den 1930er-Jahren Menschen ausgebeutet, gefoltert oder sogar getötet worden, weil sie das NS-Regime ablehnten oder der jüdischen Konfession angehörten. Die Leiterin der KZ-Gedenkstätte spricht vom dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte.

Krieg im Nahen Osten befeuert Antisemitismus

Mehr als sieben Jahrzehnte sind seitdem vergangen. Wenn die Leiterin der Gedenkstätte, Melanie Engler, bislang vor Schulklassen über Judenhass in der damaligen Zeit sprach, dann klang das immer ein bisschen nach Geschichtsunterricht. Doch der derzeitige Krieg im Nahen Osten, der täglich unerträgliche Bilder von Toten und Verletzten liefert, hat alles verändert.

"Gerade merken wir, dass der Israel-bezogene Antisemitismus immer mehr Raum einnimmt, das hören wir auch von Besuchern, die viele Fragen haben. Denn der Krieg hat dazu geführt, dass die antisemitischen Vorfälle quasi durch die Decke gehen. Da ist es wichtig, Angebote zu schaffen", sagt Engler.

Die Suche nach einem Schuldigen

Unter Angeboten versteht die Prettiner Museumschefin auch einen Bildungsauftrag. Es mache nur Sinn über Antisemitismus zu reden, sagt Melanie Engler, wenn man sich mit diesem Phänomen auseinandersetze. Denn Antisemitismus gebe es seit Jahrhunderten und immer werde – wenn die Welt aus den Fugen gerät – nach Schuldigen gesucht. Dann sei von einer jüdischen Weltverschwörung die Rede, dass Regierungen und die Finanzelite unterwandert werden, dass die freien Medien zu einer Lügenpresse oder Judenpresse verkommen. Fake News an Stammtischen, in Talkshows oder sozialen Medien bereiten dem Antisemitismus neuen Nährboden. Das ist die subtile Vorgehensweise, so Engler, häufig führt die klischeehafte Darstellung jüdischer Menschen aber auch zu tätlichen Angriffen und perfiden Beleidigungen.

KZ Lichtenburg
Im KZ Lichtenburg waren während der nationalsozialistischen Diktatur Tausende Menschen inhaftiert. Bildrechte: MDR/André Damm

Unverstandene antisemitische Codes

Da kommen auch antisemitischen Codes zur Anwendung. Eine unbewusste Kommunikation ist etwa dann möglich, wenn die Codes zwar gesehen, aber nicht "gelesen" werden können und daher einfach weiterverbreitet werden. Die Amadeu Antonio Stiftung führt in einer Broschüre Beispiele auf:

  • "Jüdische Hochfinanz"
  • mit "JewSA" wird eine jüdische Kontrolle der US-amerikanischen Politik und Wirtschaft angedeutet
  • Kürzel wie "ZOG" stehen für eine zionistisch besetzte Regierung
  • als antisemitisch gelten auch Tiermetaphern von Krake, Schwein und Schlange

Diese vermittelten Botschaften haben das gefährliche Potenzial Hass und Hetze sowie Gewalt zu relativieren und Gesellschaften zu spalten, heißt es von der Stiftung weiter.

Schulungen für die Polizei

Diese Codes und Erzählungen zu erkennen, ist auch für die Polizei wichtig. Engler von der KZ-Gedenkstätte kooperiert dazu mit der Polizei, hat zuletzt Spitzenbeamte aus Sachsen-Anhalt geschult. Dabei informiert sie über den Ursprung der Judenfeindlichkeit und heutige Formen des Antisemitismus. "Mit den antisemitischen Codes wird die Dämonisierung des Staates Israel fortgeschrieben. Bei den Workshops erklären wir, wie Antisemitismus sichtbar ist. Und das ist für Polizeibedienstete wichtig, wenn sie Demonstrationen abzusichern haben und auf solche Codes reagieren müssen", sagt Engler.

Ausstellung: Zwölf persönliche Schicksale

Um das anschaulich zu vermitteln, nutzt Melanie Engler die in Prettin konzipierte Wanderausstellung "Markiert, Verfolgt – eine Schau über jüdische Identitäten und NS-Tatorte". Zwölf lebensgroße Tafeln dokumentieren zwölf Schicksale aus sechs Gedenkstätten Sachsen-Anhalts. Fotos, Dokumente, persönliche Geschichten von Menschen werden präsentiert, die wegen ihrer jüdischen Konfession misshandelt oder getötet wurden.

Der Bad Schmiedeberger Altpfarrer Christoph Krause holte die Ausstellung voriges Jahr in die Stadtkirche der Kurstadt. "Wir wollen zeigen, dass es Konzentrationslager nicht nur in Polen, also in Auschwitz oder Majdanek gegeben hat, sondern auch hier bei uns, direkt vor unserer Haustür."

KZ Lichtenburg
Die aktuelle Ausstellung zeigt das persönliche Schicksal von zwölf Jüdinnen und Juden. Bildrechte: MDR/André Damm

Dass sich nun vor unseren Haustüren wieder antisemitische Tendenzen zeigen, beunruhigt Melanie Engler von der Prettiner KZ-Gedenkstätte. Sie will mit Information und Aufklärung etwas dagegen setzen. Aber sie rechnet damit, dass es nicht einfach und lange dauern wird.

MDR (André Damm)

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 14. Dezember 2023 | 13:30 Uhr

15 Kommentare

hinter-dem-Regenbogen vor 21 Wochen

@DanielSBK __"ie sollten sich bei der Polizei bewerben... "

Warum benötigt es Schlauheit, um seine Mitmenschen zu analysieren. Der Hass und die Freude sind unsere natürlichen Wegbegleiter und nur wer das anders sieht, versucht seine Mitmenschen, seine Arbeitskollegen seinen Nachbarn umzuerziehen.

An dieser Stell wird ausdrücklich, hinsichtlich dieser Beziehung auf eine Amadeu-Stiftung hingewiesen. Es dürfte doch bekannt sein, dass die Amadeus-Stift viele Millionen Euro Steuergeld bekommmt, um erzieherischen Projekte und Maßnahmen ins Leben zu rufen.

PS:
Wenn andere für mich Denken, ja warum soll ich mich dann noch bemühen ?
Der Kommunismus war noch nie mein Ding und die Amadeus-Stiftung wird das auch nicht bewirken. - - - Ich denke , dass ich nicht alleine mit meiner Meinung bin.

Und um mich zu verteidigen und die jetzt aufbrausenden Gemüter zu beruhigen - Zu meinem Freundeskreis gehören sowohl Juden, als auch knallharte Kommunisten.
Wir leben friedlich nebeneinander . .

hinter-dem-Regenbogen vor 21 Wochen

@Hallo ___"Unterschiede in der Wertigkeit von Opfern von Gewalt? . . ."

- Zur Stärkung der Kampfmoral von Soldaten -
Die Psychologie des Krieges verlangt eine Wertung der Opfer. Nicht selten, so u.a im zweiten Weltkrieg geschehen, wurde Leichen Kilometerweit transportiert und Rituale des Krieges und des Kampfes (Empörung und Hass) inszeniert . Wer die wirklichen Mörder waren, blieb dabei auch schon mal offen.

Zu diesen Vorgängen gibt es einschlägige Literartur.

PS:
und auch heute bekommen wir wieder Bilder aus den Kriegsgebieten via Massenmedien kredenzt, die unser Gemüt erschaudern lassen, Ohnmacht und Hass schürren und die Bereitschaft zum Kampf beflügeln.

Es ist nun mal so, wenn junge Menschen vor laufender Kamera gefoltert werden oder die Großfamilien von Babi bis Oma ihrer Behausung beraubt werden - dann zeugt das Emotionen und Parteilichkeit .

Parteilichkeit wiederum dient auch dazu, den Geldfluß zu generieren. Denn auch der Krieg verschlingt sehr viel davon.

hinter-dem-Regenbogen vor 21 Wochen

@Shantuma ___"Israel macht massive Fehler im Umgang mit den Palästinsern . . ."

Die Frage ist bis heute nicht beantwortet, ob es das Wesen der Religionen ist oder das Handeln der Menschen, was die Situation vor Ort beflügelt. Dazu muß man wissen, dass die Mehrheit der Israelis zugewanderte Personen sind und somit auch andere Lebenskulturen und Lebensformen mitbringen .

Genau genommen, begannen die Feindschaften mit dem Einmarsch und der Besetzung Französischer und Englischer Truppen im Nordafrikanischen Raum in den Jahren unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg. Und erst der wachsende Bedarf und der Handel mit dem Energieträger (OeL) , führte zu der bis heute andauerden blutigen Feindschaft. Ein Krieg wurde wohl einst eröffnet , aber dieser Krieg wurde bis heute nicht bendet.

Der Kolonialismus, das Öl und die Kultur wurde den Ländern im arabischen Raum zum Verhängnis und so begann bereits in der Vergangenheit die Gegenwart.

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