Eine Seniorin hält die Kette ihrer Wohnungstür, die geöffnet ist
Immer wieder werden ältere Menschen Opfer von Betrügerbanden, die den Enkeltrick anwenden. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Nikito

Kommentar Der Enkeltrick als Spiegel einer altersfeindlichen Gesellschaft

21. August 2023, 10:09 Uhr

Mal sind es 5.000, mal 10.000 und im Extremfall auch mal 100.000 Euro, die mit sogenannten Enkeltricks ergaunert werden. Das setzt voraus, dass bei älteren Menschen große Summen Bargeld zu Hause lagern. Denn in den meisten Banken bekommt man nicht mehr als fünftausend Euro ohne Anmeldung ausgezahlt. Doch warum lagern ältere Menschen so viel Bargeld zu Hause?

Portrait-Bild von Uli Wittstock
Bildrechte: Uli Wittstock/Matthias Piekacz

Man stelle sich ein Leben ohne Handy oder Internet vor. Was für wohl die meisten Menschen im Erwerbsleben kaum vorstellbar ist, gehört für Menschen im fortgeschrittenen Alter zum Alltag. Während sich zahlreiche Lebensbereiche immer weiter digitalisieren, ist nach aktuellen Erhebungen noch immer mehr als jeder zehnte in Sachsen-Anhalt offline.

Davon dürfte ein großer Teil der Offliner zu den alten Menschen zählen, also jener Generation, die gelernt hat, dass man Bargeld vom Bankschalter holt.

Bankschalter als Auslaufmodell

Zwar gibt es solche Bankschalter noch, doch die Wege zu ihnen werden immer weiter, insbesondere in ländlichen Räumen. Das kritisiert auch die Vorsitzende der Landesseniorenvertretung, Angelika Küstermann: "Ein großes Problem ist, dass die Menschen nicht mehr ohne fremde Hilfe zur Bank kommen." Wenn Kinder oder Enkel zu Besuch sind, dann wird das oft auch genutzt, um Bargeld von der Bank zu holen, gerne auch in größeren Summen, damit es für mehrere Wochen reicht.

Online-Banking sei für viele Senioren keine Alternative zum Besuch am Bankschalter, so Angelika Küstermann: "Viele können mit dem Internet nicht umgehen, haben auch kein Handy, was sie nutzen können. Und beim Thema Geld sucht man dann auch nicht so einfach Hilfe bei Nachbarn oder Bekannten."

Und selbst Bankautomaten verschwinden zunehmend. Zum einen, weil sie immer wieder Ziel von Attacken werden, zum anderen, weil der Trend zum bargeldlosen Zahlen zunimmt.

Politisches Vertrauen fehlt

Derzeit leben in Sachsen-Anhalt rund 200.000 Menschen, die älter als 80 Jahre sind. Das sind Menschen, die noch den Krieg erlebt haben, Zerstörung und Wiederaufbau, sowie mehrere Währungsreformen. Die aktuellen Nachrichten sorgen da mitunter für ungute Erinnerungen: "Das Vertrauen in die Politik fehlt. Und wenn dann noch aktuelle Entwicklungen hinzukommen, wie die gegenwärtige Inflation, wundert es nicht, dass so mancher sein Geld lieber unterm Kopfkissen hat," erklärt Angelika Küstermann. Genau diese Verunsicherung machen sich aber Betrüger zu nutze.

Angst vor Pflegekosten

Ein weiterer Grund für ältere Menschen, größere Mengen Bargeld zu Hause aufzubewahren, ist die Angst, dass im Pflegefall die Heime auf dieses Geld Zugriff bekommen. Das allerdings ist eine eher unbegründete Befürchtung, erklärt Josefine Pönicke von der Pflegeberatung der Verbraucherzentrale Halle: "Ein Pflegeheim kann nicht per se auf das Konto zugreifen. Natürlich kann jeder Bewohner bestimmte Personen bevollmächtigen, dies zu tun. Aber es ist davon abzuraten, dass man Mitarbeiter eines Pflegeheims dazu bevollmächtigt."

Doch vollständig weltfremd ist die Befürchtung nicht, denn wenn das Geld nicht für die Unterbringung reicht, dann übernimmt das Sozialamt die Kosten. Das allerdings prüft natürlich, ob wirklich ein Sozialfall oder nicht doch noch Vermögen vorhanden ist, so Josefine Pönicke: "Das Sozialamt hat das Recht, bei der Antragstellung Kontoauszüge einzusehen, die müssen oftmals bei der Antragstellung mit eingereicht werden. Die Behörde hat zudem die Möglichkeit, bis zu zehn Jahre zurück zu prüfen."

Sozialbetrug oder gute Absicht?

Mit den derzeit steigenden Heimkosten sei das Thema eines der Wichtigsten in der derzeitigen Pflegeberatung: "Wir haben immer wieder Anrufe, wo Leute sagen, ich hatte doch 10.000 Euro für meinen Enkel weggelegt. Damit der studieren kann, oder für seinen Führerschein." Allerdings stellt sich in diesen Fällen die Frage, warum der Steuerzahler den Heimaufenthalt bezahlen soll, damit der Enkel seinen Führerschein machen kann. Dennoch ist die Angst vor den Heimkosten ein weiterer Grund, warum ältere Menschen zu Hause hohe Summen an Bargeld lagern.

Prävention ist schwierig

Seit Jahren berichten Medien intensiv über das perfide Vorgehen der Betrügerbanden, die meist länderübergreifend arbeiten und deshalb für die Polizei nur schwer zu greifen sind. Hinzu kommt, dass vor allem alleinstehende Menschen Opfer sind, so dass im Moment des Schockanrufs niemand unmittelbar helfen kann.

Die Seniorenräte im Land bieten zwar immer wieder Vorträge und Informationen zum Thema an, doch die Nachfrage sei nicht sehr groß, räumt Angelika Küstermann von der Landesseniorenvertretung ein. Sie fordert stattdessen auch ein politisches Engagement: "Es muss mehr mobile Bankberatung in den Dörfern geben. Das ist dringend notwendig und da muss das Land im Zweifelsfall auch Geld in die Hand nehmen, um das zu unterstützen." Mehr Bankberatung vor Ort würde älteren Menschen mehr Sicherheit rund ums Thema Finanzen vermitteln. Ansonsten gilt der Hinweis, wann immer bei einem Telefonat von Geld die Rede ist, das irgendjemand brauche, sofort auflegen.

MDR (Uli Wittstock, Moritz Arand) | Erstmals veröffentlicht am 20.08.2023

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 15. August 2023 | 17:30 Uhr

29 Kommentare

ElBuffo vor 36 Wochen

Behauptet auch niemand. Es geht um körperliche Einschränkungen, die der gabz natürliche Gang der Dinge sind und die man auch nicht wegbeten kann. In einer Gerontokratie wird der Gesetzgeber wohl erst dann reagieren, wenn genug fahruntüchtige Senioren andere Senioren überfahren haben. Im der Versicherungsbranche wurde der Trend jedenfalls schon erkannt. Natürlich auch das altenfeindlich.

ElBuffo vor 36 Wochen

Naja, ein paar Altlasten wurden der jungen Generation schon hinterlassen. Dazu gehören jetzt wahrscheinlich auch ein gewisser Altersstarsinn und der Vorwurf eigene Unzulänglichkeiten als altenfeindlich darzustellen.
Dass in einem von der Allgemeinheit finanzierten Sozialstaat nur die finanziert werden sollen, die dieser Hilfe bedürfen, finde ich erstmal nicht verkehrt. Aber selbstverständlich ist es ganz dolle altenfeindlich, wenn die Erwerbstätigen ordentlich für Rente, Krankenversorgung und Pflege zahlen.

salzbrot vor 36 Wochen

und was hat der Artikel mit altersfeindlicher Gesellschaft zu tun? Auf so eine Überschrift kann man doch nicht allein wegen der Digitalisierung kommen.

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