Kurz vor Jahrestag des Halle-Attentates Zentralrat der Juden stellt Eignung von Innenminister Stahlknecht in Frage

06. Oktober 2020, 17:13 Uhr

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat Zweifel an der Eignung von Holger Stahlknecht als Innenminister. Grund sind Aussagen zum Polizeischutz für jüdische Einrichtungen. Der Zentralrat der Juden sieht darin Tendenzen, die den Antisemitismus befördern. Stahlknecht selbst betont, missverstanden worden zu sein. Die Opposition forderte den Rücktritt des Ministers.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) steht in der Kritik: Der Zentralrat der Juden hat öffentlich die Eignung des 55-Jährigen als Innenminister in Frage gestellt. Präsident Josef Schuster sagte den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland, Stahlknecht habe mit seinen jüngsten Äußerungen suggeriert, Juden seien privilegiert – und Schuld daran, wenn die Polizei sich nicht mehr angemessen um die Belange anderer Bürgerinnen und Bürger kümmern könne.

Ein Landesinnenminister scheut sich nicht, Juden als privilegiert darzustellen und sie gegen andere Bevölkerungsgruppen auszuspielen. Damit befördert er Antisemitismus. Das ist ein Armutszeugnis.

Josef Schuster Präsident des Zentralrats der Juden, im Interview mit dem RND

Doch um welche Aussagen geht es eigentlich – und was sagt Stahlknecht selbst zu den Vorwürfen?

Was genau hat Holger Stahlknecht gesagt?

Holger Stahlknecht war vergangenen Freitag zu Gast in Dessau-Roßlau. Dort traf sich der Innenminister mit Beamten der Polizeiinspektion. Es war ein sogenannter Arbeitsbesuch, Thema unter anderem die hohe Arbeitsbelastung vieler Polizeibeamter. Das Treffen fand hinter verschlossenen Türen statt. Doch wie in solchen Fällen üblich, gab es dennoch ein Statement für die Presse. Stahlknecht sagte da laut Mitteldeutscher Zeitung, das Polizeirevier in Dessau leiste seit dem Attentat von Halle voriges Jahr im Oktober monatlich 1.500 Arbeitsstunden zusätzlich, um jüdische Einrichtungen in Dessau abzusichern. Daran, so Stahlknecht, solle auch nicht gerüttelt werden. Nur: Die besagten 1.500 Stunden, die fehlten an anderer Stelle. Es könne daher sein, so wird der Minister in der MZ weiter zitiert, dass die Polizei nicht bei jeder Anforderung pünktlich zur Stelle sei.

Gemeint waren dem Bericht zufolge keine sogenannten Blaulichteinsätze, sondern tendenziell weniger dringende Einsätze.

Und was sagt der Minister zu den Vorwürfen gegen sich?

Ebenfalls der Mitteldeutschen Zeitung sagte Holger Stahlknecht am Montagabend, er sei missverstanden worden. Allen müsse bewusst sein, dass der Anschlag vom 9. Oktober eine Zäsur in der Geschichte des Landes darstelle.

Das macht mich zutiefst betroffen und erschüttert.

Holger Stahlknecht Innenminister von Sachsen-Anhalt

Stahlknecht erklärte, sein Ziel sei gewesen, deutlich zu machen, dass die erhöhte Polizeipräsenz zum Schutz jüdischer Einrichtungen für ihn nicht verhandelbar sei.

Gibt es weitere Reaktionen?

Die Linken-Landtagsabgeordneten Gallert und Quade sagten, Stahlknechts Aussagen seien symptomatisch für den Umgang der Landesregierung mit Antisemitismus. Sie forderten ebenfalls den Rücktritt des Ministers. AfD-Fraktionschef Kirchner sagte, er habe das bereits im vergangenen Herbst geäußert. Der Bundestagsabgeordnete und Vize-FDP-Landeschef Faber sagte, wenn Stahlknecht nicht für die Sicherheit aller Sachsen-Anhalter sorgen könne, sei er die falsche Besetzung. Auch SPD- und Grünen-Politiker äußerten deutliche Kritik.

Der langjährige grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck schrieb: "Jetzt reicht es wirklich, Herr Stahlknecht."

Rückendeckung kam dagegen von Sven Schulze, dem Generalsekretär der CDU in Sachsen-Anhalt. Schulze schrieb auf Twitter, Stahlknecht habe deutlich gesagt, dass der Schutz jüdischer Einrichtungen oberste Priorität für ihn habe. Die Debatte zeige, wie schnell man bei diesem sensiblen Thema missverstanden werden könne.

Warum ist das wichtig?

Für Stahlknecht und die Landesregierung kommt die Debatte zur Unzeit: Schließlich jährt sich diesen Freitag das antisemitische und rechtsextremistische Attentat in Halle zum ersten Mal. Ganz Deutschland blickt darauf, wie Sachsen-Anhalt den Anschlag mit zwei Toten vor knapp einem Jahr aufarbeitet – und was hier im Land gegen Antisemitismus getan wird. Diesen Dienstag trifft sich die Landesregierung – also auch Holger Stahlknecht – übrigens in Halle. Ein Thema auf der Tagesordnung wird die Frage sein, wie jüdische Einrichtungen besser geschützt werden.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 06. Oktober 2020 | 05:00 Uhr

55 Kommentare

Kritiker am 07.10.2020

@Heimatloser: Mal wieder die Erkenntnis das zwischen den Zeilen lesen vielen älteren Mitmenschen gerade aus dem Osten D.s noch gut in Erinnerung ist und wir damit auch noch etwas anfangen können!

winfried am 07.10.2020

Heimatloser ... nicht "gegen" --- > FÜR (was), z.B. "Recht UND Ordnung".
Fängt damit an, dass ich weiß wer sich berechtigt(GGArt.16a) im Land aufhält.

Kritiker am 07.10.2020

@Dan: MÜSSEN nicht aber SOLLTEN ES mit einem eigenen Wachschutz tun, doch auch da wird sicher die finanzielle Grundlage fehlen! Sowie im Landeshaushalt oder auch im Bundeshaushalt! Nur wollen dieses Thema die Politiker*innen den Bürgern offerieren? NEIN, denn das würde dazu führen das diese Politik als Ganzes auf solchen Gebieten (der finanziellen Basis) versagt hat. Auch die kritisierende Opposition kann und würde es nicht besser machen können! Also Worte und Umstände richtig definieren ohne eigene Interessen in den Vordergrund stellen zu wollen, dann wäre schon viel erreicht!

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